Deutsche Waffen für Israel: Beamte kritisieren Nahost-Politik
Hunderte Mitarbeiter von Ministerien fordern, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Auf eine entsprechende Klage reagiert die Regierung reserviert.
Die Kritik an deutschen Waffenlieferungen an Israel nimmt weiter zu. Eine Gruppe deutscher Beamter hat in einem Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz und andere hochrangige Minister die Bundesregierung aufgefordert, „Waffenlieferungen an die israelische Regierung mit sofortiger Wirkung einzustellen“. Israel begehe in Gaza „Verbrechen, die in klarem Widerspruch zum Völkerrecht und damit zum Grundgesetz stehen, an das wir als Bundesbeamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes gebunden sind“, heißt es in der Erklärung, die auf dem Online-Portal LinkedIn veröffentlicht wurde.
Nach Angaben der Organisatoren sollen rund 600 Beamte und Mitarbeiter verschiedener Ministerien und Behörden die Erklärung tragen, berichtet der arabische Sender Al Jazeera. Aus Angst vor beruflichen Nachteilen wollen sie aber anonym bleiben. Ein leitender Angestellter spricht von einem „Klima der Angst“ innerhalb der Behörden und Ministerien, wie er es „in 15 Jahren noch nie erlebt“ habe. Man habe deshalb Diskussionen per E-Mail vermieden und sich telefonisch ausgetauscht, berichtet ein Manager, der im Alleingang mehr als 100 Unterschriften von Kollegen und über berufliche Netzwerke gesammelt haben will.
Es sei „unsere Pflicht als Beschäftigte des Bundes“, heißt es in der Erklärung, „daran zu erinnern, dass die Bundesregierung strikt die Verfassung und das Völkerrecht zu beachten hat“. Darin wird die Bundesregierung auch aufgefordert, die Zahlungen an das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) zu verlängern und sich „aktiv und entschlossen für die Anerkennung eines palästinensischen Staates“ in den international anerkannten Grenzen von 1967 einzusetzen. Zu den Unterzeichnern sollen Beamte aus verschiedenen Ministerien gehören, darunter viele Menschen mit internationalen Biografien und Auslandserfahrung. Vor allem Diplomaten machen sich Sorgen, dass Deutschlands Ruf in der Welt und seine internationalen Beziehungen nachhaltigen Schaden nehmen könnten.
Israels zweitgrößter Waffenlieferant
Deutschland ist der zweitgrößte Waffenlieferant Israels. Allein im vergangenen Jahr soll die Bundesrepublik für 47 Prozent aller israelischen Waffenimporte verantwortlich gewesen sein. Über den Zeitraum der vergangenen 20 Jahre betrachtet, kamen fast ein Drittel aller israelischen Waffenimporte aus Deutschland, die überwiegende Mehrheit aus den USA. Andere Länder spielen keine vergleichbare Rolle.
Im vergangenen Jahr hatte sich der Gesamtwert der genehmigten Rüstungsexporte nach Israel im Vergleich zum Vorjahr verzehnfacht. Er lag im Jahr 2023 bei insgesamt 326,5 Millionen Euro, denn nach dem Angriff der Hamas auf Israel und den ersten Gegenangriffen der israelischen Armee im Oktober hatten die Waffenlieferungen aus Deutschland sprunghaft zugenommen. Zuletzt berichtete der Spiegel, die Rüstungsexporte seien in diesem Jahr wieder zurückgegangen. Demnach seien bis zum 15. Februar Lieferung für rund 9 Millionen Euro erlaubt worden – darunter Kriegswaffen für gut 32.000 Euro. Dennoch bleibt Deutschland nach den USA der wichtigste Waffenlieferant Israels.
Kritik in den USA nimmt zu
In Deutschland standen Waffenlieferungen an Israel bisher nie infrage. Doch nach dem israelischen Angriff auf einen Hilfskonvoi hat sich das geändert. Die Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) fordern nun unisono, deutsche Waffenexporte an Israel zu stoppen, Wagenknecht spricht sogar von einem „Waffenembargo“. Auch im Ausland nimmt die Kritik zu. Die frühere Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, schloss sich einem Schreiben von Dutzenden Demokraten im US-Kongress an US-Präsident Joe Biden und Außenminister Antony Blinken an, in dem ein Stopp der Waffenlieferungen an Israel gefordert wird.
In Deutschland hat ein Team von Anwälten jetzt einen Eilantrag gegen die Bundesregierung eingereicht, um die Ausfuhr von Kriegswaffen nach Israel zu stoppen. Sie hätten Grund zu der Annahme, dass diese Waffen bei Verletzungen des humanitären Völkerrechts im Gazastreifen eingesetzt würden. Die Juristen des European Legal Support Center (ELSC), Law for Palestine und das Palestine Institute for Public Diplomacy meinen, Deutschland verstoße damit gegen internationale Abkommen wie den Vertrag über den Waffenhandel (ATT) von 2013 und die Genfer Konvention.
Die Bundesregierung reagierte zurückhaltend auf die Klage. „Nach Eingang einer Klage bei Gericht ist diese zunächst durch das Gericht an die Beklagte zuzustellen“, sagte eine Regierungssprecherin auf Anfrage. Erst danach könne die Bundesregierung mit der Bearbeitung beginnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend