Deutsche Korrespondenten in der Türkei: Ein unmoralisches Tauschangebot
Bevor die türkische Regierung zwei deutsche Korrespondenten auswies, wollte sie offenbar einen Deal mit deren Medien machen.
In eigener Sache schrieb der Tagesspiegel in seiner Montagsausgabe, der Presse-Botschaftsrat der türkischen Botschaft in Berlin sei bei der Tagesspiegel-Chefredaktion vorstellig geworden, und zwar kurz nachdem das türkische Präsidialamt Seibert und Brase per Mail über den Entzug ihrer Arbeitserlaubnis unterrichtet hatte. „Er überbrachte die Forderung, Seibert abzuziehen“, schreibt die Zeitung. „Der Tagesspiegel könne dann einen neuen Korrespondenten schicken.“
Das gleiche Ansinnen aus Ankara übermittelte die türkische Botschaft auch an die Chefredaktion des ZDF, wie die öffentlich-rechtliche Anstalt gegenüber der taz bestätigte. Eine Sprecherin sagte: „Das ZDF hat das zurückgewiesen und betont, dass Jörg Brase unser Korrespondent in Istanbul ist und es keinen Grund gibt, jemand anderes zu beauftragen.“ Der Tagesspiegel schreibt: „Seibert ist ein ausgewiesener Kenner des Landes und hat seit 22 Jahren aus der Türkei berichtet, ohne Beanstandung. Der Tagesspiegel wie auch das ZDF lehnten das Ansinnen als Eingriff in die Pressefreiheit ab.“
Dann eben nach Teheran
Das Ziel der türkischen Forderung ist offensichtlich, Einfluss darauf zu nehmen, welche deutschen Korrespondenten aus dem Land berichten, wohl mit dem Bestreben, damit eine regierungsfreundliche Berichterstattung ausländischer Medien durchzusetzen.
Tagesspiegel-Journalist Seibert schreibt in seiner persönlichen Stellungnahme: „An uns soll ein Exempel statuiert werden.“ Beide Korrespondenten haben angekündigt, in Zukunft eben von außerhalb der Türkei über das Land zu berichten. Brase sagte am Sonntagabend im ZDF, er habe eine Akkreditierung und Aufenthaltsgenehmigung für den Iran – das ZDF-Studio in Istanbul ist auch für den Iran zuständig – und werde deshalb jetzt nach Teheran gehen. Offenbar sind die Mullahs im Iran gegenüber Kritik aus dem Ausland weniger empfindlich als der Nato-Partner und EU-Beitrittskandidat Türkei.
Thomas Seibert, Tagesspiegel-Korrespondent
Der Rauswurf von Seibert und Brase, gepaart mit dem Versuch, einen Wechsel der Korrespondenten zu erzwingen, hat offenbar auch die Bundesregierung kalt erwischt. Außenminister Heiko Maas hatte zwar bereits am Samstag eine Verschärfung der Reisewarnungen für die Türkei angeordnet, doch erst am Montag versuchte sich die deutsche Botschaft in Ankara noch einmal ein genaueres Bild über den Stand der Vergabe von Presseausweisen an die übrigen deutschen Korrespondenten in der Türkei zu machen.
Die Umfrage ergab, dass zwar einige Korrespondenten per Anruf oder per Mail benachrichtigt wurden, ihre Pressekarte sei genehmigt worden, bislang haben sie aber immer noch keinen neuen Presseausweis erhalten. Unter diesen KorrespondentInnen sind MitarbeiterInnen von dpa, die Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung und die Lebensgefährtin von Thomas Seibert, Susanne Güsten.
Andere, wie die deutsche Korrespondentin der Neuen Zürcher Zeitung oder der Korrespondent des Spiegels, haben dagegen noch nicht einmal eine Nachricht bekommen. Zu dem Rauswurf von Seibert, Brase und dem NDR-Fernsehjournalisten Halil Gülbeyaz könnten also noch einige weitere hinzukommen. Bereits vor zwei Jahren waren der Korrespondent der Frankfurter Rundschau, Frank Nordhausen, der Spiegel-Online-Korrespondent Hasnain Kazim und der Stern-Reporter Rafael Geiger des Landes verwiesen worden.
Alle Betroffenen gehen davon aus, dass sie Opfer einer türkischen Politik geworden sind, die, nachdem die inländische Presse weitgehend gleichgeschaltet wurde, nun versucht, auch die ausländischen Medien zu einer regierungsfreundlicheren Berichterstattung zu zwingen. Das dürfte die Versuche einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei erschweren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr