Deutsche Filmbranche diskutiert über KI: Eine aussterbende Art
Schauspieler und Produzenten verhandeln über künstliche Intelligenz. Während sich Schauspieler schützen wollen, sehen Produzenten eine Chance.
„Wir werden alles dafür tun, damit Kreativität gefördert wird und damit Kreative nicht abgeschafft werden.“ So kämpferisch formuliert Schauspieler Heinrich Schafmeister einen Anspruch, über den er zurzeit als Tarifverhandlungsbevollmächtigter der Schauspielergewerkschaft Bundesverband Schauspiel (BFFS) mit der deutschen Produzentenallianz diskutiert.
Und es ist ein komplizierter Bereich, um den es geht: Welche Regeln sollen gelten, wenn Daten von Darsteller*innen digitalisiert, ihre Darstellungen digital bearbeitet, digitale Klone von ihnen erzeugt oder komplett neue Avatare aus realen Vorbildern erschaffen werden? Schafmeister und seine Kolleg*innenschaft fordern bei all diesen Punkten ein Mitspracherecht sowie eine zusätzliche Vergütung: „Große Schwierigkeiten haben wir mit Replikaten, die uns letztlich arbeitslos machen würden.“
Dass Vergütungen sein müssen, wenn menschliche Akteur*innen in Szenen eingefügt oder verfremdet werden, darüber besteht auch für Björn Böhning kein Zweifel. Aber der Vorstand der Produzentenallianz will bestimmte Anwendungen nicht generell ausschließen: „Wir wollen das für schnellere und bessere Produktionsprozesse einsetzen. Etwa, um bei einer Verletzung von Schauspielern einzelne Szenen mit deren Zustimmung ersetzen zu können. Das müsste auch in ihrem Interesse sein.“
Gleiche Debatte in Hollywood
Genau diese Debatte, die jetzt Gewerkschaft und Produzentenverband in Deutschland führen, war auch Ausgangspunkt für einen der größten Streiks, den Hollywood jemals erlebt hat. Letztes Jahr gingen Akteur*innen vor und hinter der Kamera auf die Barrikaden, weil sie unter anderem den Einsatz von künstlicher Intelligenz eindämmen wollten, und legten damit für Monate das TV- und Kinobusiness lahm.
„Die Körper von Statisten sollen gescannt, für einen Tag Arbeit bezahlt werden und die Studios hätten dann die Rechte an diesen digitalen Doubles für immer“, hatte sich letzten Juli Duncan Crabtree-Ireland von der Gewerkschaft SAG-Aftra auf einer Pressekonferenz über die Pläne amerikanischer Produktionsunternehmen geärgert. „Nanny“-Star und Gewerkschafterin Fran Drescher wies ergänzend auf die Gefahr hin, dass Drehbuchautor*innen sowie Synchronsprecher*innen ebenfalls durch Maschinen ersetzt werden könnten.
Erst im Dezember kam es schließlich zu einer Einigung. Vereinbart wurden Ausgleichszahlungen sowie ein Mitspracherecht der menschlichen Vorbilder, wenn es um den Einsatz von deren digitalen Kopien geht. Auch über die Bezahlung wurde eine Einigung erzielt, wenn Avatare von Darsteller*innen beispielsweise in Serien verwendet werden, in denen sie bereits „in echt“ mitgewirkt haben.
Grundsätzlich ist der Einsatz von KI gerade bei vielen großen Blockbustern und aufwendigen Streamingserien schon Standard. Harrison Ford etwa zeigte sich begeistert über sein verjüngtes künstliches Ich im fünften Teil von „Indiana Jones“. In manchen Sequenzen erlebt das Publikum den 80-Jährigen noch mal als Actionhelden in seinen besten Jahren.
Stimme des verstorbenen Hans Clarin ersetzt
Das KI-Synchronisations-Start-up Dubformer mit Sitz in Amsterdam etwa wurde letzten Sommer von dem Produktionsunternehmen All3Media beauftragt, 100 Stunden Factual-Programm per Computer vom Englischen ins Spanische zu übersetzen. Auch der junge Luke Skywalker in der Disney+-Produktion „Star Wars: Das Buch von Boba Fett“ stammt komplett aus der digitalen Retorte. Im deutschen TV geht es erst langsam los, zum Beispiel mit der digital erzeugten Stimme des verstorbenen Schauspielers Hans Clarin für die RTL-Version von „Pumuckl“. Oder in der Sky-Sendung „Me & Myself“, wo Dieter Hallervorden zu seinem 88. Geburtstag auf seinen 30 Jahre jüngeren digitalen Klon traf.
Umgesetzt hatte das Volucap. Das Studio erstellte auch für „The Matrix Resurrections“ und aktuell für den Science-Fiction-Film „Mickey 17“ mit Robert Pattinson 3D-Avatare und Deepfakes der Stars. Geschäftsführer Sven Bliedung von der Heide ist sich sicher, dass die technologische Entwicklung noch ganz am Anfang steht und mittelfristig zum Standard in der Bewegtbildproduktion wird. Bei Volucap kommen in einem neuartigen Verfahren über 40 Kameras zum Einsatz, die die Bewegungen der Darsteller*innen aufzeichnen und digitalisieren. Später werden die menschlichen Akteur*innen mittels KI dann in die entsprechenden Szenen eingefügt.
Laut Bliedung von der Heide gibt es weltweit nur eine Handvoll Studios, die auf diese Technologie setzen: „Im Gegensatz zum bisher gängigen Motion-Capture-Verfahren, bei dem zuerst mehr als 100 Fotos von Menschen angefertigt werden und deren 3D-Modelle anschließend animiert werden, filmen wir sie direkt in Bewegung – das wirkt realistischer.“ Für den Produzenten ist vollkommen klar, dass mit Verbesserung der Rechenleistung zukünftig kein Unterschied mehr zwischen menschlichen und künstlich erzeugten Darsteller*innen zu sehen sein wird.
Der Geschäftsführer, der auch Nutznießer der aktuellen Entwicklung ist, hält inzwischen selbst Vorträge und ist Gast bei vielen Branchenveranstaltungen, um seine Sicht der Situation zu erklären: „Mir ist wichtig, dass Schauspieler verstehen, was auf sie zukommt und wie sie damit umgehen können.“
Bessere Schauspielleistung?
Genau wie die Produzentenallianz auch, wertet er die Befürchtungen wegen KI als „zu kurz gedacht“. Zurzeit versucht die Produktionslandschaft die darstellenden Künstler*innen mit Hinweis auf „die Mehrwerte“ zu beruhigen: Etwa mit der Möglichkeit, noch im hohen Alter via Klon beruflich aktiv sein zu können. Oder mit der Aussicht, in anderen Weltregionen oder -märkten erfolgreich zu sein, weil sie die jeweilige Sprache generieren könnten. Auch ihr Gesicht könnte angepasst werden, etwa für ein asiatisches Publikum. Synchronarbeiten könnten schon jetzt zum größten Teil von KI übernommen werden – zumindest technisch ist es möglich.
Der Hinweis aus der Branche, dass Menschen immer noch gebraucht würden, damit Inhalte kuratiert und eintrainiert werden müssten, dürfte Schauspieler*innen wohl kaum beschwichtigen. Der BFFS zum Beispiel kritisiert immer wieder, dass darstellerische Leistungen durch KI nicht besser werden. Das bezweifelt Bliedung von der Heide allerdings: „Etwa bei Liebesszenen, in denen ein Funke von der Leinwand überspringen soll.“ Das gelinge bei der menschlichen Darstellung eher selten – mit den Regungen im Gesicht, den Blutströmungen und den ganzen biologischen Details. Diese unbewussten Prozesse können sich Darsteller*innen nicht antrainieren, so Bliedung von der Heide.
Für Schafmeister zählen solche Argumente nicht: „Kreativität beruht zu einem gewissen Teil auch auf kindlicher Intelligenz, sogar auf menschlichen Fehlleistungen, und beides bekommt eine Maschine nicht hin.“ Und mit Blick auf den Einsatz von KI ist er sich nicht sicher, ob in der Produzentenlandschaft, die sich davon Vorteile erhofft, die Folgen auch für deren eigenes Geschäftsmodell unterschätzt werden: „Sie könnten sich in Zukunft damit auch selbst überflüssig machen.“
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