Deutsche Entwicklungszusammenarbeit: Am Tropf der Geber
Jordanien ist Vorzeigeland deutscher Politik im Wassersektor. Aber wie gut funktioniert das wirklich? Ein Blick auf eine Kläranlage.
W enn ein Mensch im Norden Jordaniens duscht oder Geschirr abwäscht, läuft das Abwasser durch dicke Rohre nach Schallalah. Das ist Arabisch und bedeutet „Wasserfall“. So heißt die Kläranlage, die verhindern soll, dass Abwasser ungefiltert und ungenutzt in die Natur fließt. Wenn das Abwasser in der Anlage ankommt, filtert eine Art große Gabel die gröbsten Teile aus dem Wasser: Autoreifen, Steinbrocken oder Tierknochen. Danach werden kleine Steine und Dreck abgeschöpft, außerdem das Öl, das viele Haushalte zum Kochen nutzen und sich dann unter das Wasser im Spülbecken mischt.
In der Anlage stecken deutsche Entwicklungsgelder. Für den Bau gab das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) insgesamt 63 Millionen Euro – nur 35 Millionen zahlte Jordanien selbst. Das Design ist aus Deutschland, einige Gerätschaften sind von Siemens. Die deutsche Firma Passavant hat die Anlage über mehrere Jahre konstruiert und ein Jahr lang das Personal geschult. Erste Vorarbeiten unternahm das deutsche Beratungsunternehmen Fichtner ab 2002, in Betrieb genommen wurde die Anlage Ende 2013, nach mehrjähriger Bauzeit.
Jordanien war zuletzt der größte Empfänger von deutschen Entwicklungsgeldern im Wasserbereich. Nach taz-Berechnungen hat das Land zwischen 2002 und 2019 insgesamt 968 Millionen US-Dollar für diesen Sektor ausbezahlt bekommen. Viel deutsches Geld fließt vor allem in Investitionsprojekte und Begleitmaßnahmen durch sogenannte Consultants. Steht die Technik, kommen die Consultants ins Spiel.
Einer von ihnen ist der Brite Matthew Clarke. Er arbeitet seit mehr als zehn Jahren in Jordanien als selbstständiger Berater im Wassersektor. Er kennt viele laufende Ausschreibungen und hat einen guten Überblick über abgeschlossene und laufende Projekte in dem Bereich.
Gefördert durch das European Journalism Centre (EJC) mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation folgt die taz ein Jahr lang dem Wasser. Fünf taz-Korrespondentinnen recherchieren in Lateinamerika, Westasien, Südasien und in Afrika entlang des Nils. Denn vor allem im Globalen Süden gibt es zu wenig oder kein sauberes Wasser. Besonders Frauen müssen jeden Liter über weite Strecken nach Hause tragen. Der Zugang zu Wasser wird mit der Klimakrise verschärft. Immer öfter wird Wasser privatisiert oder steht im Konflikt mit Großprojekten, die Fortschritt bringen sollen. Mehr unter taz.de/wasser
Die Wasserleitungen in der Hauptstadt Amman seien in einem schlechten Zustand, obwohl sie zuletzt vor zwanzig Jahren erneuert wurden, erzählt Clarke. Er hat lokales Personal darin trainiert, Lecks in unterirdisch verlegten Wasserleitungen aufzuspüren – und dann zu reparieren. Denn dem staatlichen Wasserbetreiber gehen 48 Prozent des Wassers verloren durch Lecks, aber auch durch veraltete Zähler.
System wider besseres Wissen
Ein weiteres Problem: Um Wasser zu sparen, öffnet der staatliche Versorger die Leitungen nur ein paar Tage oder mancherorts Stunden in der Woche. Die Menschen sammeln das Wasser in Zisternen. Wenn es aufgebraucht ist, kaufen sie es bei privaten Anbieter*innen nach.
So ein System mögen Geldgeber*innen nicht. „Weil bekannt ist, dass ein System, das nur alle paar Tage läuft, mit wechselndem Wasserdruck, schneller kaputtgeht“, erklärt Clarke. Besser sei eine kontinuierliche Wasserversorgung. „Es ist sehr schwierig, Lecks zu finden, wenn der Druck nicht konstant ist. Wenn Sie die Löcher stopfen, können Sie das Wasser stetig laufen lassen und verlieren in einer Woche sogar weniger als wenn es nur zwei Tage läuft. Dadurch, dass der Druck konstant ist, wird das System nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen und lebt länger.“
Clarke resümiert: „Seit 20 Jahren wird das so gemacht, um Wasser zu sparen, es ist jetzt wie eine Religion – auch wenn viele Studien die Vorteile einer anderen Arbeitsweise belegen.“
Die Krux mit der Nachhaltigkeit
Schallalah ist ansonsten zunächst ein gelungenes Beispiel, wie Entwicklungsgelder zum Wandel beitragen: Schlamm wird für die Gasproduktion genutzt, gereinigtes Wasser fließt in natürliche Bäche und vermischt sich mit Frischwasser. So können es Bauern später zur Bewässerung von Pflanzen und Bäumen nutzen. Das reduziert den Verbrauch an Frischwasser – damit mehr davon für Haushalte übrig bleibt.
„Die Projekte sind meistens wunderbar konzipiert, die Krux ist tatsächlich bei fast allen schlecht bewerteten Projekten die Nachhaltigkeit“, erklärt Alexander Luthe, der in der Evaluierungsabteilung der KfW Entwicklungsbank für Wasserprojekte zuständig ist. Die deutschen Institutionen evaluieren ihre EZ-Projekte im Nachhinein. „Unser Anspruch ist, dass ein Projekt nachhaltig läuft, das heißt, dass es noch viele Jahre danach im Rahmen der technischen Lebensdauer weiterfunktioniert“, sagt Luthe.
Das ist im Wasserbereich oft nicht der Fall. Im Juni hat die KfW ihren Zweijahresbericht 2019/2020 vorgestellt, in dem die 23 ausgewerteten Projekte des Wassersektors auf der Bewertungsskala von 1 bis 6 nur die Durchschnittsnote 3,1 bekamen – zuletzt schlechter also als die meisten anderen Sektoren.
Auch bei Schallalah mangelt es an der Nachhaltigkeit. Nach der Fertigstellung wurden Angestellte noch ein Jahr lang bis Ende 2014 von einer deutschen Firma trainiert, danach ging die Anlage an den lokalen Wasseranbieter Yarmouk Water Company über. Doch „zwei Jahre nach Abschlusskontrolle waren noch nicht alle Anlagenteile an den Betreiber übergeben, was den Betrieb beeinträchtigt hat“, heißt es im Evaluierungsbericht.
Und weiter: „Während der Evaluierung wurden Planungsfehler festgestellt. So wird bei Ausfall der Pumpen die Desinfektionsanlage überflutet, darüber hinaus ist die im Rahmen des Vorhabens erstellte Fäkalschlammannahme in Wadi Shallalah inkompatibel mit jordanischen Schlammsaugfahrzeugen, die ihren Inhalt abkippen müssen.“
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Es fehle vor allem an geschultem Personal für Betrieb und Wartung, sagt ein Insider, der die Anlage gut kennt. Es gebe keine Wartungsverträge mit lokalen Firmen. Für den Wassersektor allgemein bestätigt das auch Luthe. Für die Abwasserbehandlung seien spezialisierte Kenntnisse erforderlich, deswegen ist der Mangel an ausgebildetem Personal ausgeprägter.
Was, wenn die Pumpe kaputt geht?
„Uns fehlen die Ersatzteile“, beklagt der Insider in Schallalah außerdem. Die müssten aus Deutschland kommen – beispielsweise für die Reinigung der Anlage. Im letzten Schritt in Schallalah spritzen Düsen das Wasser in ein großes Rundbecken. Es läuft voll und wird auf einem äußeren Ring nochmals gefiltert. Am Rand der Wanne setzen sich Fragmente ab, die mit einer großen weißen Bürste entfernt werden. Wenn diese Bürste kaputtgeht, gibt es keinen Ersatz – die operierenden Arbeiter müssen dann mit der Hand ran und die Ränder des Beckens putzen.
Und das ist nur ein Nebenaspekt. Ginge die große Pumpe kaputt, die das Wasser nach der Reinigung in den Wasserkreislauf entlässt, steht die Anlage still. Dann wird kein Wasser entlassen – und kein neues wird aufbereitet.
Cornelis Martinus de Jong, Fachbereichsleiter
Aber um schnell an Ersatz zu kommen, müssen die Manager die Geldgeber und die Berater einbeziehen. „Der Anlagenmanager kann zwar beim Wasserbetreiber Yarmouk fragen, aber das Budget ist sehr begrenzt“, erklärt Matthew Clarke. „Es kann bis zu drei Monate dauern, bis die Pumpe da ist. Daher müssen sie oft zum Berater gehen, der den ausländischen Gebern versichert, dass das Teil wirklich gebraucht wird, und die Pumpe viel schneller aus beispielsweise Deutschland bestellt und versendet.“
Geldgeber fokussierten sich eher auf neue Anlagen, weniger aber auf Betriebskosten und Ersatzteile, kritisiert Cornelis Martinus de Jong, Fachbereichsleiter für Internationale Projekte bei Consulaqua, einer Tochterfirma der Hamburger Wasserwerke, mit der auch Clarke arbeitet. „So laufen die Geldströme: Wenn die KfW eine Kläranlage baut, werden noch ein oder zwei Jahre lang Wartung und Betrieb unterstützt, und wenn die Phase vorbei ist, dann stürzt alles zusammen, weil die Leute zu wenig technische Kompetenzen haben.“ Diese Art der Entwicklungshilfe ist nicht langfristig.
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Warum kann sich der jordanische Staat die Wartung nicht leisten? Beim staatlichen Wasserversorger in Nordjordanien antwortet Generaldirektor Muntasir al-Momani: „Die Menschen zahlen ihre Rechnungen nicht.“ Es seien noch Wasserrechnungen im Wert von umgerechnet 66,5 Millionen Euro offen. Solange die nicht beglichen seien, könnten alte Rohre, Pumpen und Zähler nicht repariert oder erneuert werden.
Dass die fehlenden Tarifeinnahmen vor Ort ein Problem sind, bestätigt auch Alexander Luthe aus der KfW-Evaluierungsabteilung. Oft deckten sie nicht, was für Wartung, für Reparaturen und Ersatzteile nötig sei. „Das überwiegende Problem in der Wasserversorgung ist es, die Mittel dafür einzunehmen, um den Unterhalt, die Ersatzinvestitionen, Reparaturen und so weiter zu finanzieren“, sagt Luthe. Der Wassertarif werde oft politisch festgelegt. „Gerade in ärmeren Ländern ist die Frage, wie viel jetzt ein Kubikmeter Wasser kostet, eine entscheidende, die von der Politik sehr stark im Auge behalten wird.“
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In Jordanien subventioniert die Regierung das Wasser. Nach Angaben des Yarmouk-Managers kostet ein Kubikmeter Wasser 2,3 Dinar (circa 2,75 Euro). „Wir verkaufen es den Leuten für 0,6 Dinar (0,70 Euro). Die Differenz zahlt unser Unternehmen.“ Auf Dauer ist das nicht profitabel.
Internationaler Austausch als Lösung
Privatisierung statt Verstaatlichung könnte die Lösung sein. Eine öffentlich-private Partnerschaft könnte die Privatwirtschaft einbeziehen. Das würde nicht nur das Einnahmeproblem lösen, sondern auch der Vetternwirtschaft den Garaus machen. Denn der staatliche Betreiber habe ein aufgeblähtes Management, während die Arbeiter damit beschäftigt seien, die Schieber so zu drehen, damit sie überhaupt Wasser verteilen können, sagt de Jong. „Die haben keine Zeit für vorbeugende Wartung.“
Yarmouk-Direktor al-Momani ist gegen die Idee. „Die Privaten wollen Profit machen, was bedeuten würde, die Tarife zu erhöhen, um die Kosten zu decken.“ Ohne die anderen Probleme – hohe Energiekosten, knappe Wasserressourcen – zu lösen, müsste ein Kubikmeter dann viel mehr kosten, so der Direktor. Würde der Preis steigen, gibt es womöglich Aufstände.
Großanlagen der Privatwirtschaft zu übergeben, würde auch bedeuten, dass die Projekte nie auf lokalen Füßen stünden. Es wäre quasi die perfekte deutsche Außenwirtschaftsförderung.
Eine neue Idee kommt aus den Niederlanden: Wartung und Monitoring nicht über Ingenieurbüros laufen zu lassen, sondern über globale Betreiberpartnerschaften. Da tauschen sich kommunale Wasserver- und Wasserentsorger mit ihren internationalen Kolleg*innen aus, ohne Profit daraus zu schlagen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanzierte im Sommer 2019 ein Pilotvorhaben mit Betreibern aus Jordanien, Marokko, Sambia und der Ukraine. Im Jahr 2021 schrieb die EU das Programm aus, mit einem Budget von 8,3 Millionen US-Dollar für 20 bis 30 Partnerschaften.
Deutsche Wasserwerke sehen diesen Ansatz positiv. „Wir wollen uns als Arbeitgeber positionieren und wissen, dass junge Ingenieur*innen ins Ausland gehen wollen“, sagt Claudia Wendland, zuständig für die Partnerschaften bei Hamburg Wasser. Auch de Jong findet die Idee gut: „Betreiber sind auch keine Consultants, wir sollten in der Entwicklungszusammenarbeit eine klarere Rolle kriegen, um Anlagen nachhaltig betreiben zu können.“
Mitarbeit: Eva Oer
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