Deutsche Bahn und die NS-Zeit: Kein Zug namens „Anne Frank“
Der Plan der Bahn, einen ICE nach Anne Frank zu benennen, wurde heftig kritisiert. Nun sollen die Züge keine Namen von Menschen tragen.
„Wir müssen einräumen, dass wir das Thema leider falsch eingeschätzt und damit Gefühle verletzt haben“, sagte ein Sprecher der Bahn. Die Verstrickung Reichsbahn und NS-Staat sei ein „dunkles Kapitel in der Geschichte der Eisenbahn“, erklärte er.
Die Reichsbahn war an den Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager eng beteiligt. Die SS bestellte die entsprechenden Züge beim Referat Sonderzüge des staatseigenen Unternehmens. So profitierte das Unternehmen auch von der Verschleppung Anne Franks, die 1944 mit ihrer Familie zunächst nach Auschwitz und später von dort weiter nach Bergen-Belsen deportiert wurde, wo sie 1945 im Alter von 15 Jahren starb.
Für den Transport kassierte die Reichsbahn von der SS zwei Pfennige pro Kilometer und Passagier, egal ob diese in Güterwagen eingepfercht waren oder nicht. Der übliche Tarif betrug das Doppelte, doch räumte die Bahn ihrem Großkunden einen besonderen Rabatt ein, wenn in den Zügen mehr als 400 Menschen transportiert wurden.
Diese Hintergründe hatten im vergangenen Jahr, als die Deutschen Bahn bekannt gab, einen Zug nach Anne Frank benennen zu wollen, einen Shitstorm in der Öffentlichkeit ausgelöst. Die Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam erklärte damals: „Es ist eine schmerzliche Verbindung für die Menschen, die die Deportationen erlitten haben, und löst erneut Schmerzen bei alle jenen aus, deren Leben bis heute von den Folgen der damaligen Zeit geprägt ist.“ Die Bahn hatte dagegen gehalten, man wolle mit der Namenswahl „die Erinnerung an Anne Frank wach halten“.
Auch Adenauer rast nicht durch Deutschland
Anne Frank wird also nicht durch Deutschland rasen und mit ihrem Namen Werbung machen. Aber auch auf Reisen mit Konrad Adenauer, Erich Kästner oder die Geschwister Scholl muss das Publikum verzichten. Als Konsequenz aus der Affäre will die Deutsche Bahn nun generell darauf verzichten, ihre Züge nach Personen des öffentlichen Lebens zu benennen. Das Unternehmen hatte dazu ihre Kunden aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten. Lediglich der im Herbst 2016 nach dem deutschen Reformer Martin Luther benannte ICE behält seinen Namen.
Stattdessen werden die ICE-4-Züge nun wenig kontrovers die Namen der „schönsten Seiten Deutschlands“ tragen, also von Regionen, Bergen oder Flüssen, sagte ein Sprecher. Vorgesehen seien etwa Bezeichnungen wie „Bodensee“, „Bayerischer Wald“, „Eifel“ und „Spree“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“