Deutsch-israelische Perspektiven: Getanzt wird trotzdem

Das deutsch-israelische Verhältnis steht im Zentrum der Leipziger Buchmesse. Autoren aus beiden Ländern diskutieren und lesen aus ihren Büchern.

Deutsch-israelische Beziehungen werden heute auf dem Tanzboden eingefädelt: Szene in einem Tel Aviver Club. Bild: ap

BERLIN taz | Wenn nur jeder Hobby-Nahostexperte so weit wäre wie Moritz Rinke. Seit über einem Jahrzehnt bereist der Autor die Levante. Er war in Tel Aviv und in Jericho, in Dschenin und in Haifa, hat sich über die Geduld der palästinensischen Kinder an den israelischen Checkpoints gewundert, die Tränen des Journalisten aus Ramallah registriert, der noch nie jemanden getroffen hat, der ein Fußballspiel live im Stadion gesehen hat.

Vom Balkon seines Hotels aus hat Rinke auch die Druckwelle des verheerenden Anschlags vor der Disco Dolphinarium am Strand von Tel Aviv gespürt. Er schreibt: „Ich gebe zu, dass ich mich nach all diesen Erfahrungen nicht mehr in der Lage sehe, die Motive der einen Seite der jeweils anderen zu vermitteln.“

Am 12. Mai feiern Israel und die Bundesrepublik Deutschland das 50. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Auf der Leipziger Buchmesse werden daher ab Mittwoch 40 Autoren aus Israel und Deutschland anreisen, um bei 74 Lesungen und Diskussionsrunden miteinander ins Gespräch zu kommen und Auszüge aus neuen Büchern vorzutragen.

Unter ihnen ist Amos Oz, einer der großen Schriftsteller der Gegenwart, der auf der Messe seinen wunderbaren Roman „Judas“ vorstellen wird, dessen Handlung im Jerusalem des Jahres 1960 beginnt. In „Judas“ erzählt Oz eine Liebesgeschichte und skizziert wie nebenbei die inneren Konfliktlinien, die schon vor Gründung des Staats Israel die zionistische Bewegung durchzogen haben.

Eine ganz andere, tatsächlich deutsch-israelische Perspektive eröffnet Chaim Nolls Autobiografie der ersten Lebenshälfte, „Der Schmuggel über die Zeitgrenze“. Noll wuchs als privilegierter Nachwuchssozialist in Ostberlin auf, ging 1983 nach Westberlin und wanderte 1995 mit seiner Familie nach Israel aus. Passend dazu widmet sich eine Ausstellung im Schauspiel Leipzig jüdischer Literatur aus der DDR. Das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig wiederum stellt sich einmal mehr dem bis heute nachwirkenden Komplex von Israel, DDR und deutscher Linker.

Norbert Kron und Amichai Shalev haben den Sammelband „Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen“ herausgegeben, in dem auch Moritz Rinkes kurzer Text erschienen ist. Der Titel spielt darauf an, wie beliebt Tel Aviv heute bei vielen jungen Deutschen und wie noch viel beliebter Berlin bei jungen Israelis ist. Die Herausgeber haben sich bei einem Match zwischen den Autoren-Nationalmannschaften kennengelernt. Ihr Buch ist zugleich auf Deutsch und Hebräisch erschienen und bietet einen sehr genauen Einblick in die Untiefen des deutsch-israelischen Verhältnisses.

Viele Fallen

In „Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen“ schreiben jüngere israelische Schriftsteller über ihre Erfahrungen mit Deutschland und Deutschen – und umgekehrt. Es kommen Autorinnen der „dritten Generation“ zu Wort, die mit der schwierigen Beziehung zwischen den Ländern aufgewachsen sind und keine Angst davor haben, konkret und also undiplomatisch zu werden. Es ist kein Zufall, dass in den ersten beiden Geschichten des Bands ein junger Deutscher mit einer jungen Israelin Sex hat.

Sarah Stricker, die seit fünf Jahren in Tel Aviv lebt, nutzt das Szenario einer Liebesbeziehung zwischen einem deutschen Freiwilligen und einem Mädchen aus Tel Aviv bravourös, um die Mentalität des „neuen Deutschen“ zu sezieren, der alles über das Projekt der Endlösung der Judenfrage weiß, jederzeit bußfertig ist, aber sich überhaupt nicht für die Wünsche und Ängste des lebendigen Wesen interessiert, mit dem er da im Bett liegt.

Es ist oft erhellend und manchmal auch sehr lustig zu lesen, wie junge Deutsche und Israelis in eine der vielen Fallen tappen, die das schwierige deutsch-israelische Verhältnis für alle bereithält, die sich auf die Reise und in einen Dialog begeben. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass die Deutschen dabei mehr falsch machen können als die Israelis.

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