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Designierte FamilienministerinGiffeys aufgehübschter Lebenslauf

Wie aus der „Praktikantin“ die „Mitarbeiterin“ wurde: Die neue SPD-Hoffnungsträgerin Franziska Giffey war bei ihrer Biografie kreativ.

„Kiez-Königin“? Franziska Giffey war die erste weibliche Bezirksbürgermeisterin von Neukölln Foto: dpa

„Die hat noch gefehlt“, kommentiert die Zeit, „Die Kiez-Königin“ titelt die FAZ, „Sanft in der Stimme, bestimmt in den Worten“, säuselt der Schweizer Rundfunk. Die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey, die am heutigen Mittwoch Familienministerin wird, ist die Überraschung der SPD in der Großen Koalition. Giffey „gilt als zupackend und als Freundin klarer Worte“, schreibt der RBB über Giffey.

Nur an einer Stelle fehlen Giffey klare Worte: im Lebenslauf auf ihrer Homepage. Dort sind wichtige Phasen ihres Lebens aufgehübscht. Giffey „absolvierte Praktika in der Berliner Landesvertretung der EU in Brüssel und bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg“, schrieb die SPD-Zeitung Vorwärts noch 2014 in einem Giffey-Porträt.

Nur schnöde Praktika? Die neue Familienministerin stellt das auf ihrer Homepage anders dar: „Neben ihrer Tätigkeit als Europabeauftragte absolvierte Franziska Giffey von 2003 bis 2005 ein Studium zum Master of Arts für Europäisches Verwaltungsmanagement … 2003 war sie darüber hinaus Mitarbeiterin bei der Vertretung des Landes Berlin bei der Europäischen Union in Brüssel und im Jahr 2005 Mitarbeiterin bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg“, steht dort.

„Mitarbeiterin“ statt „Praktikantin“: Das lässt den Eindruck zu, Giffey sei schon während ihres Studiums eine solche Überfliegerin gewesen, dass zwei wichtige Institutionen sie als Kurzzeit-Expertin gebucht hätten. Auch bei einer weiteren Praxisstation während ihres ersten Studiums zur Diplom-Verwaltungswirtin bezeichnet sich Giffey als „Mitarbeiterin“ „im Büro des Bezirksbürgermeisters von Lewisham in London“. Drei Auslandsstationen in jungen Jahren in London, Brüssel und Straßburg, allesamt als „Mitarbeiterin“ – das ist, was sich Personalchefs wünschen.

Was war sie nun – Praktikantin? Mitarbeiterin? Auf einer Ausbildungsstation im Rahmen des Studiums? Das Familienministerium verwendet in der Antwort auf eine taz-Anfrage alle Begriffe. Mal ist von der „Mitarbeiterin“ Giffey die Rede, mal von den Jobs in Brüssel und Straßburg als „Ausbildungsstationen/Studienpraktika im Rahmen des Masterstudiengangs“. Auch die Stelle in London sei eine „Ausbildungsstation“ gewesen. Die Frage nach einer Bewertung des Ganzen lässt das Ministerium unbeantwortet.

Den Lebenslauf hübschen viele Politiker auf

Giffey steht mit Lebenslauf-Aufhübschungen im Politikbetrieb nicht alleine: Der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte zwei Praktika als „Stationen in Frankfurt und New York“ beschrieben. Der „Lügenbaron“ (Zeit) stolperte aber über seine Doktorarbeit, nicht über seinen aufgebrezelten Lebenslauf.

Die damalige Bürgermeisterkandidatin von Berlin-Lichtenberg, Evrim Sommer (Linkspartei), stolperte 2016. Sie hatte sich selbst als „Historikerin“ bezeichnet, obwohl ihr Studium zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war. Sie zog ihre Kandidatur zurück, heute sitzt sie im Bundestag. Sommer wurde damals auch zum Opfer ihres zerstrittenen Bezirksverbands, in dem ein Teil die Gelegenheit nutzte, um sie loszuwerden.

Giffey sitzt heute fest im Sattel. Sicher ist aber: Die neue Familienministerin hielt es nicht für nötig, ihre Online-Biografie vor dem Wechsel in die Bundespolitik zu korrigieren. Für eine Hoffnungsträgerin wirkt das wenig professionell.

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15 Kommentare

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  • Wie arm ist das Selbstbewußtsein in dieser Partei, wenn man nicht zu seiner Vita steht und versucht, sie aufzuhübschen. Aber was soll's, diese Methode wird in allen Bewerbungstrainings gelehrt und spiegelt den Zustand der Republik wider - mehr Scheinen als Sein - Voila....

  • Über die inhaltliche Bedeutung von "Mitarbeiterin" und "Praktikantin" möchte ich gar nicht streiten, weil mich der Artikel so entsetzt.

  • Wieder einmal schreit in der taz eine skandalhöffige Überschrift über einem wenig ergiebigem Text ohne wirkliches Aufregungspotential !

     

    In leider vergangenen Zeiten waren die taz-Überschriften bundesweit bewundert ob ihrer mit heiterem Grinsen vorgetragenen Treffsicherheit. Heute hat man nicht nur bei Reehs dürftigen Recherchen über Giffeys Vita den Eindruck, dass der Leser mit dem BILD-würdigen Fragezeichen-Titel zur Lektüre eines überflüssigen Textes angelockt worden ist.

     

    Oder hat sich gar der in Lokalzeitungen leider übliche Brauch auch in der taz festgesetzt : einer verfasst den Text, ein anderer (Mitarbeiter!) klatscht eine Mauschelei insinuierende Schlagzeile oben drauf ?

  • Wenn man sieht, mit welcher Häme der der Nicht-Akademiker Schulz deshalb überzogen wurde, wundert es nicht, dass man sich selber in der Biographie aufmotzt. Besonders peinlich ist das bei einer angeblichen "Arbeiterpartei".... Anstatt Stolz auf seine Geschichte zu sein, buckelt man sich nach oben... Ich habe nur die Mittlere Reife, aber zwei Hochschul- und Unidiplome - vor Arbeitsloosgkeit hat mich das nicht bewahrt. Ach ihr Sozen, ihr seid einfach nur arm....

  • Die Medien sollten sich mehr Gedanken zu den Politikern machen, die wirklich einen nebulösen Werdegang aufzuweisen haben!

     

    Man schaue sich dabei doch bitte al unseren zukünftigen Gesundheitsminister an, der bereits Erfahrungen in der Lobbyarbeit bei den Pharmakonzernen gesammelt hat und nun dafür sorgen soll, dass unsere Krankenversorgung und Pflege anständig funktioniert.

    Es würde wohl niemanden verwundern, wenn es in Zukunft diverse Verteuerungen für Medikamente und Erleichterungen bei deren Zulassung geben wird.

     

    Irgendwie ist es müßig lesen zu müssen, das eine Politikerin ihren Lebenslauf durch die Auslegung zweier Worte, die schon eine gewisse Gemeinsamkeit aufweisen, aufwertet, wenn man sieht, dass die Mainstreammedien sich kaum darum scheren, wie hoch der Einfluss durch Wirtschaft, Industrie und der Banken auf so manchen, fast allen Politikern, hat!

     

    Wäre es nicht mal so richtig Auflagen steigernd über die Verflechtungen von Spenden zur Gesetzgebung in Deutschland zu recherchieren, anstatt immer wieder über diesem Kleinkram Einzelner herzuziehen?

     

    Ein Beispiel wäre, wie kommt es zu den hohen Rüstungsexporten, trotz der Versprechen, keine Waffen mehr an die Krisenstaaten im Mittleren Osten zu liefern. Ein heikles, aber aktuelles Thema?

  • Ich meine, man sollte sie an ihrer Arbeit messen, egal, mit welcher Bezeichnung sie arbeitete. Zumindest so lange sie sich in einer bestimmten Toleranz bewegt.

     

    Soll heissen, will sagen: so lange sie sich keine völlig falsche Bezeichnung zuschreibt (bspw. statt Mitarbeiterin dann leitende Mitarbeiterin oder gar Führungskraft; statt Bundesministerin dann Bundeskanzlerin; usw.).

  • Es war schon lange kein "Polit-Doktor" mehr im Umlauf, der nicht zitierten konnte und einfach abschrieb.

    Wird mal wieder Zeit...

  • Fakt ist ja wohl, dass sich Frau Giffey als Mitarbeiterin fühlte und so angesprochen werden möchte.

     

    Damit war sie auch Mitarbeiterin, egal was Martin Reeh dazu meint.

     

    Ich würde von der taz hier deutlich mehr Fingerspitzengefühl erwarten.

  • Wieder ein schlechter Charakter!

    So is Polletick!

    ...

  • ...ganze abteilungen des öffentlich rechtlichen rundfunks arbeiten nur mit praktikanten!bei der taz bestimmt ähnlich oder???-:)

  • was ist eigentlich aus der bt-abgeordneten petra hinz/spd geworden.

    sie hatte ihren lebenslauf in allen punkten gefälscht ... bis hin zum abgeschlossenen studium.

     

    das letzte was man

  • Das ist doch typisch für die deutsche Nörgelei: Parktikant_innen arbeiten auch mit. In der letzten Bundesregierung hatten wir einen Schwarzgeldhändler als Bundesfinanzminister. Das wurde auch von taz akzeptiert. Wer dagegen ein studienbegleitendes Praktikum als "Mitarbeit" ausgibt, wird öffentlich bloßgestellt.

    Uns scheint das richtige Maß zu fehlen.

    • @Velofisch:

      Praktikant, bzw. Student, ist was anderes als Mitarbeiter oder Angestellter. Ist nun mal so.

       

      Politikern auf die Finger klopfen ist das Metier der Presse. Ist nun mal so.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @kditd:

        Das ist mir neu. Die sog. Praktikanten, die ich kenne, hatten in der Mehrzahl ein abgeschlossenes Studium oder eine Berufsausbildung hinter sich. Dass sie

        als Praktikanten arbeiteten lag an den Arbeitgebern(mickrige Löhne) und mangelndem Selbstbewusstsein. (Da ja man im IT-Bereich, bei der Presse oder im Kunstbereich arbeiten durfte). Ich selbst habe nur 8 Klassen Volksschule, eine Lehre und dann noch ein bisschen studiert, habe aber nie in meinen Leben als Praktikant gearbeitet, sondern war immer Mitarbeiter oder stud.Hilfskraft . Als Praktikant erwirbt man sich nicht vorhandene Kenntnisse, aber keine Berufsausbildung . Ein Praktikant ist in Deutschland kein Arbeitnehmer: Er oder Sie haben kaum Rechte und werden deshalb auch gerne im Medienbereich als solche beschäftigt und tituliert, um lästige Mitarbeiter -rechte(Betriebsrat, Arbeitnehmer-

        Vertreter )auszuhebeln. Die Steigerung sind dann freie Mitarbeiter , da hat man dann als Arbeitgeber noch weniger Verantwortung. Insofern ist die Bezeichnung Mitarbeiter schon ok und zeugt wenigstens von Klassenbewusstsein.

      • @kditd:

        @KDITD was genau machen Praktikanten denn in einem Unternehmen? Sie arbeiten dort, sie verrichten ganz normale Arbeit, sie arbeiten als im Unternehmen mit, sind also Mitarbeiter. Mehr versteckt sich hinter dem Wort nicht. Sicher hat ein Praktikum eine andere Funktion. Es soll Einblicke bieten, aber um diese Einblicke zu erlangen, ist eben doch Mitarbeit notwendig. Die Menschen, die ein Praktikum absolvieren, stehen ja nicht doof rum, sondern sie arbeiten tatsächlich mit, erschaffen durch ihr Arbeit durchaus auch einen Mehrwert für das Unternehmen und somit finde ich den Aufhänger nicht, wenn sie statt Praktikum Mitarbeiter schreibt ...