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Designierte Chefin der Berliner Linken„Das Potenzial für linke Politik ist groß“

Kerstin Wolter will Berliner Linken-Vorsitzende werden. Ein Gespräch über das Wachstum ihrer Partei, den Umgang mit Antisemitismus – und Katja Kipping.

„Mir ist es egal, ob jemand Kuh- oder Hafermilch trinkt“: Kerstin Wolter auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte Foto: Steve Braun
Erik Peter
Interview von Erik Peter

taz: Frau Wolter, die Linke war in Berlin mit 20 Prozent stärkste Partei bei der Bundestagswahl, das Stadtmagazin Tip nannte Ihre Partei noch im April die „aufregendste“ Berlins. Zuletzt sah eine Umfrage zur Abgeordnetenhauswahl die Linke nur bei 13 Prozent, seit dem Bundesparteitag vergangenes Wochenende gibt es wieder einen Antisemitismus-Streit. Ist der Hype schon wieder vorbei?

Kerstin Wolter: Im Gegenteil. Die Linke ist die spannendste Partei, die es gerade in Berlin gibt. Wir erleben eine Erneuerung, durch die vielen neuen Mitglieder und gleichzeitig durch die neue Motivation derer, die schon lange dabei sind. Mit dem Wachstum unserer Partei wächst auch unsere gesellschaftliche Bedeutung und es wird wieder genauer hingeschaut. Die Bundestagswahl hat gezeigt, wie groß das Potenzial in dieser Stadt für linke Politik ist. Aber wir wissen auch, dass Gewinnen kein Selbstläufer ist.

Im Interview: Kerstin Wolter

1986 in Perleberg geboren und in einem Dorf in Mecklenburg aufgewachsen, hat in Berlin und im schwedischen Lund Geografie, Umweltpolitik, Agrar- und Sozialwissenschaften studiert.

Sie war Geschäftsführerin des Studierendenverbandes Die Linke.SDS und aktiv in feministischen Kämpfen, hat für die ehemaligen Linken-Vorsitzenden Katja Kipping und Janine Wissler gearbeitet und ist seit 6 Jahren Vorsitzende des Bezirksverbands Friedrichshain-Kreuzberg.

Auf dem Linken-Parteitag am Wochenende kandidiert Wolter als einzige Kandidatin im Team mit dem bisherigen Landeschef Maximilian ­Schirmer. (taz)

taz: Hat man sich mit dem Beschluss, die Jerusalemer Erklärung als Grundlage für die eigene Antisemitismus-Definition zu verwenden und nicht die weit verbreitete IHRA-Formel nicht selbst geschadet?

Wolter: Nein, in der Sache nicht, auch wenn aus meiner Sicht nötig gewesen wäre, dass die Debatte darüber vorher breiter geführt wird. Aber viele, die das jetzt kritisieren, nutzen unzutreffende Interpretationen. Der Schutz jüdischen Lebens ist zentral für uns und steht nicht im Widerspruch zu dem Beschluss auf dem Bundesparteitag. Angesichts des verbrecherischen Angriffs der Hamas auf Israel und israelische Zivilisten und der Verbrechen, die jetzt durch die israelische Armee in Gaza stattfinden, werden wir die Debatte über Nahost weiterführen. Es wird in der Gesellschaft diskutiert und natürlich auch unter unseren Mitgliedern.

taz: Sie waren auf dem letzten Landesparteitag im Oktober 2024 daran beteiligt, einen Antrag zum Thema Antisemitismus abzuändern, was im Nachgang zum Austritt von Klaus Lederer und anderen führte. Sorgen Sie sich vor der Wiederholung eines solchen Szenarios?

Wolter: Der Landesvorstand und die bisherigen Vorsitzenden haben seitdem einen wichtigen Diskussionsprozess angestoßen, der Gesprächskanäle eröffnet hat, nicht nur in unserer Partei, sondern auch mit der Zivilgesellschaft. Beispielsweise zu Organisationen, die Monitoring und Opferberatung zu Antisemitismus betreiben. Das hat die Sensibilität erhöht, dass wir nicht noch einmal in so eine Situation hineinlaufen. Ich habe mir vorgenommen, diesen Dialog zu intensivieren und zu verstetigen. Wir sind als Partei hier in einem fortlaufenden Lernprozess und da auch schon ein gutes Stück vorangekommen.

taz: Die Berliner Linke hat seit Oktober ihre Mitgliederzahl auf 15.000 verdoppelt. Wie gehen sie organisatorisch mit diesem Wachstum um?

Wolter: Wir haben bereits im Bundestagswahlkampf den Neumitgliedern viele Angebote gemacht, mitzumischen. Ohne sie und auch ohne die langjährigen Mitglieder und Unterstützung von Nichtmitgliedern wären wir auch nicht in diesen Massen an den Haustüren gewesen. Jetzt organisieren wir Aktionskonferenzen, wo wir vorstellen, was wir bislang machen und vor allem auch Räume öffnen für neue Ideen, neue Arbeitsgruppen. Wir wollen Möglichkeiten schaffen, damit sich die Neuen schnell inhaltlich-programmatisch, aber auch ganz praktisch einbringen können.

taz: Welche Konflikte gibt es, wenn die vielen jungen Neumitglieder auf die bestehenden Strukturen treffen?

Wolter: In meiner Ortsgruppe sagte eine junge Genossin, sie würde gerne, dass wir beim nächsten Mal bei der Vorstellungsrunde unsere Pronomen sagen. Ein älterer Genosse über 80 hat das erst nicht richtig verstanden, nachgefragt, und nach der Wiederholung der Bitte sagte er nur: „Ach so, nee, bei der Linken, da sind wir alle per Du.“ Das brachte alle gemeinsam zum Schmunzeln. Aber das bringt auch ganz gut auf den Punkt, dass manche Fragen heute eine ganz andere Rolle spielen als früher, ob das Geschlechtergerechtigkeit ist, Klima oder Arbeitszeitverkürzung. Da kann es auch mal zu Missverständnissen kommen. Zentral ist dabei nur, dass wir uns zuhören und voneinander lernen.

taz: Die Linke setzt wieder vermehrt auf Sozial- und Mieterberatung. Erst kürzlich hat sich die Arbeitsgemeinschaft „Die Linke Hilft“ gegründet. Ist das etwas Neues oder die Rückbesinnung auf PDS-Zeiten als Kümmerer-Partei?

Wolter: Im Grunde gibt es das Konzept schon ewig in der Linken. Da spielen natürlich auch die Erfahrungen aus den 1990er Jahren mit hinein. Manche nennen es Kümmerer-Partei, für mich ist es eine sorgende helfende Partei. Unsere Abgeordneten bieten schon immer Sozialsprechstunden und Mieterberatungen an, aber jetzt wird das Ganze ausgeweitet, sodass auch unsere Mitglieder Beratungen durchführen. Dazu gehört auch, dass wir weiter an die Haustüren gehen, um zu hören, was bei den Leuten los ist. In dieser Kombination, als einheitliches Konzept gedacht, ist das tatsächlich etwas Neues.

taz: Sie sind seit 6 Jahren Vorsitzende des Bezirksverbands Friedrichshain-Kreuzberg. Was haben Sie dort gelernt, was Sie nun als Landeschefin einbringen wollen?

Wolter: Manchmal kann ich es eigentlich immer noch kaum glauben, dass wir bei der Bundestagswahl erstmals mit Pascal Meiser das Direktmandat im Bezirk gewonnen haben. Der Schlüssel zum Erfolg ist die Verankerung unserer Mitglieder und auch unserer Abgeordneten im Bezirk, Abgeordnetenhaus und im Bundestag. Das sind alles Leute, die ständig in Kontakt sind zu Initiativen, zu Verbänden, die versuchen, bei allen Problemen, ob in Kitas oder auf Spielplätzen, präsent zu sein.

Der Bezirksverband ist ein Melting Pot aus sehr unterschiedlichen Leuten. So unterschiedlich wie alle sind, so stark sind wir dann auch zusammen. Was wir geschafft haben, ist die Arbeit vor Ort in den Mittelpunkt zu stellen und uns weniger um ideologische Fragen zu streiten. Diese Herangehensweise möchte ich gerne auch in den Landesvorstand einbringen.

taz: Was hat Sie eigentlich bewogen für den Landesvorsitz zu kandidieren?

Wolter: Die Berliner Linke steht vor einer riesengroßen Aufgabe, an der ich gern mitarbeiten möchte. Vorrangig ist das der Kampf gegen die fatale Kürzungspolitik von Schwarz-Rot. Der Senat redet über Zahlen, aber nicht mit den Betroffenen. Ich möchte hingegen Ansprechpartnerin für die Menschen und die Zivilgesellschaft dieser Stadt sein, für alle, die in unserer Stadt regelrechte Existenzangst haben.

Angesichts einer großen Verunsicherung durch Kriege, Klimawandel, die Trump-Wahl, Rechtsruck muss die Berliner Politik zumindest den Sorgen der Menschen im Alltag begegnen und ihnen Sicherheit geben. Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass sie einen Schulplatz für ihr Kind kriegen, dass sie ihre Miete weiterbezahlen können, dass der Bus zur Arbeit pünktlich kommt.

taz: Wieso kandidieren Sie im Duo mit dem bisherigen Landesvorsitzenden Maximilian Schirmer?

Wolter: Weil es wichtig ist, dass Vorsitzende auch im Team funktionieren. Wir beide kennen uns gut, machen seit vergangenem Jahr zusammen den Podcast der Berliner Linken und haben eine ähnliche Vorstellung davon, was wir gemeinsam voranbringen möchten. Wir haben beide eine ähnliche Geschichte, die trotzdem ganz unterschiedlich ist.

Wir sind Nachwendekinder, er aus Ost-Berlin, ich vom Land aus Mecklenburg-Vorpommern, waren an verschiedenen Stellen in der Partei aktiv. Er hat eine große Landeserfahrung, ich weiß wie mein Bezirk, aber auch die Bundesebene tickt. Maximilian Schirmer kommt mehr aus der antifaschistischen, ich aus der feministischen Arbeit. Das ergänzt sich gut, auch weil wir, glaube ich, unterschiedliche Leute ansprechen.

taz: In Ihrer Instagram-Bio steht unter Lieblingsessen Currywurst und Weißweinschorle. Kann man das übersetzen mit den Zielgruppen, die Sie ansprechen wollen?

Wolter: Ein bisschen ist es das, ja. Ich will mich dagegen wehren, dass man durch das, was man konsumiert, in Schubladen gesteckt wird. Mir ist es egal, ob jemand Kuh- oder Hafermilch trinkt und welche Klamotten man trägt. Die Frage, ob Bier oder Wein, ist keine nach Proletarier oder Hipster, sondern eher eine nach der regionalen Herkunft. Mich interessiert vielmehr, was die Leute wollen, woran sie arbeiten, wofür sie brennen.

taz: Der Leitantrag beim Parteitag am Samstag trägt den Titel „Wir holen die Stadt zurück.“ Zentrales Thema ist die Mietenpolitik. Damit sagt die Linke eigentlich das, was sie immer sagt. Zieht das noch?

Wolter: Angesichts dessen, dass der Wegner-Senat neoliberale Instrumente aus der Mottenkiste holt, ernsthaft wieder über Privatisierungen nachdenkt, statt in der Krise zu investieren und für einen gut funktionieren Sozialstaat zu sorgen, ist das „Zurückholen“ vielleicht ein wiederholter, aber auch ein aktueller Kampf. Und auch bei den Mieten werden Errungenschaften, die es unter Rot-Rot-Grün gab, etwa der Mietenstopp bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, zurückgedreht.

Und wie undemokratisch ist es eigentlich, dass der Senat den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ immer weiter verschleppt? Dessen Umsetzung bleibt für uns eine zentrale Forderung. Bei den Hunderttausenden Haustürgesprächen, die wir in Berlin geführt haben, waren die hohen Mieten Thema Nummer Eins. So lange die Mietenkrise nicht gelöst ist, wird sie immer Schwerpunkt linker Politik sein.

taz: Die Linke will eine Vision für eine „rote Metropole“ erarbeiten. Wie stellen Sie persönlich sich die vor?

Wolter: Die Wohnungen in unserer Stadt befinden sich zum allergrößten Teil in kommunaler Hand. Darüber hinaus sind auch weitere Bereiche vergesellschaftet, wie die Energie oder leerstehende Shopping-Center, die dann als Sorgezentren für Gesundheitsversorgung, soziale Treffpunkte oder Kitas dienen. Es wird nur noch versiegelt, wenn an anderer Stelle genauso viel Grünfläche entsteht, um dem Klimaschutz gerecht zu werden. Und das Wahlrecht ist ausgeweitet auf die 20 Prozent der Menschen mit Migrationsgeschichte, die bislang nicht wählen dürfen.

taz: Braucht die Linke bei der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2026 einen Spitzenkandidaten, der selbstbewusst das Amt des Regierenden Bürgermeisters anstrebt?

Wolter: Wir können mit breiten Schultern und Selbstbewusstsein in diese Wahlen gehen und das werden wir auch tun. Über Personalfragen wird sich der neu gewählte Landesvorstand dann zunächst mal intern verständigen und dann einen Vorschlag machen.

taz: Alle prominenten Gesichter sind ausgetreten oder in Richtung Bundestag verschwunden.

Wolter: Die Berliner Linke hat wunderbare Politikerinnen und Politiker, die einen vielleicht bekannter, die anderen noch nicht so bekannt. Mit wem wir in die Wahl gehen, werden wir später entscheiden.

taz: Sie waren Mitarbeiterin von Katja Kipping, Wäre sie eine geeignete Kandidatin?

Wolter: Katja Kipping hat als Arbeits- und Sozialsenatorin eine sehr gute Politik gemacht.

taz: Wie ist ihr Verhältnis?

Wolter: Super. Ich gehe gerne mit ihr im Treptower Park spazieren.

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