piwik no script img

Israels Iran-AngriffDer siebte Tag

Nicht nur Nuklearanlagen und Militärbasen werden getroffen. Israelische Raketen treffen auch die Grundpfeiler der iranischen Unterdrückung.

Teheran, 16. Juni: Blick über die Stadt, Rauch steigt dort auf, wo israelische Raketen eingeschlagen sind Foto: Majid Asgaripour/WANA/reuters

Teheran taz | Mitten in Teheran steht eine Betonfestung – das Hauptgebäude des Geheimdienstes der Revolutionsgarden (IRGC). Die meisten Iranerinnen und Iraner erinnert es an nächtliche Verhaftungen, Isolationshaft und Geständnisse im Staatsfernsehen. Denn der Dienst spielt seit Jahren eine zentrale Rolle bei der Repression im In- und Ausland.

Am Sonntag wurden ihr Chef Mohammad Kasemi und sein Stellvertreter durch israelische Raketenangriffe auf das Gebäude getötet. Die israelische Armee erklärte ihren Tod, kurz darauf bestätigte ihn auch die iranische Nachrichtenagentur Tasnim. Schrittweise war die ehemalige Abteilung der Revolutionsgarden nach den Protesten von 2009 zu einer eigenen Organisation ausgebaut worden.

Heute dient sie der Überwachung, sie verbreitet Angst und erstickt jede Opposition. Sie ist die am meisten gefürchtete Sicherheitsbehörde im Iran. Auch der Hauptsitz des Geheimdienstministeriums in Teheran wurde getroffen. Als älteste Sicherheitsbehörde der Islamischen Republik ist sie für die Spionageabwehr und die Unterdrückung zuständig. Zwischen dem Ministerium und dem Geheimdienst der IRGC hat sich im Laufe der Jahre eine Rivalität entwickelt. Beide ringen um die Vorherrschaft bei der Inlandsüberwachung und übertreffen sich gegenseitig.

Die Kommandozentrale der iranischen Polizei

Auch im Hauptquartier der iranischen Polizeikräfte in Teheran schlugen israelische Raketen ein. Am vierten Tag des Konflikts berichteten Medien von der Zerstörung des Gebäudes. Die Kommandozentrale, darin insbesondere ihre Anti-Aufruhr-Einheiten, spielten in den letzten Jahren eine führende Rolle bei der Unterdrückung von Straßenprotesten.

War die Behörde lange nur für normale Polizeiarbeit zuständig, konzentrierte sie sich zunehmend auf die Verfolgung politischer Dissidenten und Frauen. Mahsa Amini, die junge Frau, deren Verhaftung und anschließender Tod in Haft 2022 landesweite Proteste auslöste, war von Beamten einer dieser Abteilungen festgenommen worden. Die berüchtigte Sittenpolizei, die für die Verhaftung unverschleierter Frauen zuständig ist, ist Teil der Behörde.

Krieg gegen das Regime und seine Behörden

Israel schwört immer wieder, dass der Krieg dem iranischen Regime gilt, nicht seiner Bevölkerung. In einer Fernsehansprache erklärte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu Beginn der israelischen Angriffswelle auf den Iran: „Unser Krieg gilt dem Regime – nicht dem iranischen Volk“, und fügte hinzu: „Ihre Befreiung ist näher als je zuvor.“

Es war erschreckend zu sehen, wie ein ausländischer Feind auf Persisch zur Evakuierung aufrief.

Nader, 32, aus Teheran

Viele iranische Oppositionelle glauben, dass Israel mit den Angriffen etwa auf das Polizeikommando und die staatlichen Medien eine konkrete Botschaft vermitteln möchte: Nicht nur das Regime sei das Ziel, sondern die Säulen der Unterdrückung.

Nader, 32, aus Teheran, sagte der taz: „Es war erschreckend zu sehen, wie ein ausländischer Feind auf Persisch zur Evakuierung aufrief. Es hieß: ‚Verlassen Sie das Gebiet – unsere Ziele sind Einrichtungen des Regimes.‘ Unsere Regierung hingegen sagte uns, wir sollten an Ort und Stelle bleiben.“ Tatsächlich flohen vor allem zu Beginn der Angriffswelle Tausende Iranerinnen und Iranern aus Teheran. Auf den Straßen herrschte Chaos, Fliehende verstopften die Straßen aus der Stadt.

Angst und Hilflosigkeit

Setareh, 24, Angestellter eines Teheraner Start-up-Unternehmens, sagte der taz am Telefon: „Ehrlich gesagt, im Moment des Einschlags habe ich nur Angst und Hilflosigkeit gespürt. Vielleicht hilft die Schwächung des Regimes unserer Freiheitsbewegung auf lange Sicht – aber im Moment wollen wir einfach nur am Leben bleiben.“

Im Moment wollen wir einfach nur am Leben bleiben.

Setareh, 24, aus Teheran

Das Regime versucht derweil, die Grenzen zwischen sich und dem Volk zu verwischen. Staatliche Medien bezeichnen die Angriffe als Angriffe auf das Vaterland. Auf einmal berufen sie sich auf nationalistische Symbole, die das Regime zuvor lange unterdrückte.

Befreiung oder Chaos?

Diejenigen, die in Teheran geblieben sind, stellen sich nun Fragen: Was bringen die Raketen? Helfen sie uns? Sie befürchten, dass der Krieg nicht die Befreiung, sondern das Chaos bringen könnte.

Am siebten Tag liegt über Teheran ein Gefühl der Fassungslosigkeit – als ob hier Geschichte geschrieben, etwas Symbolisches passieren würde. Es herrscht eine seltsame emotionale Spannung: Die Menschen empfinden Genugtuung, wenn sie sehen, wie Symbole der Unterdrückung fallen, fürchten aber auch den Krieg, die Unruhen und auch die nationale Demütigung, die sie jetzt ertragen müssen. Neben dieser Angst bleibt kaum Raum für Freude oder Hoffnung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Wer noch mal eine Erinnerung braucht wer da im Iran "regiert" sollte sich zwingend die Arte Dokumentation von vor 3 Monaten "1979: Aufstieg des Islamismus" einmal in Ruhe angucken.

    Für die Suchfaulen hier ein Link: 1979: www.youtube.com/watch?v=msj3QCEGMKk

    • @Thomas O´Connolly:

      Und damit ist alles gesagt, und es bedarf keine Gegenposition mehr. Danke sehr.