Der Wiener Exzentriker Hermes Phettberg: Jeansboys können nicht sterben
Wie schade es um ihn ist. Eine Liebesbekundung an Hermes Phettberg anlässlich seines Begräbnisses auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Ich gebe zu, ich kann Beerdigungen nicht ausstehen. Nicht nur wegen der Trauer. Im Winter auch noch wegen der Kälte. Der Zentralfriedhof in Wien ist saukalt. Die Aufbahrungshalle auch. Im Sarg liegt Hermes Phettberg und friert – wenn er nicht tot wäre. Gestorben ist dieser charismatische Erotomane, dieser radikale Wiener Masochist am 18. Dezember mit 72 Jahren. Und jetzt erweist ihm gefühlt halb Wien heruntergekühlt die letzte Ehre. Als müssten die „Wienys“ in der Stille kurz innehalten. Um wenigstens inmitten von Toten dem derzeitigen politischen Chaos des Landes zu entfliehen.
Alle sind sie da. Die Freunde Josef Hader, Kurt Palm, Armin Thurnher, seine „Nothelfys“ Roman Berka, Hannes Moser und eze, sein „Gottesbeweis“. Wie Hermes seinen Lebensmenschen nannte. Aber auch jene sind womöglich zugegen, die zeitlebens einen großen Bogen um diesen Einzelgänger gemacht haben.
Tot scheint Phettberg für selbige erträglicher zu sein als lebendig. Denn lebend war dieses „größte österreichische Gesamtkunstwerk“, wie ihn Harald Schmidt einmal nannte, für viele eine Provokation. Einer, der, so wie er lebte, aussah, dachte und sprach, die österreichischen Spießbürger*innen stets auf die Palme brachte. Einer, der in der paternalistischen Ösi-Gesellschaft, die sich, wie der Sarg nun von der Aufbahrungshalle zum Grab, auf direktem Weg zu einem illiberalen Staat befindet, extrem polarisierte.
Angeführt von sechs ganz in Jeans gekleideten Sargträgern folgt die Trauergemeinde schweigend dem toten Hermes. Genau so, wie er es schon zu Lebzeiten testamentarisch festlegen ließ. Stille Prozession, kein Priester, keine Trauerreden, kein Brimborium. „Nur eine brennende Kerze soll zeigen, wie schad es um jedes ist! UM JEDES.“
Sobo Swobodnik ist ein in Berlin lebender Autor und Filmemacher. Über Hermes Phettberg hat er den Film „Der Papst ist kein Jeansboy“ gedreht und war seitdem mit ihm befreundet.
Besonders um Hermes. Dessen Vergangenheit mir jetzt in der zugigen Friedhofsluft wie unsere gemeinsamen Erinnungssplitter durch den Kopf dampft, als wär’s ein geschwenktes Weihrauchfass.
Ministrant und Pastoralassistent
Hermes Phettberg wurde 1952 als Josef Fenz im niederösterreichischen Hollabrunn geboren. Schon als Jugendlicher entdeckte er seine Homosexualität. Er wurde Ministrant und Pastoralassistent, scheiterte aber an den Erwartungen, Pfarrer zu werden.
„Meine Mama wollte, dass ich Priester werde, ich wollte wichsen ohne Ende.“ Mit 37 Jahren wurde er, der bis dahin in der niederösterreichischen Landesregierung gearbeitet hatte, frühpensioniert.
Depressiv und fettleibig, schien er dann, inzwischen in Wien lebend, am Ende. Bis er schließlich eine sagenhafte Wiederauferstehung als Wiener Exzentriker und gefeierter Fernsehstar erlebte.
In 19 Folgen wurde Phettberg als Talkmaster seiner „Nette Leit Show“ im ORF zur Berühmtheit. Und weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt. Er schuf eine ganz eigene Form der Late-Night-Show, die mit der Eröffnungsfrage „Eierlikör oder Frucade?“ die österreichische Prominenz (Valie Export, Manfred Deix, Tobias Moretti, Hermann Nitsch u. v. a.) im Sessel analysierte. Mit leiwand Einschaltquoten. Während sich Hermes gleichzeitig in schamloser Offenheit und schonungsloser Selbstkritik offenbarte.
Auf der Suche nach Liebe und Akzeptanz
Der ikonografische Ausnahmekünstler wurde zum Liebling der Medien und zum Freund der Intellektuellen. Dabei war er selbst immer nur auf der Suche nach so etwas wie Liebe. Und Akzeptanz. Die sich in der Sehnsucht nach den von ihm vergötterten „Jeansboys“ materialisierte.
„Was ist eigentlich ein Jeansboy“, fragte ich Hermes bei unserem letzten Treffen. „Du“, sagte er, was dann doch etwas zu euphemistisch klang, aber seiner Vorstellung von Jeansboys nahe zu kommen schien. Für ihn war ein Jeansboy eine geile Metapher für die unerfüllte Sehnsucht nach Liebe und Glück in Gestalt von halbnackten, ebenso geilen jungen Männern in engen Jeanshosen.
Nach zwei erfolgreichen Jahren 1995/96 war Schluss mit der „Nette Leit Show“ im Fernsehen. Und Phettbergs Ruhm fing an zu verblassen. Danach verlor er alles, woran er bis dahin gehangen hatte. Seine Gesundheit (drei Schlaganfälle, ein Herzinfarkt, Diabetes), sein Gewicht (von 170 Kilo magerte er auf 70 Kilo ab), sein Geld, seine Berühmtheit. Schlussendlich auch seine Sprache.
Was blieb, war Österreichs bekanntester pflegebedürftiger Sozialhilfeempfänger, der sich beeindruckend willensstark ans Leben klammerte. Als gäbe es tatsächlich nur das eine. Sein Leben und die Erinnerung an bessere Zeiten, als Herrentoiletten und Fetische noch seine große Leidenschaft waren. Als er sich, angetrieben von eigenen Komplexen und devoter Lust, sadomasochistisch auszuleben versuchte.
Zur Benutzung freigegeben
So entstanden seine legendären Kunstperformances. In einem dieser, man könnte auch sagen sozialen Kunstwerke, ließ er sich Anfang der 90er Jahre zwei Wochen lang nackt in einer Ausstellung anketten. Gepaart mit dem unmissverständlichen Appell, seinen Körper in jeder erdenklichen Weise zu benutzen.
Der performative Akt trug den Titel „Verfügungspermanenz“ und beschäftigte sich mit der herrschaftsfreien Kennzeichnung des eigenen Begehrens. Oder auch mit der rituellen Unterwerfung in der sadomasochistischen Aufstellung. Vielleicht auch als Akt des Verhandelns im Spiel der Rollenzuschreibung.
Dem einen Spiel sollten noch viele weitere folgen. Die letzte Verfügungspermanenz fand 2015 anlässlich meines Dokumentarfilms über Phettberg „Der Papst ist kein Jeansboy“ im Schlackekeller oder auch Sündenpfuhl des Berliner Technotempels Berghain statt. In der Inszenierung und Ausstattung von Hannes Hametner und Scumeck Sabottka wurde Hermes im seidenen Negligé, mit goldener Krone, von vier halbnackten Jeansboys, beschallt von Antonin-Artaud-Texten, ausgepeitscht. Während er immer wieder, fast flehend, „Fester! Fester!“ schrie.
Diese eigenwillige Kunstfigur zwischen SM-Aktivismus, Trash-Theater, Schriftstellerei und Fernsehen, für die das Privateste zutiefst öffentlich, auch politisch war, brachte Phettberg das verharmlosende Etikett des „kultigen Wiener Originals“ ein.
Blitzgescheiter Außenseiter
Was er aber keineswegs war. Denn Kult und Original sind nichts anderes als billige Zuschreibungen, die erfunden werden, um selbige zu verkaufen. Aber vermarkten ließ sich dieser blitzgescheite Außenseiter mit dem selbstironischen Humor, dieser melancholisch an sich selbst leidende Narzisst einfach nicht. Dafür war er zu speziell, zu unbestechlich, zu wenig massenkompatibel. Oder wie er einmal über sich selbst sagte: „Ich habe mich zu wenig druntermischen können.“
Hermes Phettberg war ein in jeder Hinsicht provokanter Pionier. Eine avangardistische Ikone. Er war Wegbereiter für Toleranz und Selbstbestimmung. Ein Vorkämpfer für die queere Bewegung. Anfang der 80er Jahre outete er sich bereits als homosexuell im homophoben Österreich und lebte sein Schwulsein als TV-Star öffentlich aus. Er trat für eine geschlechterübergreifende, selbstbestimmte Sexualität ein, gründete die „Libertine Sadomasochismus Initiative“ und verlangte die Schaffung einer „Hochschule für Pornografie und Prostitution“.
Aber auch sprachlich war Phettberg seiner Zeit weit voraus. Schon vor mehr als drei Jahrzehnten verwendete Phettberg eine geschlechterneutrale Sprache. Er benutzte für alle Personenbezeichnungen den neutralen Artikel „das“ und fügte an den Wortstamm im Singular -y im Plural -ys an. Aus Lesern wurden Lesys, aus Spießern Spießys. Einfach genialy.
Von 1991 bis zu seinem Tod schrieb Phettberg in dieser geschlechtsneutralen Sprache für die Wiener Stadtzeitung Falter wöchentlich seinen „Predigtdienst“. Insgesamt kamen 1.624 Kolumnen zusammen. In denen auch das Sterben (der Tod muss ja bekanntlich ein Wiener sein) immer wieder eine Rolle spielte.
Die Menschen sind total schön
Als ich ihn bei unserem letzten Treffen fragte, ob es ein Jenseits gäbe und ob er in den Himmel oder in die Hölle käme, antwortete er: „In den Himmel. Oder in die Hölle. Oder beides. Egal, ich will Gutes tun, wo ich nur kann. Ich bin davon überzeugt, dass der Himmel so ähnlich ist wie das Internet. Jesus meinte, wir müssen keusch leben. Aber es ist nicht so, wir müssen nicht keusch leben. Wir sind voller Geilheit, voller sexueller Lust, die Menschen sind total schön, und wenn wir einander sehen, können wir einander begehren. Das muss nur noch in Gotty integriert werden.“
Vielleicht kann Hermes, jetzt in der ausgehobenen Grube versunken, Gotty dabei helfen. Vom Zentralfriedhof aus. Auf dem sich langsam das kleidsame Schwarz zwischen den Gräbern lichtet. Die Sonne bricht plötzlich wie Frucade durch die Wolken, unter denen es noch immer windet als läge Wien am Meer. Und wo es so verdammt kalt ist.
Da hilft auch der am Grab ausgeschenkte Eierlikör nichts. Die Trauer bleibt. Um Hermes. Dem man nur wünschen möchte, dass er endlich da ankommt, wo die Liebe wohnt. Wo ihm die Jeansboys mit den Rohrstabln das Totsein im Jenseits versüßen. Und versohlen. Damit für ihn unsere abgründige Welt, vor allem aber das immer rechtspopulistischer werdende Alpenland, leichter zu vergessen ist. Baba und Halleluja!
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