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Musiker HAXAN030Der Welt entgegen­schreien

Zwischen Techno und Rap, Unangepasstheit und Selbstzweifeln macht der Berliner HAXAN030 Musik, die sich was traut. Dahinter steckt viel rohe Energie.

Klingt nach Katharsis: HAXAN030​ Foto: Hakan Halaç

Berlin taz | Ein Parkhaus in der Friedrichstraße. Abendsonne scheint auf grauen Beton. Großstadtromantik. Verlassen steht es da. Wenige Autos und keine Menschen. Das schrille Quietschen der vorbeifahrenden Straßenbahn tut in den Ohren weh. „Hallo“, ruft es freundlich von oben. Hakan Halaç lehnt sich über die Brüstung im 9. Stock. „Da links ist der Aufzug“, ruft er. Das Parkhaus in Berlin-Mitte beherbergt nicht nur vereinzelte Autos, sondern auch seinen Proberaum.

In einer selbst gemachten Jacke, von deren Rückseite einem das Gesicht von Matthew Perry, dem verstorben „Friends“-Darsteller, entgegenblickt, steht er in dem stickigen, mit Instrumenten und anderem Equipment vollgestellten Raum. Lieber raus und nach oben, die Aussicht genießen.

Wer HAXAN030s Musikvideos gesehen hat, könnte das Parkhaus wiedererkennen. Es ist ein wesentlicher Bestandteil seiner Ästhetik. Es sei ein Liminal Space, so Hakan Halaç. Ein Ort des Übergangs. Abends oder nachts, wenn Halaç hier oft Zeit verbringt, sei meist niemand da.

Dennoch ist es kein verlassener Ort, sondern ein praktischer. Menschen nutzen ihn, weil sie ihn brauchen, nicht, weil sie es dort genießen. Normalerweise verbringt man hier keine Zeit. Es ist nicht unbedingt gruselig, aber surreal. Auf Reddit kann man viele Diskussionen lesen, was genau ein Liminal Space ist. Es könnte auch gar kein Ort, sondern ein emotionaler Zustand sein, schreibt ein User. Irgendwas im Dazwischen.

Die EP

HAXAN030: „CREATOR/DESTROYER“ (aufewigwinter)

Im Dazwischen ist auch HAXAN030s Musik, nämlich zwischen Genres. In der Musik bezeichnet man Künstler:innen, die etwas radikal Neues ausprobieren und bewusst mit Traditionen brechen, gerne als avantgardistisch. Sie seien innovativ und progressiv. Alternativ wird auch oft zum Wort „experimentell“ gegriffen.

Adjektive wie diese sind ein Versuch, schwer Greifbares in eine Schublade zu stecken – so auch Musik, die sich zwischen harten Techno-Beats, Hardcore-Metal-Einflüssen und Rap-Vocals bewegt und dazu noch Haltung zeigt.

Aufgewachsen im Berliner Randbezirk Lankwitz, gründete Halaç vor circa zehn Jahren aus einem Jugendzentrum heraus mit Freunden die Band Kora Winter, damals noch mehr Alternative als Metal, sind sie heute eine feste Größe in der Szene. Als „Avantgarde-Metal-Band“ werden sie beschrieben. Halaç ist der Frontsänger. Doch auch wenn er es liebe, „es ist schon echt harte Arbeit, eine Band am Leben zu erhalten“, erzählt er. Aus einem Wunsch nach einfach mal machen entstand so das Soloprojekt: HAXAN030.

Die ersten EPs „RAW“ und „WAR“ kamen bereits 2019 und 2020 heraus, kurz darauf „Gargoyle“ 2021. Nun folgt im September die nächste EP: „CREATOR/DESTROYER“. Dennoch gelte er oft als Newcomer, erzählt er. Vielleicht liegt es daran, dass sein Sound ungewohnt ist.

Hart, blechern, quietschend

Während frühere Tracks nach dunkel-düsterer Großstadtatmosphäre klingen, ist die neue EP vor allem noch energischer. Weniger Rap-Parts, schnellere elektronische Musik. Schon beim Zuhören fühlt es sich an, als würde der Boden vibrieren. Auf seinem Instagram-Account kommentierte es jemand als „ADHS-Musik“. Treffend. HAXAN030 kombiniert Beats, mal hart, mal blechern, mal quietschend mit mal flüsternden, mal schreienden bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Vocals.

Es ist keine simple Musik, sondern vielschichtiges Chaos. Es ist Musik in Großbuchstaben mit Ausrufezeichen. In diesem musikalischen Gewitter liegt etwas Faszinierendes. HAXAN030 arbeitet bewusst mit Überforderung, erzeugt Reibung und dadurch Energie.

Auch die Texte zielen nicht auf Gefälligkeit: In ihnen entlädt sich eine Wut auf die Welt. So rappt er auf „RÜKCK!“ gemeinsam mit Rapper Tape Head und Produzent Noni: „So lange das Wasser, das uns bis zum Halse steht, nicht voller Scheiße ist, ist das nicht mein Problem. So lang der Schuh nur drückt, wenn man läuft, kein Schritt nach vorn, kein Schritt zurück.“

Kritik an Post-Punk-Bands und Mitläufern

Er kritisiert kapitalistische Systeme, er kritisiert Post-Punk-Bands und Mitläufer, er kritisiert Atzen und Musiker, die Feminismus als Marketing nutzen. Er rappt: „Ich kenn hier keinen, will hier keinen kennen“ – gleich auf zwei Songs.

Die Unangepasstheit ist ein Motiv, das sich durch seine gesamte Diskografie zieht. Neben der Musik arbeitet Halaç als Toningenieur in einer Produktionsfirma, die bereits für verschiedene Podcasts ausgezeichnet wurde, ist selber Podcast-Host. Nach Unangepasstheit klingt das nicht unbedingt. Ein Leben in zwei Welten.

Denn sein musikalisches Schaffen sei geprägt von einer inneren Unsicherheit. Auch wenn ihm niemals jemand gesagt habe, seine Kunst sei anstrengend, habe er lange Angst gehabt, dass es Menschen nicht gefallen könnte oder gar jemandes Erwartungen nicht erfüllt. Also greift er es kurzerhand selber auf, sampelt in „PUSHOVER“ ein Zitat: „Was ist das für eine Musik? Hört sich scheiße an. Viel zu viele Effekte drauf.“

Stress, Zerfall, Selbstüberforderung

Perfektionismus habe ihn vor allem während seiner letzten EP „Gargoyle“ angetrieben, danach plagte ihn eine musikalische Blockade. „Ich dachte, das, was ich als nächstes mache, muss genialer sein als das letzte, und irgendwann wusste ich, ich kann daran nicht festhalten, muss es aktiv umgehen.“

Also macht er Songs immer dann, wenn sie ihm in den Sinn kommen. Bringt Singles direkt raus, anstatt die EP komplett zu konzipieren. Nur zwei Songs auf der EP werden voraussichtlich komplett neu sein beim Erscheinen. Der Titel „CREATOR/DESTROYER“ ist deshalb für ihn eine „Erinnerung daran, dass ich jederzeit von null anfangen kann, wenn ich das will.“

„CREATOR/DESTROYER“ klingt nach Katharsis. Die Tracks greifen mit musikalischer Intensität innere Spannungen und gesellschaftlichen Druck auf: Wut, Stress, Zerfall, Selbstüberforderung. HAXAN030 zwingt Hö­re­r:in­nen in die Konfrontation mit unangenehmen Gefühlen. Es geht weniger darum, ob er gut ankommt, mehr darum, was er loswerden will. Er schreit einem die rohe Selbstoffenbarung geradezu entgegen.

Diese Energie ist vor allem für schwitzige Clubs und Moshpits gemacht. „Alles, was ich mache, ist für eine Live-Experience, nicht zum Nebenbei-Dudeln. Ich finde nach wie vor, dass das ein Erlebnis ist, das du niemals ersetzen kannst.“ Und es scheint aufzugehen.

Auf Instagram und Tiktok teilt HAXAN030 Ausschnitte seiner Auftritte. Unaufhaltsam tanzt und springt er über die Bühne, wirft sich ins Publikum, schreit Songtexte und ab und zu Ansagen wie: „Ihr Schnarchnasen, das ist kein Beauty Contest, bewegt euren Arsch.“ Halaç nennt es „kompromisslose Energie zwischen Punk-Show und Rave.“

Ein Parkhauswächter kommt vorbei, nickt nur einmal kurz rüber, scheint Hakan Halaç zu kennen. Wenn man dem Reddit-User glauben und einen Liminal Space auch als gefühlten Zwischenzustand wahrnehmen möchte, könnte man sagen, HAXAN030 hat seinen vielleicht überwunden, ist weniger auf der Suche nach seinem Sound, sondern hat ihn mit der neuen EP definiert.

Langsam verschwindet die Sonne hinter den Bürogebäuden, „der Kapitalismus hat etwas Friedvolles“, sagt Hakan Halaç, während die Straßenbahn unaufhaltsam weiter quietscht.

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