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Der Wahn der ReichsbürgerDas Problem reicht viel weiter

Die Reichsbürger-Gruppe mag wirr und skurril erscheinen. Doch sie ist eine ernsthafte Gefahr – und über ihre Pläne hinaus als Symptom zu betrachten.

Operettenhafte Vorstellungen von einem Staatsstreich: Razzia bei Heinrich XIII. Prinz Reuß Foto: Boris Roessler/dpa

E s ist keine Übertreibung, wenn man sagt: Die „Reichsbürger-Gruppe“, die so zweifelhafte Bekanntheit erlangt hat, ist trotz ihrer scheinbaren Lächerlichkeit eine ernsthafte Gefahr. Diese rechtsextreme Zelle, die in einer großen Polizeiaktion ausgehoben wurde, ist in ganz Deutschland und Österreich aktiv. Ihr wird die Planung eines gewaltsamen Staatsstreichs vorgeworfen. Sie ist über ihr unmittelbares Tun, über ihre Pläne hinaus auch als Symptom zu betrachten.

Dafür ist einerseits das spezifische Milieu relevant. Wer da verhaftet wurde, das waren ja bekanntlich nicht die typischen Neonazis – sondern Sicherheitskräfte, Ärzte, eine AfD-nahe Richterin, ein Promi-Koch sowie – als Krönung – ein „Prinz“. Ein bürgerliches Netzwerk also (mit einer adeligen Kopfnote) – alles „Querdenker“ und Verschwörungstheoretiker. Was hier somit sichtbar wurde, ist „eine Radikalisierung von Teilen des bürgerlichen Milieus“, wie Barbara Junge schrieb.

Dazu gehört auch die seltsame Mischung aus Skurrilität und realer Gewalt: ein wirrer Prinz – sein Hauptquartier im Schloss „Waidmannsheil“ – das verpeilte Weltbild – operettenhafte Vorstellungen von einem Staatsstreich. Und zugleich: ein militärischer Arm mit technischem Knowhow für Terroranschläge.

Der Erfolg eines solchen Umsturzes mag eine Fantasie gewesen sein, nicht aber der Plan eines bewaffneten Angriffs auf den Deutschen Bundestag in Berlin. Die Skurrilität hat sich zu einer realen Bedrohung entwickelt.

Recht auf „Widerstand“ ableiten

Das Problem aber geht darüber hinaus. Denn was hier sichtbar wurde, ist nur die Spitze des Eisbergs. Oder anders gesagt: Was hier explizit wurde, ist Symptom eines weit reichenden gesellschaftlichen Phänomens. Diese „Otto Normalbürger“ sind getrieben von einer vehementen Ablehnung aller staatlichen Institutionen.

Sie sehen den Staat – den deutschen ebenso wie den österreichischen – als usurpiert von fremden Mächten und die jeweils gewählte Regierung folglich als illegitim. Daraus leiten sie ihr Recht und die Legitimität ihres bewaffneten „Widerstands“ gegen diesen angeblich fremden Staat ab.

Wenn man nun das Wahnhafte daran abzieht – die Verschwörungstheorien aller Art –, dann bleibt etwas Entscheidendes übrig: Diese Leute erkennen sich in den Institutionen des Staates nicht wieder. Sie verstehen diese nicht als die ihren. Und genau das ist kein Randphänomen. Diese Fremdheit zur staatlichen Ordnung wird hier zur metaphorischen Fantasie von fremden Mächten.

Es ist die wahnhafte „Darstellung“, die phantasmatische Verzerrung eines verbreiteten Phänomens – eben des sich Nicht-Wiedererkennens im Staat. Dieses tiefe Misstrauen den staatlichen Institutionen gegenüber geht weit über das direkte Sympathisantenmilieu hinaus. Das teilen immer mehr Menschen. Und es hat in der Covidpandemie noch mal Aufschwung genommen.

Extremes Gegenteil einer republikanischen Ordnung

Das aber greift ein zentrales Moment des Republikanischen an: Denn dieser beruht eben darauf, dass sich die Bürger im Staat wiedererkennen. Dass sie den Staat nicht als fremden, sondern als eigenen begreifen.

„Reichsbürger“ sind also das radikale Gegenbild eines Citoyens, das extremste Gegenteil einer republikanischen Ordnung. Aber in all ihrem Wahn und in all ihrer Radikalität docken sie an ein weit verbreitetes Unbehagen an: Sie sind der verzerrte Ausdruck, das Symptom für ein tiefes Unbehagen vieler Bürger am Staat. Sie sind Symptom eines zunehmenden Nicht-Funktionierens.

Bei diesen „Reichsbürgern“ ist das Misstrauen, die Fremdheit gegen den Staat umgeschlagen. Ihr Ziel sei es, so die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, „die bestehende staatliche Ordnung zu überwinden und durch eine eigene Staatsform zu ersetzen“. Das zentrale Wort hier ist: eigene. Es geht um die Vorstellung eines Staates, der als „eigener“ verstanden wird – in dem man sich eben wiedererkennt.

Jenseits skurriler Wahnhaftigkeit und jenseits vom Abdriften eines bürgerlichen Milieus in den nackten Terror gilt es, dieses Phänomen auch als Symptom ernst zu nehmen. Die Gefahr beschränkt sich nicht auf die Gewaltbereitschaft. Das Problem reicht viel weiter.

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10 Kommentare

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  • Wenn man weder über Geschichtswissen noch sonst relevante Bildung verfügt, kann einen dieser Artikel womöglich wirklich davon überzeugen, hier wachse etwas ganz arg Neues, nicht zufällig, wie die VerfasserInnen, aus dem unermesslichen geistigen Reichtum der "sozialen Netzwerke". Kenner der Deutschen & ihrer Geschichte wissen dagegen, dass diese Milieus seit über 100 Jahren bestehen. Auch damals haben sie von Staatsstreichen geträumt, hatten deutlich gefährlichere, weil meist gefechtserfahrene Militärs auf ihrer Seite. Und waren doch chancenlos gegen die Mehrheit der Bevölkerung, die sich von solchen offensichtlichen Spinnern nicht führen lassen wollte. Sie wählte stattdessen Hitler. Deshalb wiederum gab es mal solche Ideen wie "Erinnerungskultur" & " wehren den Anfängen". Hat aber nicht funktioniert, wie man an diesem "Presseartikel" sehen kann.

    • @JulianM:

      Und mancher Möchtegern-Intellektuelle ist doch nur ein Däumling auf dem Feldherrenhügel, der meint die Wiese sei der Wald.

  • Naja es ist doch nachvollziehbar, dass Viele sich nicht vom Staat repräsentiert fühlen. Ein deutscher Unternehmenserbe mit steuerrelevanten Wohnsitz in der Schweiz, der kürzlich die Firmenzentrale auf die Bahamas verlegt hat und ansonsten eher mittellos ist da er all sein Geld in seine "wohltätige" Stiftung "spendet", der fühlt sich zurecht repräsentiert. Seine Wünsche und Sorgen werden von den Spitzenpolitikern in persönlichen Gesprächen bei hervorragendem Essen angehört und ernstgenommen. Er bekommt jederzeit einen Termin bei einem Regierungsmitglied und seine Vorschläge werden umgesetzt, wenn er auf dem Papier in finanzielle Schwierigkeiten gerät ist die Frage eigentlich nur "brauchst du Milliarden oder reichen Millionen?"



    Der Rest des Volkes wird nach Strich und Faden verarscht und ausgenommen wie eine Weihnachtsgans, im Stich gelassen, z.B. mit seinem schwerkranken Kind nach Hause geschickt und soll gefälligst nachweisen dass er wirklich zwei 2,50 Euro mehr braucht und es sich da nicht um sowas wie spätrömische Dekadenz handelt.



    Natürlich führt das zu Widerstand.

    • @Eva Kern:

      "Der Rest des Volkes wird nach Strich und Faden verarscht."

      Jetzt mal ehrlich - das haben Sie doch vom Chrupalla abgeschrieben, oder?

    • @Eva Kern:

      "Naja es ist doch nachvollziehbar, dass Viele sich nicht vom Staat repräsentiert fühlen."

      Ich fühle mich vom Staat nicht repräsentiert, weil er auf meiner Menschenwürde als trans Frau herumtrampelt oder weil er selbst mit grüner Regierungsbeteiligung eine Politik der de-facto-Klimawandelleugnung verfolgt, bei der eine Einhaltung der selbstgesetzten Klimaziele unmöglich ist, während Protest dagegen als "Klima-RAF" kriminalisiert wird. Oder weil dieser Staat sich als Interessenvertretung der Besitzstandswahrer versteht und dafür weite Teile der Bevölkerung verarmen lässt. Oder weil er zur Sicherung seiner Grenzen Sklavenmärkte und Internierungslager in Libyen akzeptiert und zigtausende im Mittelmeer etrinken lässt oder weil er die für sein Wirtschaftssystem unerlässliche Massenarbeitslosigkeit mit einem ausgefeilten, entmenschlichenden Drangsalierungssystem verwaltet und was es sonst noch so an Beispielen für seine unter der sauberen republikanischen Oberfläche lauernde Gewalttätigkeit gibt. Ich könnte durchaus noch eine Weile mit Beispielen für die viehische Brutalität der BRD weitermachen, ohne auch nur einen einzigen Punkt aufzuzählen, über den Reichsbürger jemals nachgedacht hätten.

      Reichsbürger und Querdenker fühlen sich nämlich deshalb nicht repräsentiert, weil sie im Zug zum Tragen einer Maske aufgefordert würden, wenn sie denn Bahn fahren würden, statt ihren Jaguar mit der schwarz-rot-weiß überklebten EU-Flagge am Nummernschild zu nehmen. Die regen sich auf, weil sie nicht genug gehätschelt werden. Das sind die Probleme, die die haben.

      Dass Sie hier eine kleinbürgerliche Terrortrupe aus Adeligen, Richtern und Cops mit Leuten gleichsetzen, die um Transferleistungen betteln müssen, ist ein schlechter Scherz. Das Milieu, dass Sie in ihrem ersten Absatz beschreiben, finanziert doch solche Spinner. Schauen Sie sich mal an, was ein Herr von Finck Jr. zu Lebzeiten so getrieben hat.

      Reichsbürger sind das Symptom einer Elite, die den Kanal nie voll genug kriegt.

  • Fern skurriler Wahrhaftigkeit in deutscher Gesellschaft von links bis rechts durch die Mitte setzen Spiritus Rex Figuren auf allgemein vorhanden abrufbare Unkenntnis in staats-, verfassungsrechtlichen Belangen, wie der bis 2022 gutachterlich ungestört hundertfach tätige Psychiater bei Gerichten in Hamburg, Hessen, Berlin Klaus Maurer *1966 aus Leipzig, wenn es um Gutachten ging Für und Wider notwendiger Bestellung gesetzlichen Betreuers für bestimmte Person, der 2012 Buch "Die BRD-GmbH" schrieb als Reichsbürger Network Leitschrift. Maurer bedient sich wie alle Populisten Dreiklangs rechtliche Wirklichkeiten relativieren, finden sie dabei auf niedrigem Niveau im lakonischen Plauderton Resonanz, folgt Delegitimierung zuerst einzeln staatlicher Instanzen, dann Staates Bundesrepublik, Grundgesetzes, weil Deutschland nur eine GmbH sei und damit zwar handelsrechtlich aber nicht völkerrechtlich geschäftsfähig sein kann, wenn ja, sind dann Mitgliedschaften Deutschlands in internationalen Organisationen UNO, WTO, WHO, Nato zwar handelsrechtlich abgeschlossen gültig, aber staats- und verfassungsrechtlich mit Völkerrecht als Referenzgröße null und nichtig? Selbst Hitlers Einführung deutscher Staatsbürgerschaft zum 1. Mai 1934 meint Maurer sei irrelevant, Deutsches Reich von 1871 bestehe verfassungsrechtlich fort, weil geteiltes Deutschland nach 1945 zwar 1949 zwei Staaten auf deutschem Boden gründete verfassungs- und völkerrechtlich besetzt von Alliierten in Ost und West nicht geschäftsfähig war, Friedensvertrag mit ehemals 53 kriegführenden Ländern abzuschließen, auch wenn es mit DDR 1958 zu Friedensvertrag mit Warschauer Vertragsstaaten kam. Mauer nennt nicht sich sondern jene Reichsbürger, die deutschen Personalausweis haben. Nur von ganz unten den Gemeinden aus sei neuer deutscher Staat zu bilden. Das klingt strategisch, strukturell gefühlte Verteidigungsunfähigkeit in Bevölkerung für Fall X, Ausnahmezustand nach NS-Staatsrechtler Carl Schmitt (1888-1985) zu stiften

    • @Joachim Petrick:

      Quelle: Der Spiegel 33-42-2022.

      Da hilft politische Bildung, Demokratie Vermittlung durch Bildung, Teilhabe in Schulen, UNIs, Medien, Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden, Wirtschaft

  • Soweit alles richtig. Nur steht dem verbreiteten Unbehagen über das zunehmende Nicht-Funktionieren des Staates in immer mehr Bereichen paradoxerweise auch der ebenso verbreitete Impuls entgegen den immer dysfunktionaleren status quo mit Klauen und Zähnen von vornherein gegen jede Veränderung zu verteidigen. Wenn aber der öffentliche Diskurs jede Vorstellung davon verloren hat, dass weder die Demokratie als solche, noch die Verfassung, auf ihre 'marktkonforme' Interpretation festgelegt sind, dass langjähriger Gewohnheitstrott, weder normativen Charakter haben muss, noch Beweis seiner Richtigkeit ist, dann wird es eben auch für den Citoyen eng.

  • Es geht hier um Menschen mit einem sog. geschlossenen Weltbild. Solche Menschen werden sich in egal welchem politischen System nicht wider finden (es sei denn, sie stellen selber die Regierung). Es lohnt sich also nicht, sich mit deren politischen Vorstellungen zu beschäftigen.

    Eine vernünftige Antwort auf das Phänomen der (selbst-) abgespaltenen Individuen kann daher nur aus drei Teilen bestehen:

    1.) man sorge dafür, dass sich (gleich gesinnte) Menschen mit geschlossenen Weltbildern nur begrenzt organisieren können.

    2.) braucht es eine politische Kommunikation, die verdeutlicht, daß sich Querderdenker und Co. von sich aus von der Gesellschaft abspalten..und nicht umgekehrt..wie sie gerne behaupten.

    3.) man sorge dafür dass ein "empathischeres Klima" in der Gesellschaft zum tragen kommt..indem sich auch "Querköpfe" irgendwie beheimatet fühlen können.

    • @Wunderwelt:

      Zu Punkt 3.) würde ich gerne etwas ergänzen:

      Man lehne die Aussage, die Ansicht, das Weltbild ab, Aber nicht den Menschen.



      Man widersprechen, ohne den Menschen abzuwerten oder zu kränken.

      Wenn Menschen aufgrund ihres Weltbildes keinen Anschluss mehr zu Menschen mit anderem Weltbild finden, enstehen die ideologisch heterogenen Netzwerke ganz automatisch. (siehe auch Punkt 1.) )