Der Wahn der Reichsbürger: Das Problem reicht viel weiter
Die Reichsbürger-Gruppe mag wirr und skurril erscheinen. Doch sie ist eine ernsthafte Gefahr – und über ihre Pläne hinaus als Symptom zu betrachten.
E s ist keine Übertreibung, wenn man sagt: Die „Reichsbürger-Gruppe“, die so zweifelhafte Bekanntheit erlangt hat, ist trotz ihrer scheinbaren Lächerlichkeit eine ernsthafte Gefahr. Diese rechtsextreme Zelle, die in einer großen Polizeiaktion ausgehoben wurde, ist in ganz Deutschland und Österreich aktiv. Ihr wird die Planung eines gewaltsamen Staatsstreichs vorgeworfen. Sie ist über ihr unmittelbares Tun, über ihre Pläne hinaus auch als Symptom zu betrachten.
Dafür ist einerseits das spezifische Milieu relevant. Wer da verhaftet wurde, das waren ja bekanntlich nicht die typischen Neonazis – sondern Sicherheitskräfte, Ärzte, eine AfD-nahe Richterin, ein Promi-Koch sowie – als Krönung – ein „Prinz“. Ein bürgerliches Netzwerk also (mit einer adeligen Kopfnote) – alles „Querdenker“ und Verschwörungstheoretiker. Was hier somit sichtbar wurde, ist „eine Radikalisierung von Teilen des bürgerlichen Milieus“, wie Barbara Junge schrieb.
Dazu gehört auch die seltsame Mischung aus Skurrilität und realer Gewalt: ein wirrer Prinz – sein Hauptquartier im Schloss „Waidmannsheil“ – das verpeilte Weltbild – operettenhafte Vorstellungen von einem Staatsstreich. Und zugleich: ein militärischer Arm mit technischem Knowhow für Terroranschläge.
Der Erfolg eines solchen Umsturzes mag eine Fantasie gewesen sein, nicht aber der Plan eines bewaffneten Angriffs auf den Deutschen Bundestag in Berlin. Die Skurrilität hat sich zu einer realen Bedrohung entwickelt.
Recht auf „Widerstand“ ableiten
Das Problem aber geht darüber hinaus. Denn was hier sichtbar wurde, ist nur die Spitze des Eisbergs. Oder anders gesagt: Was hier explizit wurde, ist Symptom eines weit reichenden gesellschaftlichen Phänomens. Diese „Otto Normalbürger“ sind getrieben von einer vehementen Ablehnung aller staatlichen Institutionen.
Sie sehen den Staat – den deutschen ebenso wie den österreichischen – als usurpiert von fremden Mächten und die jeweils gewählte Regierung folglich als illegitim. Daraus leiten sie ihr Recht und die Legitimität ihres bewaffneten „Widerstands“ gegen diesen angeblich fremden Staat ab.
Wenn man nun das Wahnhafte daran abzieht – die Verschwörungstheorien aller Art –, dann bleibt etwas Entscheidendes übrig: Diese Leute erkennen sich in den Institutionen des Staates nicht wieder. Sie verstehen diese nicht als die ihren. Und genau das ist kein Randphänomen. Diese Fremdheit zur staatlichen Ordnung wird hier zur metaphorischen Fantasie von fremden Mächten.
Es ist die wahnhafte „Darstellung“, die phantasmatische Verzerrung eines verbreiteten Phänomens – eben des sich Nicht-Wiedererkennens im Staat. Dieses tiefe Misstrauen den staatlichen Institutionen gegenüber geht weit über das direkte Sympathisantenmilieu hinaus. Das teilen immer mehr Menschen. Und es hat in der Covidpandemie noch mal Aufschwung genommen.
Extremes Gegenteil einer republikanischen Ordnung
Das aber greift ein zentrales Moment des Republikanischen an: Denn dieser beruht eben darauf, dass sich die Bürger im Staat wiedererkennen. Dass sie den Staat nicht als fremden, sondern als eigenen begreifen.
„Reichsbürger“ sind also das radikale Gegenbild eines Citoyens, das extremste Gegenteil einer republikanischen Ordnung. Aber in all ihrem Wahn und in all ihrer Radikalität docken sie an ein weit verbreitetes Unbehagen an: Sie sind der verzerrte Ausdruck, das Symptom für ein tiefes Unbehagen vieler Bürger am Staat. Sie sind Symptom eines zunehmenden Nicht-Funktionierens.
Bei diesen „Reichsbürgern“ ist das Misstrauen, die Fremdheit gegen den Staat umgeschlagen. Ihr Ziel sei es, so die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, „die bestehende staatliche Ordnung zu überwinden und durch eine eigene Staatsform zu ersetzen“. Das zentrale Wort hier ist: eigene. Es geht um die Vorstellung eines Staates, der als „eigener“ verstanden wird – in dem man sich eben wiedererkennt.
Jenseits skurriler Wahnhaftigkeit und jenseits vom Abdriften eines bürgerlichen Milieus in den nackten Terror gilt es, dieses Phänomen auch als Symptom ernst zu nehmen. Die Gefahr beschränkt sich nicht auf die Gewaltbereitschaft. Das Problem reicht viel weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance