Der Kürbis und der Herbst: Eigentlich bloß Dämmstoff
Kürbislasagne, Kürbisauflauf, Kürbismus, Halloween – der Kürbis ist die Geißel des Herbstes. Dabei hat er gar nicht viel zu bieten.
Das Klima mag sich wandeln und das Wetter verrückt spielen, aber eines ist doch sicher: Liegt der Kürbis im Schaufenster, steht der Herbst vor der Tür. Oder so: Köchelt die Kürbissuppe im Topf, fallen die Blätter vom Baum. Oder noch anders: Wenn die Blätter vom Baum fallen, raschelt es im Papierwald, und zwar gewaltig. Die Zeit nämlich, in der sich angeblich „alles um den Kürbis dreht“, ist angebrochen, mit „Rezepten, die Sie unbedingt probieren müssen“.
Kürbislasagne. Kürbisbowle. Kürbisauflauf mit Kartoffel und Hühnchen. Low-Carb-Kürbisfrittata und glutenfreies Kürbismus. Kürbismarmeladen, -waffeln und -kuchen. Kürbisbrot. Kürbisquiche. Kürbis süß-sauer. Fermentierter Kürbis.
Reicht es Ihnen schon?
Kürbisgelee mit Orange. Im Ofen gebackener Butternusskürbis. Kürbisfrikadellen, Kürbiscrostini mit Apfel-Lauch-Pesto, Kürbis-Kräuter-Stampf, Kürbischutney, Puten-Kürbis-Pie, Kürbisrisotto mit Pilzen, Leck-mich-am-Arsch-Kürbis.
Kürbisweitwurf
Und dabei haben wir uns noch gar nicht mit den Kürbis-Events beschäftigt. Die sind zum Teil noch bekloppter als die Rezepte. Der wahnwitzige Kürbisweitwurf – eine Sportart aus der Kürbisherkunftsregion Nordamerika – freut sich längst großer Beliebtheit auch zwischen Wildegg und Gierath-Gubberath (Orte, die hier nicht nur aufgrund ihres drolligen Namens aufgelistet werden, sondern weil sie tatsächlich als Austragungsorte solcher Wettkämpfe auffällig geworden sind).
„Punkin Chunkin“, so bezeichnet der US-Amerikaner dieses Schleudern von Kürbissen, bei dem in der Regel mechanische Hilfsmittel zur Anwendung kommen. Im Bundesstaat Delaware wird sogar eine Weltmeisterschaft ausgetragen, immer am ersten Wochenende nach Halloween. Der Rekord liegt bei rund 1.430 Metern. Dieses Jahr allerdings muss der Wettbewerb ausfallen: Die Veranstalter stecken in einem Rechtsstreit mit einer Frau, die 2016 verletzt wurde, weil sich ein großes Teil einer Kürbisschleuder beim Abschuss gelöst hatte.
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Ja, der gemeine Kürbis ist in der Regel Amerikaner, wie ein Blick in das Kürbislexikon belegt: Atlantic Gigant und Baby Bear, Baby Boo, Blute Ballet, Blue Hubbard, Mini Bottle, Mini Red Turban, Neck Pumpkin.
Und so ahnt man, woher der Kürbis-Hype rührt, der vor einigen Jahren über uns kam. Halloween, das Kürbisevent schlechthin, hat längst das gute, alte „Rübengeistern“ verdrängt, bei dem im Herbst frisch geerntete Futter- und Zuckerrüben mit einem Löffel ausgehöhlt und mit einem Messer zu Fratzen verziert wurden.
Andererseits kann man in einer ausgehöhlten Zuckerrübe nicht über einen See fahren. Warum man das tun wollte? Es gibt durchaus Menschen, die solche Fahrten in Kürbissen absolvieren. Einfach, weil Herbst ist.
Im nordrhein-westfälischem Mechernich wurde die diesjährige „Kürbisregatta“ bereits durchgeführt, wie der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete. Die für die Regatta benötigten Kürbisboote wurden von dem Kürbis-Experten Udo Karkos mithilfe von Säge und Messer aus etwa 350 Kilo schweren Kürbissen hergestellt. Karkos hält übrigens nach eigener Auskunft den Weltrekord für die größte Halloween-Kürbis-Laterne: „Ich habe einen 1.190,5 Kilo Kürbis ausgehöhlt und mit 4.500 Lumen zum Leuchten gebracht“, zitiert ihn die Zeitung.
Kürbisfestival
Das Gewicht der Kürbisse beschäftigt die Menschen allerortens. 12.000 Menschen kamen vergangenes Wochenende zum Ippenburger Herbstfestival, dort wurde die 13. Niedersächsische Kürbismeisterschaft ausgetragen. Der Siegerkürbis stammte auch in diesem Jahr aus Bösel im niedersächsischen Landkreis Cloppenburg und wog stolze 498,9 Kilogramm – groß genug für eine Skandinavienfähre.
Beim Meeraner Kürbisfest – Meerane liegt im Nordwesten des Landkreises Zwickau, Sachsen – war vergangenes Wochenende auch schwer was los, wie die Chemnitzer Freie Presse berichtete. Hier ging es jedoch nicht um Gewicht, sondern um Kreativität: Prämiert wurden die am kreativsten gestalteten Kürbisse, unter den Gewinnern war die Kita „Regenbogen“, die für ihre bunt bemalten Kürbisse im Bollerwagen ausgezeichnet wurde. Sogar der örtliche Fleischer hatte sich ob des Kürbisfestes zu veganen Höhen aufgeschwungen und offerierte Kürbis-Roster, Kürbis-Beefsteak und Kürbis-Gemüsetaler.
Wobei uns das weite Feld der Kürbiskulinarik nicht ablenken soll vom Unwesen des teilweise zum Verzehr gar nicht geeigneten sogenannten Zierkürbis. Besonders dieser, mal genoppt und mal gestreift, mal in Grün und mal in Orange, ist geeignet, uns allesamt in den sepiafarbenen herbstlichen Wahnsinn zu treiben. Er lauert überall, auf oder gar in der Fleischtheke, im Café, das ansonsten unser Vertrauen genießt, im Kuchen und auf dem Tisch.
Bekannte, die über einen Garten verfügen, bringen einem das Zeug gleich tütenweise mit. Spätestens jetzt betritt man als gutgewillter Freund regionaler pflanzlicher Erzeugnisse abschüssiges Terrain. Denn wer jetzt nicht Obacht gibt, wird zur Desperate Housewife und marmoriert plötzlich pralle Zierkürbisse mit Wasserfarbe in den Trendfarben Mauve und Hibiskusrot. Oder klappert die Geschäfte nach Zieräpfeln und Heidekraut ab, um ein dekoratives Kürbis-Ensemble für den Esstisch zu zaubern.
Ja, der Kürbis ist die Geißel des Herbstes, weil es einfach kein Entrinnen gibt. Kürbis im Herbst ist wie Spargel im Frühsommer und Dominosteine im Winter. Lebensmittel, die zu Verfolgern werden – obwohl gerade Dominostein und Kürbis eigentlich gar nicht viel zu bieten haben.
Was ist eigentlich so interessant am Kürbis, dessen Fruchtfleisch über einen eher belanglosen Eigengeschmack verfügt. Leicht süßlich, breiig, muffig. Bei Licht betrachtet ist das Kürbisgewebe nichts anderes als eine farbige Trägersubstanz, die man mithilfe von allerlei Gewürz ordentlich pimpen muss, damit das Gericht auch schmeckt. Was wäre eine Kürbissuppe ohne den entscheidenden Ingwer?
Zugegeben: Stellt man es richtig an – so wie die Italiener – und röstet den Kürbis, zerstampft ihn mit Thymian, Muskat und Parmesan zu einer Masse, die man hernach mit Nudelteig ummantelt, bekommt man etwas wirklich Feines. Cappellacci di Zucca nämlich.
Kürbispop
Auch dem Pop hat dieses Gemüse etwas geschenkt. Das Album „Mellon Collie and the Infinite Sadness“ von der amerikanischen Indie-Band The Smashing Pumpkins ist lobend zu erwähnen, wenn es im Allgemeinen um die Bedeutung des Kürbis geht. Ansonsten aber besinne man sich, frei nach Goethe, lieber auf des Kürbis’ Kern: Das Öl, das man in der Steiermark aus den Kernen des „Steirischen Ölkürbis“ gewinnt, ist etwas, das den Hype tatsächlich verdient. Auch im slowenischen Teil der Steiermark wird das kostbare Öl gewonnen und darf hier gemäß EU-Verordnung ausschließlich unter der Produktbezeichnung „Štajersko prekmursko bučno olje“ (Steirisches Kürbiskernöl jenseits der Mur) vermarktet werden.
Von den Österreichern wird die dunkel schimmernde Substanz auch liebevoll als „Maschinenöl“ bezeichnet. Sie schmeckt vorzüglich, zum Beispiel im Salat. Und zwar das ganze Jahr über. Nicht nur im Herbst.
Aber halt, stopp. Gerade ist noch eine Meldung reingekommen. „Manfred hat den Mega-Kürbis“ berichtet die Bild-Zeitung über Ex-Lokführer Manfred Rauch, 76, aus Reinheim. 550 Kilo!
Wahnsinn.
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