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Der Koalitionsvertrag und die OzeaneDa sollte Meer drin sein

Union und SPD müssten beim Meeresschutz Ernst machen, doch wollen sie Fischerei und Erdgas fördern. Umweltverbände fordern eine Schutzoffensive.

Unterwegs in der Ostsee: Das Forschungsschiff „Clupea“ erforscht Schäden, die die Grundschleppnetz-Fischerei verursacht, 2025 Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Berlin taz | Die Ozeane sind die wichtigsten Klimaschützer der Erde: Sie schlucken gewaltige Mengen CO₂, regulieren Temperaturen und stabilisieren das Wetter. Doch im Koalitionsvertrag von Union und SPD tauchen sie kaum auf. Sieben Sätze widmet die wohl nächste Bundesregierung dem Meeresschutz – inklusive des Versprechens, „ein besonderes Augenmerk auf den Kampf gegen die Verschmutzung, den Erhalt der Biodiversität und die Beseitigung von Munitionsaltlasten“ zu legen.

Die Zeit drängt. Nord- und Ostsee leiden Forschenden zufolge bereits stark unter den Folgen von Erderhitzung und Umwelteingriffen. Ausgerechnet die Klimaschutz-Pläne der künftigen Koalitionäre dürften den Druck auf die Ökosysteme noch erhöhen: Der Ausbau der Offshore-Windenergie soll fortgesetzt, CO₂ im Meeresboden gespeichert werden.

Gleichzeitig müssen laut EU-Renaturierungsgesetz bis 2030 zehn Prozent der europäischen Meeresflächen streng geschützt werden – auch in Deutschland. Das bedeutet: Klima- und Naturschutz im Meer müssten besser verzahnt werden.

„Der Schutz der Ostsee als vom Klimawandel besonders betroffenem Binnenmeer hat für uns Priorität“, erklärt der Koalitionsvertrag. Ein Vorhaben: In Ostdeutschland soll ein „Kompetenzzentrum“ für die Bergung von Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee entstehen. Das laufende Berge-Programm der Vorgängerregierung soll fortgesetzt werden.

Noch-Umweltministerin betont Erfolge

Kontinuität gibt es auch beim Geld: Durch Versteigerungen von Gebieten für Offshore-Windparks flossen bereits 400 Millionen Euro in einen Meeresschutzfonds für Projekte in Nord- und Ostsee. Laut Koalitionsvertrag soll dieser Fonds bestehen bleiben.

Eine Absage an neue Öl- und Gasförderung in der Nordsee fehlt jedoch. Das Umweltministerium stellt auf taz-Anfrage klar: Vorhaben wie das geplante Gasfeld vor Borkum seien „weder mit den Klimazielen noch mit dem Schutz des Weltnaturerbes Wattenmeer“ vereinbar. Trotzdem startete Ende März dort ein Testbetrieb.

Steffi Lemke, geschäftsführende Umweltministerin (Grüne), war Gegnerin des Projekts, setzte sich aber in der Ampelkoalition nicht gegen SPD und FDP durch. Dennoch zieht sie eine positive Bilanz: „Die Meeresoffensive der alten Regierung hat den Schutz der Ökosysteme verbessert“, sagte sie der taz.

Diese habe eine dauerhafte Finanzierung des Fonds sichergestellt, der nun von Union und SPD fortgeführt wird. Im Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz stehen laut Umweltministerium zusätzlich 112,3 Millionen Euro für den Meeresschutz bereit.

Grundschleppnetze bleiben erlaubt

Manch Umweltschützender hält das für widersprüchlich. „Deutschland investiert Millionen in die Renaturierung von Seegraswiesen oder Algenwäldern, erlaubt aber weiterhin die Grundschleppnetzfischerei, die genau diese empfindlichen Ökosysteme wie den Nationalpark Wattenmeer zerstört“, kritisiert Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz (DSM).

Grüne Mi­nis­te­r*in­nen hätten sich mit „Händen und Füßen“ gegen den EU-Beschluss gewehrt, die Fangmethode in Meeresschutzzonen bis 2030 einzustellen.

Zwar schuf Lemke mit der Amrumbank eine erste „Nullnutzungszone“ in der Nordsee. Vor Borkum und Sylt gelten zudem neue Fischereibeschränkungen. Doch laut einem Bündnis aus 13 Umwelt- und Meeres-NGOs, darunter die DSM, müsste mindestens die Hälfte aller bestehenden Schutzgebiete vollständig nutzungsfrei werden.

Im Koalitionsvertrag fehlt eine solche Regelung ganz. Dort heißt es: „Wir stehen zur Fischerei und stärken deren Entwicklung“ – und zwar entsprechend der Empfehlungen zweier Expert*innen-Kommissionen.

Eine davon, die „Zukunftskommission Fischerei“, hat am Dienstag ihren Abschlussbericht vorgelegt. Ein Ende der Schleppnetzfischerei in Schutzzonen taucht darin nicht auf. Stattdessen empfiehlt sie „umweltschonendere Fangmethoden“ und finanzielle Anreize. Die ältere „Leitbildkommission Ostseefischerei“ erwähnt immerhin das EU-Vorhaben, das ein Auslaufen der umstrittenen Fangmethode bis 2030 vorsieht.

Offene Baustelle in der Hochsee

Auf internationaler Ebene bleibt die Koalition vage. Sie verspricht, sich weiterhin für eine vorsorgliche Pause im Tiefseebergbau einzusetzen. Keine Aussage gibt es zum UN-Hochseeschutzabkommen, das große Meeresgebiete unter Schutz stellen soll.

Diesen Vertrag hat Deutschland bereits im Jahr 2023 unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Das Umweltministerium begründet die Verzögerungen mit den Neuwahlen und gibt vor, den Prozess zügig wieder aufnehmen zu wollen. Zudem kündigte es eine ressortübergreifende Meeresstrategie an. Ob die neue Regierung an den grünen Kurs anknüpft, ist offen.

Der WWF mahnt zur Eile. Anna Holl-Buhl, Meeresexpertin der Organisation, fordert: „Die neue Bundesregierung muss schnellstmöglich eine Schutzoffensive für Nord- und Ostsee umsetzen.“ Der Druck auf die Meere steige – durch Bebauung, Lärm, Überfischung. „Die Fischbestände gehen zurück, ikonische Arten wie Schweinswale verschwinden.“

Holl-Buhl hofft auf eine neue Meeresraumordnung bis spätestens 2026. Sie soll Klimaschutz, Naturschutz und Energiepolitik unter einen Hut bringen. „Nur so können die Meere zur Bekämpfung der Klima- und Biodiversitätskrise und zur Sicherung unserer Ernährungs- und Wirtschaftsgrundlagen beitragen“, sagt sie.

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1 Kommentar

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  • Nun, den Wählern dieser Parteien geht Klimaschutz doch am Allerwertesten vorbei. "Mir doch egal". "Hauptsache, mir geht es noch gut". "Ich bin ja dann schon tot." "Klimawandel hat es doch immer schon gegeben. Ganz natürlich." So und ähnlich lauten die Antworten aus meinem konservativen bis rechten Umfeld auf die Frage nach Klimaschutz und lebenswerter Zukunft für die nächsten Generationen. Die Politik liefert wie bestellt.