Der Hausbesuch: Sie bringt den Propheten zum Berg
Manchmal hängt Ulrike Bruinings eine Kirche an ihr Auto. Damit tourt sie durch die evangelische Diaspora im Hochschwarzwald.
Gottesdienst to go? Ja schon irgendwie. Vor allem aber kommt eine Pfarrerin mit einer mobilen Kirche leicht mit Menschen ins Gespräch. Und was könnte mehr verbinden?
Draußen: Zwischen den bewaldeten Anhöhen des Hochschwarzwalds liegt eine Wiese. Ein Bach fließt vorbei. Wasser wird umgeleitet in ein blau gestrichenes Becken. Zum Kneippen ist es gedacht, aber die Kinder vom nahe gelegenen Spielplatz planschen lieber darin herum. Auch einen Kiosk gibt es hier, einen Minigolfplatz und ein Brotbackhäuschen. Manchmal wird es angeheizt, dann kommen die Bewohnerinnen und Bewohner von Falkau, deren Häuser verstreut auf den Anhöhen stehen, um hier gemeinschaftlich zu backen. Gerade steht noch etwas auf der Wiese, ein Schäferwagen, aus dem oben ein Glockenturm ragt. Es ist die Schäferwagenkirche. Seit auch sie in Falkau ist, hat der zersiedelte Ort so etwas wie ein Zentrum. Ein Kirchspiel – für kurze Zeit.
Drinnen: In und am Schäferwagen ist alles funktional. Ein paar Schränke, ein Waschbecken, ein mobiler Altar mit Kreuz und einem Gästebuch. Ein Keyboard ist auch dabei und ein Hocker, der wie ein Schaf aussieht. Über der Deichsel ein Kasten, in dem 20 Bierbänke gestapelt sind; sie dienen als Kirchenbänke bei Gottesdiensten. Auf dem Dach neben dem Glockenturm eine Photovoltaikanlage; die Schäferwagenkirche ist in der Dunkelheit beleuchtet. Selbst das Nummernschild ist Konzept. FR-JO-1014, ein Verweis auf das Evangelium des Johannes, Kapitel 10, Vers 14: „Ich bin der gute Hirte und kenne die meinen und die meinen kennen mich.“
Definitionssache: „Sie wollen einen Hausbesuch bei mir machen, aber das ist nicht mein Haus. Es ist Jesu Haus“, sagt Ulrike Bruinings. Sie will wissen, ob das noch ins Konzept passt. Ja, schwierige Frage. Zwar bewohnt sie die Kirche nicht, aber sie behütet sie. Und ihre Schafe? Die sind in alle Winde zerstreut. Bruinings rennt ihnen nach, sie zieht mit der Schäferwagenkirche durch den Schwarzwald. Diese Woche Falkau, davor stand sie auf dem Feldberg, bald ist sie in Breitnau. Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg.
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Rückbau: Die evangelische Pfarrerin Bruinings, deren Namen einen holländischen Einschlag hat – und es ist ja auch so, ihr Vater kam aus den Niederlanden –, betreut im Hochschwarzwald vier Orte: Titisee, Breitnau, Hinterzarten und die aus mehreren Dörfern zusammengewürfelte Gemeinde Feldberg. „Ein riesiges Einzugsgebiet“ mit 1.200 Mitgliedern. Zählt sie die Leute mit Zweitwohnsitz dazu, sind es 300 mehr. Obwohl es ja eigentlich immer weniger werden. Die Glaubenszweifel, die Austritte. Als das evangelische Gemeindezentrum in Falkau 2021 mangels Rentabilität in monetärer und auch seelsorgerischer Hinsicht verkauft werden musste, kam die Idee auf, von einem Teil des Erlöses die Schäferwagenkirche anzuschaffen. „Wir wollten den Leuten, denen wir was wegnahmen, etwas zurückgeben“, sagt Bruinings. 46.000 Euro hat die Kirche auf Rädern gekostet, alles inklusive, selbst der TÜV. Bauzeit von der Planung bis zur Fertigstellung: zwei Jahre.
Diaspora: Bruinings hatte von solchen mobilen Kirchen gehört. In Eckernförde gibt es eine, in Franken auch, insbesondere als Anlaufstellen für Tourist*innen sind sie gedacht. Dass die im Schwarzwald nun auch eine für die einheimische Bevölkerung ist, hat mit der Diaspora zu tun. Evangelische Kirchenmitglieder im katholisch geprägten Hochschwarzwald, das sind meist die Eingeheirateten, die Zugezogenen, die, die wegen der Arbeit hierher gekommen sind. Wie Ulrike Bruinings und ihre Frau auch.
Jugendarbeit: Aufgewachsen ist Bruinings in Windenreute bei Emmendingen, nördlich von Freiburg. Auf so einem Dorf waren die Ablenkungen in den 1980er Jahren nicht so zahlreich. Immerhin gab es den Kindergottesdienst und einen Pfarrer, der die Kinder einband, ihnen das Gefühl vermittelte, dass sie wichtig sind. Es wurde gesungen, „immer die gleichen Lieder“ und Orgel gespielt. „Das war unser Ding.“ Und nach dem Erwachsenengottesdienst durften die Kinder vor dem Ausgang Spalier stehen. „Hallo, hier sind wir.“ Später kam die Jungschar, „so cool“, danach leitete sie Jugendgruppen. Jugenddelegierte in der EKD-Synode war sie auch. Die Jugendarbeit kam ihr entgegen, wie ihr heute die Schäferwagenkirche entgegenkommt, denn sie ist ein Outdoormensch. Hundesport, Klettern, Skifahren – sie liebt es.
Die Eltern: Es war das Gemeinschaftsprogramm, das Bruinings nah an der Kirche hielt. Von den Eltern sei das nicht ausgegangen. Der Vater, Niederländer, ein Händler, geschieden mit Kind, „was meine Großmutter zeitlebens skeptisch machte“, hatte sich bei der Hochzeit extra taufen lassen, um seinen guten Willen zu zeigen. Erzählt wurde immer das Gleiche, sagt sie: „Dass er bei der Hochzeit einen Krug Wasser über den Kopf geschüttet bekommen hat.“ Die Hochzeitsfrisur: dahin. Die Mutter, aus einer Bauern- und Katechetenfamilie und später Fremdsprachensekretärin, war mit ihrer Mutter am Ende des Krieges aus der Nähe von Breslau geflohen. Die Familie landete in Westfalen. Fünf Menschen in einem Zimmer. „Aber sie hat darüber nie fanatisch getrauert, sondern das ins Verhältnis gesetzt zum Unrecht, das die Deutschen mit dem Weltkrieg verantworten müssen.“ Die Fluchterfahrung der Mutter sei oft Thema, wenn es um Flüchtlinge heute gehe.
Die Familie: Tiermedizin sei eine Option gewesen, aber dann hat Ulrike Bruinings doch Theologie studiert. „Obwohl Theologie im Lesbenzirkus nicht angesagt war.“ Dass sie auf Frauen steht, war ihr früh klar. Auch ihre beiden Schwestern sind mit Frauen verheiratet. „Wenn man der These glaubt, dass es homosexuelle Gene gibt, könnte man in meiner Familie vielleicht fündig werden.“ Auf Familienfeiern hätte sich ihr Vater mitunter etwas verloren gefühlt als einziger Mann, erzählt Bruinings. Einmal hatte sie eine Partnerin gehabt, die einen Sohn hatte. Das habe ihm gefallen, dass da noch einer wie er war.
Toleranz: 1974 geboren, ist Bruining jung genug, um von Beginn ihrer Karriere an zu erleben, dass die evangelische Kirche Gleichgeschlechtlichkeit akzeptiert. Schon in ihrem Vikariat, dann neun Jahre als Gemeindepfarrerin in Karlsruhe, bevor sie ihren Traumjob bekam: Landesjugendpfarrerin beim Oberkirchenrat. Da war sie zuständig für die Kinder- und Jugendarbeit. Vermutlich hätte sie in der Hierarchie auch weiter nach oben steigen können. Ob bis zur Bischöfin? „Für eine lesbische Bischöfin wäre die Zeit wohl noch nicht reif.“ Das soll nicht so klingen, als wolle sie das Amt. „Beileibe nicht“, sagt sie.
Glauben: Das mit dem Glauben habe sie nie in Zweifel gezogen, sagt Bruinings. Frömmigkeitszweifel indes habe sie wohl. „Als Teenager war ich eine strenge politische Streiterin für Gerechtigkeit“, sagt sie. „Wenn da jemand sehr fromm war, das war mir zu eng.“ Wenn man aus der Botschaft Jesu so ein Korsett stricken kann, dann müsse die Botschaft falsch sein. „Glaube ist eine Einladung, keine Pflicht.“ Auf Beerdigungen spreche sie viel darüber, was danach kommt. „Ist das Leben der einzige Tanz, den wir tanzen, oder ist es nur das Intro?“ Der Vorstellung, dass wir es nicht wissen können, der könne sie sich überlassen.
Vehikel: Als vor fünf Jahren die Stelle als Gemeindepfarrerin in Hinterzarten ausgeschrieben wurde, hat Bruinings die Annonce spontan ihrer Frau gezeigt. Die war begeistert. „Da geh ich sofort mit.“ Landschaftlich sei das ein Highlight. Jetzt also hält sie die Gläubigen im Hochschwarzwald zusammen. Da fällt ihr viel ein. Die Schäferwagenkirche ist ein Vehikel für ihre Ideen. Taufen auf dem Feldberg, Campingseelsorge, Jugendfreizeit mit Lagerfeuer und „Schlagerfeuer“, die Kirche immer im Schlepptau. Vergangenes Jahr hat sie sich zudem zur ehrenamtlichen Bergretterin ausbilden lassen, ist Notfallseelsorgerin. Eigentlich sei sie früher eine Ehrgeizige gewesen, „aber da bin ich weg von. Ich will glücklich sein und das, was ich mache, gut machen.“
Politik: Ob sie sich jetzt auch mit so vielen Leuten mit rechten Einstellungen rumschlagen muss? „Na ja, hier hat es eher noch was von Badisch Bullerbü.“ Sie habe mit Seelsorgerinnen im Osten gesprochen, die sich nicht mal mehr trauen, mit Behinderten aufs Land zu fahren, erzählt Bruinings. Das sei im Schwarzwald noch anders. „Das heißt nicht, dass es hier keine Leute gibt, die AfD wählen.“
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