Der Hausbesuch: Er wollte weg aus seinem Schatten
In Griechenland studierte Nicolaos Bitas Philosophie und war Polizist. Heute ist er Kneipenwirt in einer Berliner Gartenkolonie. Dort kennt er alle.
Nicolaos Bitas möchte nur Nico genannt werden. Er führt die Kneipe in der Dauerkolonie Rehberge in Berlin-Wedding.
Draußen: Ein Sturm zieht über die Schrebergärten, aufziehender Regengeruch vermischt sich mit dem Duft des weiß blühenden Jasmin. Deutsche, kanadische, österreichische Flaggen flattern vor den Lauben; ein Mann mit Kopfhörer und weißen Socken mäht seinen Rasen. Gegenüber der aus Backsteinen gebauten Kneipe werden Zelte für das Sommerfest aufgebaut. Schlümpfe und andere Kinderfiguren hängen herum. Eine fast hundertjährige Linde beschattet Nicos Terrasse.
Drinnen: Fotos von weiß-blauen griechischen Dörfern hängen an den Wänden, dazu eine Bouzouki, eine Madonna, allerlei Krimskrams und Porträts von Nicos Eltern unter einer Weinranke und von Nicos Frau mit Hund. In einer Ecke: Kartons mit frisch gelieferten Eiern. Auf einem Hocker: ein Gettoblaster. Dazu Tafeln mit Sinnsprüchen: „Liebe macht blind, aber wer verheiratet ist, kann plötzlich wieder sehen.“
„Nur für Personal“ steht auf einem Tisch am Terrassentor. Mit geöffnetem Hemd, Holzketten und Armbändern sitzt dort der 68 Jahre alte griechischstämmige Berliner und raucht Kette. Zwei Kinder stürmen an ihm vorbei, sie wollen Eis und Lutscher. „Wissen eure Eltern, dass ihr hier bettelt?“, fragt Nico und streicht den beiden über den Kopf. Unter dem gelben Sonnenschirm prostet sich eine Gruppe Männer zu, auf ihrem Tisch steht Whisky. Andere KleingärtnerInnen kommen vorbei, „Hey Horst“ – „Hallo Clara“ – Nico kennt alle.
Die Kneipe: Als Willkommenstrunk gießt Nico Ouzo oder selbst gebrauten Tsipouro ein. Es gibt Nüsse und Zaziki, „damit niemand mit leeren Bauch trinkt“. Manche Kunden sagen, er verschenke zu viel, „egal, solange das Geld zum Leben reicht“. Selbst im Winter, wenn er mal 30 Euro am Tag abkassiert – „knapp für die Heizkosten“, sei sein Laden jeden Tag offen. Im September feiert er sein fünftes Jahr in der Kneipe. Der vorherige Betreiber hatte dichtgemacht, die Kleingärtner überzeugten ihn zu übernehmen, er könne doch kochen. „Wir helfen dir“, sagten sie. Seit 1994 hat er eine Parzelle in der Kolonie. Er wohnt in Kreuzberg, doch in den Rehbergen finde er Ruhe. Nicht mal die Flugzeuge vom nahe gelegenen Flughafen Tegel stören ihn. „Hier fühle ich mich wohl“, sagt er. Und sich wohlfühlen, das sei auch Heimat.
Nach einem Jahr kehrt die Ex-Austauschschülerin Paulina Unfried zurück nach Minnesota. In der taz.am wochenende vom 12./13. August lesen Sie, ob für die Leute dort mit ihrem Wunschpräsidenten Donald Trump nun alles great geworden ist. Außerdem: Eine Reportage aus Sizilien, wo Flüchtlinge ohne Asyl als Wanderarbeiter*innen schuften. Und eine Odyssee des Liebemachens: Wie schwierig im Alter von 60 Jahren doch das Dating geworden ist. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die zweite Heimat: „Wenn ich sterbe, ab nach Griechenland“, sagt Nico, wenn er über Heimat spricht. „Ich möchte nicht hier begraben werden, sondern in der Grabstätte, wo Mama und Papa sind“ – (er bekreuzigt sich jedes Mal, wenn er von seinen Eltern spricht). Deutschland sei seine zweite Heimat, hier wohnen seine Frau, hier wohnt sein Sohn, seine Enkelkinder, doch seine erste Heimat bleibe Griechenland. Anfang der 80er Jahre lernte er dort eine deutsche Frau kennen und kam hierher. „Ich wollte mal gucken, wie es ist. Aus ein paar Tagen sind 35 Jahre geworden.“
Feiern und trauern: Erst lebte er in Wuppertal, wo der jüngste seiner Brüder wohnte. Später hatte er eine Baufirma und nach einem Unfall war er zwei Jahren arbeitslos. In Berlin eröffnete er 1988 ein griechisches Restaurant. Dort traf er seine jetzige Partnerin. Sie wohnte in der Nähe, es gab deutende Blicke. 2009 heirateten sie, sie wollte mal „so ein Kleid“ tragen. Ein Tag nach der Hochzeit starb Nicos Vater. „Er hat wirklich gewartet. Es war Freude und Traurigkeit gleichzeitig“, erinnert er sich. Aus seiner ersten Heimat vermisse er nicht viel. „Es ist nicht mehr das Land von früher. Auch wenn schon damals die Armut riesig war.“
Die Polizei: Als ältestes von fünf Kindern wuchs Nico in einem Dorf, 70 Kilometer von Thessaloniki entfernt, auf. Nach der Schule studierte er Philosophie, doch schnell merkte er, die Universität sei nichts für ihn. „Ich musste Geld verdienen, um meinem Vater zu helfen. Eine siebenköpfige Familie ernährt sich nicht von allein“, sagt er. Schon als Neunjähriger hatte er auf dem Bau mithelfen müssen. Kurz vor seinem 19. Geburtstag zog er nach Athen, fing bei der Polizei an, machte dort seine Kochausbildung, war aber auch Verkehrspolizist und Zivilpolizist auf Demos. Bei Letzterem ging es oft darum, Leute zu „markieren“. Ob er Freunde oder Bekannte anzeigen musste? Er überlegt. „Nein, die wussten alle, wer ich war.“ Vorausgesetzt, dass Demonstranten die Polizisten nicht provozieren, findet Nico es berechtigt, auf die Straße zu gehen. Doch auf der protestierenden Seite war er noch nie. Als er kein Polizist mehr war, traf er zufällig einen ehemaligen Kollegen. „Nico, du warst zu gut für diese Arbeit“, soll der gesagt haben. „Besser wärst du als Pope ,segnend mit Kreuzen, durch die Straßen Athens gelaufen.“ Als gläubiger Orthodoxe fand er die Idee lustig.
Gibt es doch den guten Polizisten? Er glaube an die Gerechtigkeit, sagt Nico. Er sei zur Polizei gegangen, weil er keine Ausnahmen wollte. „Nicht, weil jemand mein Bruder oder mein Vater ist, soll er verschont werden, wenn er Scheiße baut.“ Dann war er enttäuscht. „Die Korruption war überall so groß, dass ich nicht mehr an Gerechtigkeit glaubte.“ Nach der Scheidung von seiner ersten Frau und nachdem er den Dienst bei der Polizei quittiert hatte, entschied er sich auszuwandern. Neuseeland oder Amerika schwebten ihm vor. Am Ende war es Deutschland. „Hauptsache, weg aus meinem Schatten.“ Er sei nie Flüchtling gewesen und doch vor seiner Vergangenheit geflohen.
Grenzen: Als Nico in Deutschland ankam, sei es für ihn einfach gewesen. Er findet, früher war sowieso alles besser. „Wer macht heute schon was Gutes? Niemand“, sagt er. Ja, er sei pessimistisch. „Das Zwischenmenschliche und der Respekt fehlen.“ Deshalb fürchtet er, dass auch Terroristen nach Deutschland ziehen könnten. Er denkt, Grenzen seien notwendig. „In der Kolonie haben auch alle einen Zaun, man muss schon den eigenen Raum schützen. Es kann sein, dass die Nachbarn sich gut verstehen und die Zäune wegnehmen. Aber was passiert, wenn es doch kracht?“ Ob seine Meinung nicht die rechte Ecke bedient? Das denkt er nicht. Er meint, Stammkunden immer wieder erklären zu müssen, warum Menschen fliehen und welche Verantwortung Europa dafür trage. Doch Kontrolle muss sein. „Ich lasse auch nicht jeden bei mir zu Hause rein. Klopft jemand, will ich wissen, wer es ist und was er will, bevor ich die Tür aufmache.“
Wann ist er glücklich? „Wenn Menschen um mich herum zufrieden sind“, sagt er. Und wenn er was zu essen, trinken und rauchen hat.
Merkel oder Schulz? Keiner von beiden. „Merkel sagte: ‚Wir schaffen das‘ und hat dann Griechenland mit der Krise und dem Flüchtlingsproblem im Stich gelassen.“
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