Der HSV im Fall Bakery Jatta: Die neue Antifa des Fußballs
Der HSV antwortet solidarisch auf die Anschuldigungen gegen Bakery Jatta. Der Zusammenhalt zeigt: Der Verein steht an einem wundervollen Wendepunkt.
Von einem knappen Sieg war hernach die Rede, von einem blauen Auge, mit dem der Zweitligaverein noch mal eben davongekommen sei: Reaktionen auf den Sieg des HSV in der ersten Runde des DFB-Pokals beim Drittligisten Chemnitzer FC. Man möchte anmerken: Wer nur dies bei diesem Spiel gesehen, wer die Partie so summiert, hat vom modernen Fußball nichts verstanden.
Und auch wer neben dem Ergebnis die grauenhaften Bilder aus der Chemnitzer Kurve erwähnte, wo dem wegen seiner Nazikontakte gefeuerten Daniel Frahn gehuldigt wurde, auch der hat nicht die ganze Geschichte des Spiels erzählt. Denn war es nicht so, dass ein großer Teil von Fußballdeutschland diesen HSV-Sieg ersehnte? Wegen Bakery Jatta und der Frage, ob er ein Anrüchiger ist oder ein Held, der sich anstrengt und nichts kann für das, was doch die Sache ist. Nämlich: die Wiederauferstehung des HSV als Hamburger SV der Herzen.
Der HSV hat sich – was für eine Inszenierung – sogar erst im Elfmeterschießen durchgesetzt: Das hat Spaß gemacht, so kurz nachdem die Chemnitzer ihren irgendwie rechtshoolradikalen Kapitän schassen mussten. Und so ist es gekommen, dass der HSV bei den Sachsen als Multikulti-Antifa aufgetreten ist gegen den gedungenen Mief, der von Sport-Bild ausging und anderen Medien, die in Jatta keinen fleißigen, durchsetzungsfähigen und freundlichen Mann erkennen wollten, sondern einen Flüchtling mit Schummel-Vita.
Die Solidarität, die der Verein – alle im Verein! – Bakery Jatta angedeihen ließ, erwartet man vom SC Freiburg oder vom FC St. Pauli, eventuell noch von Eintracht Frankfurt. Aber vom HSV – dem Lackschuhclub, der verschnöselsten Fußballkamarilla der Liga? Von dem HSV, der bis neulich glaubte, magisches Denken könnte helfen, der sportlichen Misere aufzuhelfen – so von wegen: Europapokal der Landesmeister 1983 forever?
Der arrogante, herablassende HSV steht am Wendepunkt
Noch in der Vorsaison galt all dies: Ein HSV, der eine Herbstmeisterschaft nicht in den Wiederaufstieg münden lassen konnte, der eine muskulär aufgejazzte Sonderstolperexistenz namens Pierre-Michel Lasogga zum Helden erkor. Ein Verein, der seit 1983 so tut, als stünde ihm zu, dass die Trauben ihm in den Mund fallen und nichts müsse dafür geleistet werden – arrogant, herablassend und fußballplanerisch chaotisch in einem.
Der Fall Jatta ist ein Glücksfall für diesen Verein, und er hat mit ihm bislang alles richtig gemacht. War angemessen scharf empört über die Verdachtsberichterstattung der Sport-Bild, schützte seinen Spieler und kann inzwischen auf einen Kader vertrauen, der wirklich das Lied „You never walk alone“ zu intonieren imstande ist. Kapitän Hunt instagramte: „Die Geschichte von Bakery Jatta. Eine, die mich, unsere gesamte HSV-Familie und eine ganze Stadt traurig stimmt. Eine rein auf Indizien basierende Story ist im Begriff zu einer Kampagne zu werden. Einer Kampagne, die eines Menschen nicht würdig ist.“
Möglich, ach was, sehr wahrscheinlich wird der Fall Jatta als Wendepunkt in die Vereinsgeschichte eingehen, als wichtigstes Detail der Renaissance eines Fußballklubs, der, man glaubt es kaum, mal als cool galt – damals, in den Siebzigern bis in die frühen Achtziger.
Die Fans des HSV, die am Sonntagabend, nachdem auch sie im Stadion Partei für Jatta ergriffen hatten, gen Hamburg zurückreisten, sahen aus wie glückliche Kinder, denen man auf einer Party das Gefühl austrieb, sich für ihre Liebe zum HSV schämen zu müssen. Davon kann keine Rede mehr sein – im Gegenteil.
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