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Der DAX-Rekord ist NonsenseBaisse Baisse Bär und Stierelli Stierllam

Die Wirtschaftswachstumsprognose für 2025 ist bei 0 Prozent und der DAX ist auf einem Rekordhoch. Das muss Börsen-Brainrot sein.

Der DAX ganz oben Foto: Arne Dedert/dpa

R ekord! Rekord! Rekord! Finance-Bros mit zurückgegelten Haaren erheben sich von ihren ergonomischen Swoopstern, ihre grauen Patagonia-Westen reiben aneinander, als sie sich umarmen. „Der DAX knackt die 24.000 Punkte!“, ruft eine Stimme durch einen Lautsprecher, es regnet Konfetti, ein Stier galoppiert durch den Raum.

Wie es in der Frankfurter Börse zuging, als der DAX einen neuen Rekordwert erreichte? Wir können es uns nur vorstellen. Fakt ist, dem Deutschen Ak­tien­index (DAX) geht es alles andere als schlecht, er ist seit Anfang des Jahres um 20 Prozent gestiegen. Der wichtigste Index Deutschlands umfasst die Aktien der 40 größten Unternehmen an der Börse. Von A wie Airbus bis Z wie Zalando.

Jeder Börsenzyklus ist aufgeteilt in eine Hausse („Juhu, es geht hoch“) und eine Baisse („Oh weh, wir stürzen ab“). Damit es auch alle verstehen, haben sich die Analysten zwei Tiere dafür geschnappt: den Bullen mit aufsteigendem Nacken und in den Himmel ragenden Hörnern und den gekrümmten, zu Boden blickenden Bären.

Momentan befinden wir uns in einem Bullenmarkt. Der beginnt, wenn der DAX innerhalb von zwei Monaten um mindestens 20 Prozent gegenüber einem vorherigen Tief steigt.

Doch statt ernste Bronzeskulpturen von Bär und Stier vor der Frankfurter Börse zu positionieren, braucht es einen neuen Blick auf die Börse und ihre Maskottchen. Denn so toll sind die Aussichten gar nicht.

Die arbeitende Bevölkerung merkt nichts vom Hoch

Vielleicht bedient man sich am ­Italian-Brainrot-Trend. Die KI-generierten Kunstfiguren waren im vergangenen Monat nicht wegzudenken von Tiktok und Co. Wer ist cooler? Ein Hai mit Sneaker (Tralero Tralala) oder ein Kaktuselefant (Lirilì Larilà)? Brainrot, das steht für geistigen Verfall, für Verblödung. Die ach so verblödete Tiktok-Generation mit ihren absurden KI-Tieren, das ist ein ironischer Wink an die Älteren, der sagt: Nonsens gibt es überall.

Auch in der Finanzwelt gibt es ihn. In Italian-Brainrot-Manier müssten wir Bulle und Bär ersetzen. Baisse Baisse Bär, halb Bär halb Excel-Tabelle, und Stierelli Stierllam, ein Stier mit Lederschuhen und koksgefülltem Rucksack.

Denn Nonsens ist auch, wenn der DAX immer weiter nach oben klettert, Unternehmen hohe Gewinne einfahren und die arbeitende Bevölkerung davon nichts mitbekommt. Denn die Börsen haben sich von der realen Welt vollkommen entkoppelt.

Das liegt daran, dass DAX-Unternehmen den großen Teil ihres Umsatzes im Ausland machen. Fast 80 Prozent! Dadurch sind sie weniger abhängig von der kriechenden deutschen Nachfrage. Und: Viele Konzerne produzieren im Ausland und nutzen die niedrigeren Arbeits- und Energiekosten.

Und der deutschen Wirtschaft? Na ja, der geht’s eben nicht so gut. Erst vor wenigen Tagen warnten die Wirtschaftsweisen (toller mystischer Name, weiter so) und korrigierten ihre Wachstumsprognose für 2025 von 0,4 auf 0,0 Prozent, wir befinden uns weiter in der Stagnation. Sie rechnen auch damit, dass die Arbeitslosenquote in diesem Jahr auf 6,2 Prozent steigt.

Deutschlandweit gehen monatlich rund 10.000 der oft gut bezahlten Industriearbeitsplätze verloren, zeigt auch eine Analyse vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – auch eine Folge des wirtschaftlichen Abschwungs. Die Bundesregierung sollte das besorgen, sonst bleibt nicht viel außer tralero, trala, Job weg.

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Anastasia Zejneli
Redakteurin
Jahrgang 1999, studierte Wirtschaftspolitischen Journalismus in Dortmund und gründete ein Kulturmagazin für das Ruhrgebiet. War Taz-Volontärin und arbeitet aktuell im Europateam. Schreibt in der Kolumne "Economy, bitch" über Popkultur und Wirtschaft.
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5 Kommentare

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  • Die arbeitende Bevölkerung könnte ja auch Kleinstbeträge in einem ITF-Sparplan anlegen. Kostet nichts und macht einen in zwanzig Jahren zwar nicht reich, aber doch wohlhabend. Aber solange die Börse und derAktienhandel uA von Gewekschaften als Teufelszeug und in den Medien auch immer unterschwellig als etwas unanständig-verkommenes Geschehen behandelt werden, wird sich da wohl nichts ändern. Würde der Staat für jedes deutsche Kind € 5.000.- bei der Geburt in einen von einem bösen, seelenlosen Algorhytmus gemanagten Fond investieren (und dann die gierigen Politiker fernhalten), wäre z.B. das Rentenproblem gelöst.

    • @mumba:

      Wenn alle vom Kapitalismus profitieren würden, hat keiner eine Rendite. Ohne Ausbeutung funktioniert der derzeitige Kapitalismus nicht. Die Rendite für die unproduktiven Anleger muss ja irgendwo herkommen. Selbst der KI-Boom ist ohne Ausbeutung nicht möglich.

  • Es stimmt schon. Weil das gigantische Vermögen in Deutschland fast vollständig vom Durchschnittsbürger entkoppelt ist, gibt es an der Börse praktisch kaum noch messbare Mengen an Bürgern, die mit ihrem Geld etwas Konkretes in ihrem Umfeld ändern wollen.



    In den 80ern gab es z.B. immerhin noch Genossenschaften, die namhaftes Kapital im Wohnungsbau hatten, umgekehrt Banken, die aufgrund eher peinlicher persönlicher Verflechtungen bestimmte Unternehmen förderten. Heute aber ist alles Portfoliooptimierung, vom Algorithmus gesteuert und hat mit unserer Lebenswirklichkeit gar nichts mehr zu tun. Ob es eine KI oder irgendein gerade hypes Beraterteam ist? Man merkt keinen Unterschied mehr, das Kapital ist sich selbst genug. Dann braucht es aber eigentlich auch keine Börse mehr, denn der Laden kommt ohne menschliche Kommunikation aus.

  • Das der Dax immer neue Rekorde erklimmt, hat nichts mit Brainrot oder ähnlichem Pseudoargumenten zu tun, sondern in erster Linie mit dessen Berechnung als Performanceindex. Dies bedeutet, dass die ausgeschütteten Gewinne rechnerisch wieder angelegt werden. Es braucht also weder Rekordgewinne noch Börsenblasen, um den DAX steigen zu lassen. Noch nicht mal steigende Aktienkurse bei den enthaltenen Unternehmen.

    Und ganz ehrlich, liebe taz: Es gibt genug am Finanzmarkt zu kritisieren, mit sachlichen Argumenten und faktenuntermauert. Da muss man kein Tralero Tralala, Lirilì Larilà raushauen. Das ist BILD-Niveau.

  • Sie haben ja ganz richtig erkannt, dass die DAX-Konzerne ihre Geschäfte weit überwiegend im Ausland machen. Wieso deshalb die Klage, dass die arbeitende Bevölkerung davon nichts mitbekommt? Beziehen Sie sich auf die Arbeiterschaft weltwe