Der Berliner Senat und die Bezirke: Ein Tropfen auf dem heißen Stein
Der Landeshaushalt für 2026/27 wird aufgestockt. Jährlich fließen 2 Milliarden in die soziale Infrastruktur der Bezirke. Kritik kommt von der Linken.

Die Berliner Linksfraktion sieht darin jedoch keinen Grund zum Aufatmen – und das gleich aus mehreren Gründen. An der strukturellen Unterfinanzierung der sozialen Infrastruktur der Bezirke werde sich mit der Aufstockung nichts ändern. Denn im Vergleich zum Vorjahr fehlen den Bezirken im Jahr 2026 bereits 90 Millionen Euro. Auch stehe eine dauerhafte Finanzierungsstrategie für die Bezirke weiter aus. Und wie so oft würden diese in die Haushaltsplanung des Senats nicht miteinbezogen, kritisieren am Montag Vertreter der Linksfraktion auf einem Pressegespräch im Abgeordnetenhaus scharf.
Seit der Verkündung des Senats am Freitag stehen die Bezirke vor einer „völlig neuen Situation“, sagte Linken-Abgeordneter Tobias Schulz. Denn die bestehenden Haushaltsaufstellungen der Bezirke müssen an die neuen Gegebenheiten angepasst werden – ohne jedoch zu wissen, wie die Gelder verteilt werden, wohin diese fließen sollen und wie es nach 2027 weitergeht. Den Bezirken fehle „jegliche langfristige Perspektive“, bemängelt Schulze. Der Unmut über die Sparpolitik des Senats ist vor allem bei denen zu spüren, die von den Einsparungen und Kürzungen direkt betroffen sind: Träger, Nutzer:innen und Mitarbeiter:innen von Jugend- und Seniorentreffs, von Familien- und Schulsozialarbeit, von Angeboten für Obdachlose und Geflüchtete.
Erst Anfang Juli fand eine Demonstration unter dem Motto „#unkürzbar – damit Berlin sozial bleibt“ vor dem Rathaus im Bezirk Marzahn statt. Die Betroffenen seien „in hohem Maße verunsichert und beunruhigt“ über die Kürzungspolitik des Senats, erklärt Juliane Witt, Bezirksstadträtin für Soziales und Bürgerdienste in Marzahn-Hellersdorf. Für die Träger von zuwendungsfinanzierten Einrichtungen und Projekten, die nicht wüssten, ob und wie lange ihr Überleben gesichert ist, sei die aktuelle Situation existenziell.
„Unerträgliche“ Situation
„Seit 2024 gab es keine bedarfsgerechte Erhöhung“, so Witt weiter – und das in einer Zeit, in der Mieten, Betriebs- und Sachkosten durch die Decke gehen. Bereits jetzt seien die Bedingungen für Träger und Mitarbeitende „unerträglich“. Wenn das so weitergehe, würden manche „ihre Butze bald zumachen“.
Dabei ist Marzahn-Hellersdorf der Bezirk mit der höchsten Zuwanderung in Berlin – für Personen, die sich die Mieten in der Innenstadt nicht mehr leisten können, für Menschen in Not und Geflüchtete. „Eine Gruppe, an die nicht zuerst gedacht wird“, formuliert Witt es scharf – und die sich deshalb auch nicht im Landeshaushalt des Senats abbildet.
In Lichtenberg sieht es nicht viel besser aus, wie Camilla Schuler, Bezirksstadträtin für Jugend und Familie, bestätigt. So gebe es 200 volljährige Jugendliche, die in der Verantwortung der Jugendämter seien, aber ohne Wohnraum dastehen. Eine Perspektive für junge Menschen in prekären Situationen gebe es aufgrund der unsicheren Finanzierung und der fehlenden Unterstützung des Senats nicht. Sie fordert, dass landeseigene Wohnungsbaugesellschaften stärker in die Verantwortung gezogen werden müssten. Doch bislang „kümmere sich da kein Mensch drum“, so Schuler.
Auch Philipp Dehne, Sprecher für Bildung, Schule und Kultur und Sport in Neukölln, schlägt Alarm. Die Einsparungen treffe besonders die soziale Infrastruktur für Jugendliche. „Jugendclubs sind für viele ein zweites Zuhause“, so Dehne – und schließlich auch sichere Orte. Auch in den Schulen zeigten sich die Einsparungen nicht zu knapp. Die Folgen seien für Schüler:innen gravierend. Insgesamt habe es man im Bezirk mit einem „krassen Mangelsystem“ zu tun, die Schäden seien bereits deutlich da.
Allen voran mangele es dem Senat aber an einer Vision für die Stadt, kritisiert Tobias Schulze. Für die Linksfraktion steht am Montag deshalb fest: Um den sozialen Kahlschlag wirklich zu verhindern, muss jetzt gehandelt werden. Werden die Kostensteigerungen für die sozialen Hilfen nicht vom Landeshaushalt abgefedert, entzieht sich der Senat aus der Verantwortung – und schickt die Bezirke damit in die Handlungsunfähigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!