Denyo über HipHop, Alter, Arbeit: „Die Opferhaltung ist typisch deutsch“
Das letzte Rap-Album von Denyo ist zehn Jahre her. Nun erscheint „Derbe“. Ein Gespräch über unlockere Frauen, besoffene Fans und bekiffte Aliens.
taz: Denyo, als das erste Album Ihrer Band Absolute Beginner erschien, waren Sie 19. Heute sind sie 38 und haben nach zehn Jahren Pause wieder eine Rap-Platte gemacht. Ist Denyo mit „Derbe“ endgültig erwachsen geworden?
Denyo: Ich glaube, Denyo ist erst erwachsen geworden und dann hat er „Derbe“ gemacht. Für mich war es auf jeden Fall eine große Herausforderung, erwachsen zu werden und immer noch guten Rap zu machen. HipHop funktioniert ja hauptsächlich über diesen Battle-Gedanken, man will beweisen, dass man in irgendeiner Weise den anderen überlegen ist. Auf die Art: Ich bin geil und du bist scheiße.
Fühlt man sich mit dem Alter nicht mehr so geil?
Doch schon, aber man lernt mit seinem Ego anders umzugehen. Und auch die Inhalte fangen an, fragwürdig zu werden. Irgendwann wächst man halt über all das hinaus, was HipHop einst so attraktiv gemacht hat. Vor drei, vier Jahren habe ich mir die Frage gestellt: Kannst du überhaupt weitermachen? Oder ist HipHop vielleicht simpler gestrickt als du?
Was war die Antwort?
Der Anspruch der Hörer ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, sodass immer mehr Kunst im HipHop möglich ist. Das hat mich geflasht. Man muss sich nur mal das neue Album von Kendrick Lamar anhören, um zu checken, dass im Rap eigentlich nichts mehr unmöglich ist.
Der Mann: Denyo, geboren 1977 in Hamburg, heißt eigentlich Dennis Lisk und wurde in den 90er Jahren an der Seite von Jan Delay mit der HipHop-Formation Absolute Beginner bekannt. Er ist Vater von zwei Kindern und lebt in Berlin-Mitte.
Das Werk: 2009 versuchte er sich mit dem Soloalbum „Suchen & Finden“ an einem Singer-Songwriter-Projekt, 2011 moderierte er die TV-Sendung „Cover my Song“ auf Vox. „Derbe“ ist sein viertes Soloalbum.
Wovon haben Sie eigentlich die letzten Jahre gelebt?
Ich habe reich geheiratet, mein Schwiegervater ist Millionär (lacht). Nein, Spaß, leider nicht. Ich hatte bis vor Kurzem eine wöchentliche Radioshow, „Top of the Blogs“, bei N-Joy. Und ich gebe regelmäßig Gigs mit DJ Mad als Beginner Soundsystem. Das heißt, ich lebe nach wie vor von der Musik und das auch ziemlich gut. Man muss aber schon 70 Stunden pro Woche in die Musik investieren, um niveaumäßig in der Champions League mitzuspielen.
In Ihrem Song „Wrkdhrd“ persiflieren Sie Workaholics, die den ganzen Tag nur am Machen sind und sich dann abends fett die Kante geben, um klarzukommen. Steckt da auch was von Ihnen selbst drin?
Klar. Ich bin Workaholic. Ich stehe dazu und ich habe eine Frau, die das total akzeptiert. Deshalb kann ich mich auch austoben, wie ich will. Aber dieses Twerken nach dem Worken fällt bei mir eher aus. Wenn ich in einem Club auflege, dann siehst du mich da nach der Show höchstens zehn Minuten. Dann geht es gleich ab ins Bett, weil ich am nächsten Tag wieder funktionieren muss.
Gedöns ist Umwelt, ist, was wir essen, wie wir reden, uns kleiden. Wie wir wohnen, lernen, lieben, arbeiten. Kinder sind Gedöns, Homos, Ausländer, Alte. Tiere sowieso. Alles also jenseits der „harten Themen“. Die taz macht drei Wochen Gedöns, jeden Tag vier Seiten. Am Kiosk, eKiosk oder direkt im Probe-Abo. Und der Höhepunkt folgt dann am 25. April: der große Gedöns-Kongress in Berlin, das taz.lab 2015.
Das klingt langweilig.
Ist es aber nicht. Ich finde sowieso, wir müssen ein neues Wort für „arbeiten“ finden. „Arbeit“ ist irgendwie total negativ belastet. Für Deutsche bedeutet das in erster Linie: Ich muss etwas machen, dass ich nicht möchte, um dafür Geld zu bekommen. Für mich ist es anders. Ich mache, was ich machen möchte, und bekomme noch mehr Geld. Wenn man mit Leidenschaft bei der Sache ist, dann arbeitet man auch gerne viel.
Was würde wohl eine Kassiererin im Supermarkt dazu sagen?
Weiß ich nicht, aber vielleicht sollte sich dieser Mensch mal Fragen stellen wie: Warum stehe ich hier an dieser Kasse? Wie ist das passiert? Die Antwort könnte lauten: Ich mag es gerne, nicht zu viel Eigenverantwortung zu übernehmen, und ich möchte gerne gesagt bekommen, wann ich kommen und wann ich gehen soll. Wenn es nicht so ist, kann man ja aufhören und was anderes tun. Keiner zwingt dich dazu, dort zu arbeiten. Und wenn du bleibst, kannst du daran auch was Gutes entdecken, dich zum Manager hocharbeiten. Oder irgendwann deinen eigenen Laden aufmachen, der ethisch alles richtig macht. Auf jeden Fall mag ich diese Opferhaltung gar nicht, die ist so typisch deutsch.
Und typisch Frau ist es, sich einen Versorger zu suchen. Zumindest laut Ihrem Song „Hübsche Frauen“, auf dem Sie Zeilen rappen wie: „Ich brauch ’nen Kredit / denn ich bin verliebt.“ Echt jetzt? Wird 2015 noch erwartet, dass beim Date der Mann die Rechnung bezahlt?
Ja, entweder das, oder das genaue Gegenteil wird verlangt. Eigentlich kann man es als Mann nur falsch machen, weil Frauen bei diesen Dingen total unlocker sind. Es herrscht eine krasse Unsicherheit zwischen den Geschlechtern. Ich erwische mich auch ständig dabei, wie ich mir Gedanken darüber mache, ob ich einer Frau jetzt die Tür aufhalte, oder ob das jetzt voll machomäßig rüberkommt. Die alten Rollen lösen sich zwar langsam auf, aber ich sehe schon, dass Frauen noch mehrheitlich erwarten, dass ein Mann erfolgreich ist und imstande, eine Familie zu ernähren. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass der Feminismus teilweise eine falsche Richtung einschlägt.
Wie meinen Sie das?
Na ja, viele Frauen meinen, sich wie Männer aufführen zu müssen. Sie wollen sich so durchsetzen, wie Männer sich durchsetzen, dabei ist das total scheiße. Diese ganze Ellbogengesellschaft, das Konkurrenzdenken – eigentlich basiert der gesamte Kapitalismus auf den schlechtesten Eigenschaften, die Männer so an den Tag legen. Nach dem Motto: Hauptsache, ich, I don’t give a fuck. Und es gibt Frauen, die glauben, diese scheinbare Stärke des Mannes sei jetzt der richtige Weg für die Frau. Dabei sollte es umgekehrt laufen. Männer sollten sich an den rollentypischen Eigenschaften der Frau orientieren. Wir brauchen nicht noch mehr Ellenbogen. Wir brauchen Empathie, praktisches Mitdenken für andere, eine soziale Ader.
Auf „Kein Bock“ zeigen Sie sich weniger sozial. Da erzählen Sie von nervigen Leuten, die einen auf Partys immer vollquatschen. Was ist denn der Spruch, der Sie am meisten nervt?
Was mich momentan am meisten nervt, sind so Sachen wie: „Hey, ich hab gehört, du machst ’ne neue Platte. Glaubst du, dass die abgeht?“ Das finde ich echt schlimm. Aber so generell, wenn man im Club herumsteht, dann kommen schon immer wieder dieselben Sprüche, die ich auch auf dem Song erwähne. Da kommt dann irgend so ein Typ mit Alkoholfahne, legt seinen Arm um meine Schulter, spuckt mir beim Reden ins Gesicht und fragt: „Wie geht’s denn Jan?“ Noch schlimmer ist es, wenn er dann auch noch erzählt, was er selbst so macht, dass er voll der gute Fotograf sei oder geile Beats mache.
In „Urlaub im Grünen“ wiederum geht es um die Abhängigkeit des Menschen von der digitalen Welt …
… nee, eigentlich geht es ums Kiffen.
Ach ja?
Ja, ich sage das an keiner Stelle explizit. Aber die Idee war es, einen Kiffsong zu machen, ohne dass mein 12-jähriger Sohn darauf kommt, dass ich kiffe. Das Kiffen ist für mich nämlich so ein Gegenentwurf zu dieser Laptopwelt, in der wir alle gefangen sind. Überall piepst es andauernd, ständig schauen wir auf Facebook, telefonieren, schreiben E-Mails und vergleichen Klickzahlen. Man ist dauernd am Scrollen und kommt nicht zur Ruhe. Abends fragt man sich dann plötzlich: Was habe ich heute eigentlich gemacht? Keine Ahnung. Deshalb sollte man sich ab und zu mal gönnen, alles abzuschalten und „Urlaub im Grünen“ zu machen. Sich auch mal ruhig sich selbst und dem gegenwärtigen Moment zu widmen.
Der Titel Ihres Albums ist ein klassischer Hamburg-Begriff. Wie würden Sie denn einem Außerirdischen erklären, was „derbe“ bedeutet?
Gute Frage. Was ist derbe? (Denkt eine Weile nach.) Ich glaube, ich würde dem Alien einen Joint drehen, ihn kräftig daran ziehen lassen, mit ihm nach Hamburg in die „Rote Flora“ gehen und richtig fette Bassmusik laufen lassen. Dann würde ich ihn fragen, wie es ihm geht. Und er würde antworten: „Derbe.“
Vielen Dank für das Interview.
Wollten wir nicht noch über Gedöns reden?
Haben wir doch: Kiffen, Frauen, Internet, Aliens …
Ach so, das ist alles Gedöns. Alles klar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs