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Demonstrationen in RusslandAchtjährige Staatsfeinde

Die russische Polizei nimmt alle fest, die gegen den Krieg protestieren – selbst Seniorinnen und Grundschüler mit Friedensplakaten.

Die russische Polizei schlägt rabiat jegliche Demonstration nieder Foto: Dmitri Lovetsky/AP

Berlin taz | Umringt von einigen wenigen Demonstrierenden, die „Nein zum Krieg“ skandieren, führen russische Polizisten in Kampfmontur eine alte Frau ab. Es ist eines der eindrücklichsten Videos von den russischen Protesten, die derzeit bei Twitter kursieren: Russlands berüchtigte Bereitschaftspolizei geht mit aller Macht gegen Demonstrierende vor und machen dabei Halt vor niemandem. Nicht vor einer Handvoll versprengter Protestierender, nicht vor Alten, und selbst Kinder werden zu Staatsfeinden erklärt, wenn sie mit Friedensplakaten erwischt werden.

Seit dem Beginn der Proteste in Russland mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine vor mehr als einer Woche wurden im ganzen Land nach Angaben der unabhängigen russischen Menschenrechtsorganisation OWD-Info etwa 7.700 Menschen festgenommen. Die Moskauer Bürgerrechtsgruppe organisiert Rechtsbeistand für Festgenommene, doch auch ihre Arbeit wird von der russischen Regierung behindert; seit September wird OWD-Info als „ausländischer Agent“ in Russland diskreditiert.

Abgeführt: Die 77-jährige Russin Jelena Ossipowa bei einer Friedensdemo in St. Petersburg Foto: Screenshot: Kira Jarmysch/Twitter

Bei der alten Frau soll es sich um die 77 Jahre alte Jelena Ossipowa handeln. Auf zwei handgemalten Plakaten forderte sie in Sankt Petersburg ein weltweites Verbot von Atomwaffen und kritisiert, dass Russland im Gegensatz zur Ukraine noch immer welche habe. Als sich zwei Polizisten nähern, die fast zwei Köpfe größer als die alte Frau sind, bleibt sie stoisch stehen. Sichtlich konsterniert reden die Beamten auf die zierliche Frau ein, die sich aber weiterhin nicht bewegen will. Nach wenigen Sekunden greifen die Beamten sie unter den Armen und führen sie ab. Mehrere weitere Polizisten begleiten die Festnahme.

In einem anderen Fall sollen Polizisten in Moskau Kinder festgenommen haben. Einem Bericht des britischen Sender Sky News zufolge wollten sie dort vor der ukrainischen Botschaft Blumen niederlegen. Aufnahmen zeigen einen Jungen in einem Gefangenentransporter sowie ein Mädchen auf einer Polizeiwache. Vor ihr liegen auf einem Tisch mit bunten Farben beschriftete Blätter mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“ und eine simple gemalte Gleichung: eine russische Flagge plus eine ukrainische Flagge ergeben ein Herzchen.

Die Mutter der Kinder habe wegen der Nachrichten aus der Ukraine die Füße nicht länger stillhalten können, heißt es in dem Bericht von Sky. Weil niemand auf die Kinder zu Hause habe aufpassen können, seien sie zu ihrem kleinen Protest mitgekommen. „Unsere Absichten waren die friedlichsten“, wird die Mutter Jekaterina Savision zitiert.

Allein am vergangenen Sonntag wurden nach Angaben von OWD-Info in mehr als 50 Städten mindestens 2.710 Menschen bei Friedensdemonstrationen festgenommen. Die Antikriegsproteste hatten am Donnerstag begonnen, nachdem russische Truppen in die Ukrai­ne einmarschiert waren.

Die Kinder und ihre Mütter wurden dem Bericht von Sky zufolge aus dem Gewahrsam entlassen und warten auf einen Gerichtstermin. Zu dem Verbleib der 77-jährigen Ossipowa war zunächst nichts bekannt.

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2 Kommentare

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  • In Russland wird eine zierliche alte Frau abgeführt und kleine Kinder werden wie Tiere in einen Käfig gesperrt. Trotzdem traut die SPD sich immer noch nicht, sich von dem putintreuen Gerhard Schröder zu trennen, der auf der Gehaltsliste eines Staates steht, der gerade einen gnadenlosen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. - Das ist mehr als erbärmlich.

    • @Ricky-13:

      Und trotzdem schreiben hier immer noch einige, dass man Verständnis mit Putin haben müsse! Kopfschüttel!