Demonstration in Aurich: Wolfskritiker unter sich
Naturschützer, Bauern und Schafzüchter protestieren: Ihrer Meinung nach geht der Wolfsschutz zu weit. Jäger sammeln Unterschriften.
Gegenwind bekamen die Wolfsgegner von der Antifaschistischen Aktion Ostrhauderfehn, der Tierschutzpartei und der regionalen Initiative Ostfriesen gegen Tierleid. Die Antifa befürchtete, durch die Teilnahme eines Abgeordneten der niederländischen Bauernpartei BBB würden Rechtsradikale das Wolfsthema besetzen. Zu Auseinandersetzungen kam es jedoch nicht. Die Veranstaltung verlief eher wie ein aufgeräumtes Familientreffen, bei Bier und Würstchen.
„Kühe und Schafe sehen viele Politiker nur als Wolfsfutter. Wir selbst haben Angst, spazieren zu gehen“, begründet Hansjörg Heeren, Tierarzt und Vorsitzender des Friesischen Verbands für Naturschutz, den Aufruf zur Demo. Und er weist auf das Leid der Tierärzte hin, wenn gerissene Schafe eingeschläfert werden müssen. „Wir lieben unsere Tiere. Wir können es nicht ertragen, wenn sie leiden“, so Heeren.
Sein Verein wolle die friesische Kultur retten und erhalten, und dazu gehöre nun mal die Weidehaltung von Schaf und Rind. Kein Schutzzaun und keine Hunde könnten den Wolf von den Nutztieren fernhalten. Der Wolf gehöre nicht nach Ostfriesland. Dass viele ostfriesischen Bauern die Weidehaltung unabhängig vom Wolf aus ökonomischen Gründen längst eingestellt haben, bedauert Heeren.
Landesjägerschaft sammelt Unterschriften
Alle Sprecher*innen der Veranstaltung betonten, Schutzzäune gegen den Wolf würden nichts nutzen, wären trotz der Subventionen von bis zu 30.000 Euro nicht bezahlbar und es fehlten Arbeitskräfte, sie zu installieren. Die Landes- und die Bundesregierung wurden aufgerufen, den Schutzstatus des Wolfes zu senken. Zurzeit wird der Wolf durch strenges EU-Recht geschützt. In Niedersachsen darf er in Ausnahmefällen abgeschossen werden.
„Der Wolf ist nicht bedroht, er gehört bejagt“, forderte ein Pferdezüchter. „Der Wolf frisst unsere friesische Freiheit“, sagte Hansjörg Heeren unter dem Jubel der Teilnehmer. Außerdem sei der Küstenschutz durch vom Wolf gerissene Schafe gefährdet, argumentiert Schafzüchter Jochen Fass aus Wilhelmshaven. Schafsbeweidung der Deiche sei notwendig für den Küstenschutz.
Zeitgleich zur Demo begann der Landesjägerverband Niedersachsen (LJN) mit einer Plakataktion. Eine Unterschriftensammlung zu einem Volksentscheid soll folgen. Das Ziel: Ein schärferes Wolfsmanagement und eine Bejagung des Wolfes. Obwohl die Naturschützer und Bauern in Aurich gleiche Forderungen hatten, waren die Jäger bei der Demo nicht dabei. „Die sind uns zu emotional, zu politisch. Wir wollen objektiv und sachlich argumentieren“, erklärt Gernold Lengert, Vorsitzender der Auricher Jägerschaft. Trotzdem unterstützen fast alle Jagdverbände an der Küste den Aufruf zur Demo.
Eine Versachlichung der Diskussion gestaltet sich schwierig. Die 300 Plakate der Landesjägerschaft zeigen acht Motive mit reißzahnfletschenden Wölfen und zerrissenen Schafen. In den sozialen Medien wird mit Mord und Totschlag gedroht. Dabei streitet niemand die zum Teil existenzbedrohenden Probleme ab, die sich aus dem Zusammenleben von Mensch und Wolf ergeben. Laut Aussage des Landesjägerverbands, der für das Land Niedersachsen das Wolfsmonitoring erstellt, gab es bei aktuell 44 Wolfsrudeln in Niedersachsen, 5 Paaren und 2 residenten Tieren, 23 Vorfälle mit 70 Rissen im letzten Jahr. Ein Großteil der betroffenen Tierhalter hatte allerdings keine Schutzmaßnahmen getroffen.
Nach einer Studie des Norwegischen Institutes für Naturschutzforschung sind von 2002 bis 2020 weltweit 26 Menschen von Wölfen getötet worden. Davon die meisten im Iran, der Türkei und Indien. In Amerika wurden zwei Menschen durch den Wolf getötet. In Europa keiner. Von Attacken von Wölfen auf Menschen in Deutschland ist nichts bekannt.
Zum Vergleich: In Deutschland gibt es jährlich bis zu 50.000 Bissattacken von Haushunden auf Menschen. Laut Bundesamt für Statistik sterben pro eine Million Menschen jährlich 1,8 Menschen durch Hundebisse.
Wolfsfreie Zonen gibt es nicht
Manfred Böhling, Sprecher des niedersächsischen Umweltministeriums, beantwortet die Frage, ob der Wolf wegen gerissener Deichschafe den Küstenschutz bedrohe, schlicht mit: „Nein“. Pikanterweise hatte dies der ehemalige Umweltminister Olaf Lies (SPD, jetzt Wirtschaftsminister) behauptet.
„Der Wolf ist ein Wanderer“, erklärt Holger Buschmann von Nabu Niedersachsen. „Da, wo er einmal ist, bleibt er. Wolfsfreie Zonen gibt es nicht.“
Der Nabu ist auch zuständig für Beratung zu Schutzmaßnahmen gegen Wolfsattacken. Einer der Berater ist Ferderik Eggers: „Man kann Wolfsrudel nicht auflösen“, sagt er. „Rudel sind Familien, mit festen sozialen Strukturen. Zerfällt ein Rudel, streunen die Tiere, suchen leichte Beute, also Nutztiere auf Weiden.“
Auch Eberhard Giese, ehemaliger Wolfsberater im Landkreis Aurich, glaubt nicht an den Erfolg einer Bejagung des Wolfes: „Das“, sagt er, „haben die Jäger in den letzten Jahrzehnten schon beim Fuchs nicht geschafft.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin