Demo in Wien nach Strache-Video: Happy Ibiza Day
Österreich erfährt, dass Regierungsmitglieder ihr Land für Parteispenden an russische Oligarchen verscherbeln würden. Was macht man da – als Volk?
Die Macht des Volkes, sind das viele Pappschilder? „Wirkliche Patrioten verkaufen die Krone an österreichische Oligarchen“; „Glock you know?“; „Nein“
Das österreichische Volk ist an diesem Samstag auf den Wiener Ballhausplatz gezogen, um über Demokratie zu reden, vielleicht auch zu streiten, zu toben, so genau weiß das noch niemand. Es sind erst Stunden vergangen, seit dieses Video auftaucht, das den kleineren Koalitionspartner der Regierung diskreditiert. Hans-Christian Strache ist darauf zu sehen, der als junger Mann mal Neonazi war, zum Zeitpunkt der Videoaufnahme aber schon Politiker der Freiheitlichen Partei Österreichs, FPÖ. Mit ihm dabei: Johann Gudenus aus seiner Partei. Der wiederum nutzt auch schon mal nationalsozialistische Begriffe wie „Umvolkung“ und reist auf die Krim.
In dem Video sitzen die beiden Männer in einer Villa auf Ibiza und versprechen einer russischen Oligarchin Deals, mit denen sie sich in Österreich einkaufen kann, wenn sie nur ihrer Partei, der FPÖ, Geld spende. Infrastruktur, Medien, alles möglich. Das war 2017.
Eine „b'soffene Geschichte“
Heute stellt sich heraus: Die Frau war gar keine Oligarchin sondern ein Lockvogel. Dafür ist Strache heute Vize-Kanzler, Gudenus Klubobmann, also Fraktionsvorsitzender. Und weil sich das falsch anfühlt, stehen diese Menschen hier. Sie sind dem Kanzleramt zugewandt, würde Regierungschef Sebastian Kurz ans Fenster treten, könnte er zum Volk hinabschauen. Oder herüber zur Hofburg, zur alten Kaiserresidenz, die dem Volke im Rücken steht. Seine Vorhänge sind zugezogen.
Was bisher geschehen ist:
Freitag, 18 Uhr: Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung und der Falter veröffentlichen das Video.
Nach dem Platzen der Koalition aus ÖVP und FPÖ sollen die Österreicher Anfang September ein neues Parlament wählen. Dies kündigte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Sonntag nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an. (dpa)
Samstag, 10.16 Uhr: Ein Sprecher des Kanzleramtes schickt eine SMS. Darin der Text einer Nachrichtenagentur, Strache werde 11 Uhr beim Kanzler eintreffen, der Kanzler sich später erklären. Aber das sagt die Nachrichtenagentur und nicht der Sprecher.
Samstag, Vormittag: Journalisten berichten aus Kreisen der Kanzler-Partei, es solle Neuwahlen geben. Oder doch nicht?
Samstag, 12.24 Uhr: Der Ballhausplatz ist gut gefüllt. Die Menschen stehen in Grüppchen, gebeugt, die Ohren einander zugewandt. Selten ist eine Menge so still. Nur einer murmelt. Hans-Christian Strache, aus den Lautsprechern der Telefone heraus. Er ist der erste Volksvertreter an diesem Tag, der sagt, dass er zurücktreten wird.
Er sagt: „Ja, es war eine b'soffene Geschichte.“
„Es war ein typisch alkoholbedingtes Macho-Gehabe.“
„Der einzige strafrechtliche Verstoß, der vorliegt, ist diese geheimdienstlich inszeniert Lockfalle mit illegalen Aufzeichnung.“
„Wir wollen das Regierungsprogramm ja weiter umsetzen. Meine Person darf aber nicht der Grund dafür sein, das zu verunmöglichen und vielleicht einen Vorwand zu liefern, diese Regierung zu sprengen, denn das war das Ziel dieser rechtswidrig angelegten akkordierten Schmutzkübelaktion.“
Es tauchen weitere Videos auf
Jubel bricht aus, richtiger Jubel, echte Freude über einen politischen Akt. Ist das Demokratie? Eine Kutsche spaltet die Jubelnden und fährt durch die Menge hindurch.
Es tauchen noch mehr Videos auf, auf Twitter über einen Account verbreitet, der erst am Freitagabend angelegt wurde. Dieses Mal sind es Gerüchte, die die FPÖ-Männer streuen, über Bundeskanzler Sebastian Kurz, über Sexparties. Johann Gudenus reicht schriftlich seinen Rücktritt ein.
Und Bundeskanzler Sebastian Kurz? Der muss zu diesem Zeitpunkt noch nachdenken.
Die Enthüllung trifft das Land nicht ohne Vorwarnung. Schon im April hatte Jan Böhmermann auf einer Preisverleihung einen Witz darüber gemacht, Strache und Gudenus hätten es wissen können. Einen Tag vor der Veröffentlichung hatten die Journalisten um Stellung gebeten. Auch das wäre eine Gelegenheit gewesen, um den Fall offenzulegen. Und dann fragten auch noch die Parlamentarier in dieser Woche Sebastian Kurz: Was weiß er über Versuche Russlands, den EU-Wahlkampf zu beeinflussen? Die FPÖ ist doch gut befreundet mit Putin, und dann soll es keine Versuche der Einflussnahme geben? Nimmt auch seine Partei, die Österreichische Volkspartei ÖVP, Spenden von dort an? Sebastian Kurz antwortete nicht.
Wo ist eigentlich die Opposition?
Strache schlug im Video den russischen Gesprächsprtnern vor, das einflussreichste Boulevardblatt des Landes, die Kronen-Zeitung zu kaufen. „Zack, zack, zack“, sagte er. Die FPÖ versucht ständig, Pressefreiheit einzuschränken, das Land ist auf dem weltweiten Ranking von Reporter ohne Grenzen erst kürzlich von Platz 11 auf Platz 16 abgerutscht. Ein FPÖ-Funktionär aus dem Stiftungsrat des Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks sagte daraufhin: „Im Fußball wäre ich froh, wenn wir nur auf Platz 16 zurückfallen.“ Pressefreiheit ist ein Menschenrecht – und manchen in der FPÖ scheinbar nicht so wichtig.
Die Presse wiederum arbeitet sich an den Skandalen ab, allein in dieser Woche waren das: Ein Leak, das Passwörter der Sozialdemokraten veröffentlichte, anscheinend von jemandem aus der Partei heraus. Die Erkenntnis, das die Polizei beim Chef der Identitären höflich klopfte, als sie seine Wohnung wegen seinen Verbindungen zum Christchurch-Terroristen untersuchen wollte, und ganze zwölf Minuten wartete, bis er die Tür öffnete. Das Verbot, an Grundschulen Kopftücher zu tragen.
Wie soll man sich da noch empören?
Mit roten Trillerpfeifen. Einer Trommelgruppe, die diesen Demo-Rhythmus trommelt. Oder einem Buch, das den Titel „Haltung“ trägt.
Mark Vollmann hält es in die Höhe. Acht Stunden lang, wird er am Abend zusammenzählen, weil er Sorge hat, dass der Herr Kurz, er sagt wirklich „der Herr Kurz“, auch noch von der Situation profitieren werde. Dabei sei dieser Tag doch nur die logische Konsequenz dessen, was der Herr Kurz vor zwei Jahren losgetreten hat.
Damals, als Kurz in seiner ÖVP wegdrängte, wer immer auch ihm im Weg stand. Den Ex-Parteichef zum Beispiel, der inzwischen ein Buch geschrieben hat, das „Haltung“ heißt und das Mark Vollmann nun in die Höhe hält, obwohl er die ÖVP nicht einmal wählt. Mark Vollmann steht da im Trenchcoat und mit Aktentasche, er wirkt aufgeregt, beschwingt, wie viele hier auf dem Platz. Gibt es ein Wort, das den Tag beschreibt? „Fassungslosigkeit“. Später sagt er auch „kafkaesk“.
Vielleicht beschreibt das diesen Zwischenmoment: kafkaesk-beschwingte Fassungslosigkeit.
Über dem Volk kreist ein Polizeihubschrauber
Sebastian Kurz denkt bis 19.45 Uhr nach. Dann tritt er vor die Presse. Über dem Volk kreist jetzt ein Polizeihubschrauber. Ein Grauhaariger ist auf dem Weg in das berühmte Burgtheater. Er bleibt stehen, als er einen Demonstranten sieht mit diesem Sticker. „Wien hasst die ÖVP“ steht darauf. „Siehst du“, sagt der Grauhaarige zu seiner Grauhaarigen, „das hat Eskalationspotential. Die Polizei hat jetzt Angst, dass das auch auf das Kanzleramt geht.“
Aber sollte es nicht auch auf das ÖVP-Kanzleramt gehen und nicht nur auf die FPÖ? Gehören nicht auch zu einer Regierung der Skandale zwei Koalitionsparteien?
Sebastian Kurz sagt: „Wir haben in den letzten zwei Jahren inhaltlich genau das umgesetzt, was wir im Wahlkampf versprochen haben.“ Weiter: „Und ich möchte heute trotz aller Vorkommnisse ganz aufrichtig allen Regierungsmitgliedern für diese Umsetzungsarbeit danken“ Schließlich: „Und trotzdem: Genug ist genug.“ Dann bricht die Liveübertragung auf den Smartphones ab. Es ist wie Silvester. Ist schon Mitternacht? Und jetzt?
„Niiiiiiiie mehr, niiiiie mehr FPÖ!“
Jubel, Konfetti dort, wo das Internet noch funktioniert. Der Kanzler hat Neuwahlen zum schnellstmöglichen Zeitpunkt verkündet. „Echt jetzt?“, dringen Gesprächsfetzen aus der Menge. „Das hätte ich nicht gedacht.“ „Was sagt er? Neuwahlen?“ So geht das minutenlang.
Demokratie ist an diesem Tag: Selfies in Siegerpose, High-Five-Gesten, Sprechchöre, die erst klingen wie minderjährigen Fußballfans nach dem ersten Dosenbier und später dann den ganzen Ballhausplatz übertönen wie im Festgesang. „Niiiiiiiie mehr, niiiiie mehr FPÖ!“
Oder ist das die Ohnmacht des Volkes?
Eine Frau mit bekanntem Gesicht kommt auf den Platz. In Deutschland ist sie Köchin, in Österreich Spitzenkandidatin der Grünen für die Europa-Wahl, Sarah Wiener. Sie erzählt vom Friedensfest und der Europaveranstaltung, die sie heute besucht hat. Vom Klimawandel, Artenvielfalt, Massentierhaltung, all diesen riesigen Themen, wegen denen es sie in die Politik zieht, wenn alles gut geht, und so sehen die Umfragen zur Europawahl aus.
Doch die wirkt unendlich fern. Auf dem Ballhausplatz geht es um morgen und heute und auf den Asphalt vor dem Kanzleramt hat jemand mit weißer Kreide geschrieben: „Happy Ibiza Day“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind