Demo für ermordeten Kreml-Kritiker: Tausende Russen gedenken Nemzows
Bis zu 20.000 Menschen nehmen in Moskau an einem Gedenkmarsch für Boris Nemzow teil. Der russische Oppositionelle war vor einem Jahr ermordet worden.
Die Polizei, die mit einem starken Aufgebot im Einsatz war, sprach von 7500 Teilnehmern. Russische Medien und Augenzeugen setzten die Zahl wesentlich höher bei 20.000 an. Die Organisatoren hatten eine Kundgebung von 50.000 Menschen angemeldet. Ex-Ministerpräsident Michail Kasjanow, Spitzenkandidat der Opposition für die kommende Parlamentswahl, marschierte an der Spitze des Zuges mit.
Der ehemalige Vizeregierungschef Nemzow war am 27. Februar 2015 in Sichtweite des Kremls erschossen worden. In über 50 anderen Städten in Russland und im Ausland wurde ebenfalls des Reformpolitikers gedacht. Dabei verlief eine Kundgebung in St. Petersburg friedlich. In Woronesch in Südrussland bewarfen Gegendemonstranten die Oppositionellen mit Mehl und Eiern, in Tscheljabinsk in Sibirien wurde der Organisator des Nemzow-Marsches verprügelt.
In Moskau riefen die Demonstranten: „Wir vergessen und vergeben nicht.“ Einige trugen Plakate mit der Aufschrift: „Ich fürchte mich nicht“. Viele führten russische Fahnen mit, an denen ein Trauerflor hing. Sie wollten damit Vorwürfe der Staatsführung entkräften, die Kritiker als Vaterlandsverräter oder „fünfte Kolonne“ abtut.
Blumen und Kränze am Tatort
„Boris Nemzow darf auf keinen Fall vergessen werden“, sagte die Moskauerin Jelena Filemonowa. Von der Parlamentswahl im Herbst erwartete sie keine Veränderung: Die Stimmung in der Bevölkerung sei zu niedergeschlagen.
Für den Marsch in Moskau hatten die Behörden nur eine Route genehmigt, die nicht am Tatort vorbeiführt. Nachmittags legten viele Menschen Blumen und Bilder auf der Brücke über den Fluss Moskwa nieder, auf der Nemzow erschossen worden war. Die Polizei sperrte den Zugang nicht. Der US-Botschafter in Moskau, John Tefft, legte am Vormittag einen Kranz nieder. Am Sonntag wollten auch die Botschafter der EU-Länder Nemzow auf diese Weise ehren.
Die Bluttat vor einem Jahr hatte international Entsetzen ausgelöst. Obwohl mehrere Verdächtige aus der Nordkaukasus-Republik Tschetschenien in Untersuchungshaft sitzen, gelten die Hintergründe als ungeklärt.
„Das war ein politisch motivierter Mord“
Nemzows Angehörige und Unterstützer vermuten, dass der Mord von höchster Stelle geplant worden war und verlangen, dass die Auftraggeber vor Gericht gestellt werden. Sie gehen davon aus, dass der Moskau-treue Tschetschenenpräsident Ramsan Kadyrow und der Kreml selbst hinter der Tat stecken.
Kadyrow sagte am Samstag: „Nemzow bedeutet mir überhaupt nichts, er hat mich nicht gestört. Das war nicht mein Niveau.“
Nemzows Tochter Schanna Nemzowa bekräftigte den Vorwurf. „Das war ein politisch motivierter Mord“, sagte sie im Interview mit der taz. „Putin mache ich politisch für das Attentat verantwortlich“, sagte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung vom Samstag. „Zum einen, weil der Mord überhaupt passieren konnte, noch dazu an einem der wohl am besten gesicherten Plätze der Welt.“
Zudem habe Putin ihren Vater „mit seiner Propaganda-Maschine öffentlich massiv unter Druck gesetzt“, und drittens habe er die Ermittlungen zur Chefsache gemacht. Die Festnahme der Tschetschenen solle „nur ablenken von Figuren mit wesentlich höherem Rang in Tschetschenien“, sagte die in Deutschland lebende Journalistin.
Nemzow war unter Präsident Boris Jelzin in den 1990er Jahren einer der liberalen Reformer und Privatisierer, die in der Bevölkerung aber auch für die massenhafte Verarmung verantwortlich gemacht werden. Als Putin eigene Vertraute in die Regierung brachte, wurde der charismatische Nemzow zur zentralen Figur in der zerstrittenen Opposition. „Ich bin hier, um eines großartigen Menschen zu gedenken“, sagte der 16-jährige Moskauer Maxim.
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