Demo für Maja T.: Briefe aus der Haft
In Jena demonstriert die Zivilgesellschaft gegen die Auslieferung von Antifas. Der Vater von Maja T. berichtet, wie es T. in ungarischer Haft geht.
Zu der Demonstration, die hier am Samstagnachmittag stattfand, haben die Eltern der im sogenannten Budapest-Komplex verfolgten Antifaschist*innen aufgerufen. Mit dem Begriff werden die verschiedenen Verfahren gegen diejenigen bezeichnet, die in Budapest im Februar 2023 am sogenannten „Tag der Ehre“ – einem Großevent der europäischen Neonaziszene – mehrere Rechtsextreme attackiert haben sollen. Viele Beschuldigte sind seither untergetaucht.
Im Juli war Maja T. in einem höchst fragwürdigen Verfahren nach Ungarn ausgeliefert worden. Nachdem das Berliner Kammergericht einem ungarischen Auslieferungsgesuch stattgegeben hatte, wurde dieses in einer Nacht-und-Nebel-Aktion so schnell umgesetzt, dass selbst das Bundesverfassungsgericht nicht mehr einschreiten konnte. Als dieses am Vormittag des Folgetages die Aussetzung der Auslieferung anwies, um die Entscheidung überprüfen zu können, war Maja T. bereits in Ungarn.
Die Forderung: Rückkehr nach Deutschland
Mit der Demonstration fordern die Eltern der Untergetauchten deshalb die Rückkehr von Maja T. nach Deutschland und einen Verzicht auf weitere Auslieferungen nach Ungarn. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Haftbedingungen in Ungarn. Die Europäische Union hat wegen der unter der Orbán-Regierung erodierenden Rechtsstaatlichkeit bereits Gelder in Milliardenhöhe eingefroren. In der Vergangenheit hatten untergetauchte Antifas signalisiert, sich stellen zu wollen, wenn ihnen Verfahren in Deutschland zugesichert werden.
In mehreren emotionalen Redebeiträgen liest Wolfram Jarosch, der Vater von Maja T., Briefe von T. aus der ungarischen Haft vor. Darin berichtet Maja T. von einem Mangel an Licht, gesundem Essen und menschlichem Kontakt. Bis auf einen kurzen Hofgang sei T. allein in der Zelle. Über dem Waschbecken befinde sich eine Kamera. Regelmäßig werde die Zelle durchsucht und T. abgetastet, oft müsse sich T. dafür ausziehen, manchmal inklusive Unterwäsche.
„Die Gedankenkreiserei macht mich wahnsinnig“, liest Jarosch aus einem Brief. Und weiter: „Ich werde lernen müssen, die Stimmen in meinem Kopf zu bändigen.“ Auch Jarosch kann nicht verbergen, dass ihn das Lesen dieser Worte schmerzt. „Es scheint so“, sagt er, „als würde hier bewusst Folter und Erniedrigung eingesetzt, um einen jungen Menschen zu brechen, zu zerstören, um Geständnisse zu erzwingen.“
„Holen Sie Maja zurück!“
Jarosch fordert deshalb Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf: „Holen Sie Maja zurück nach Deutschland! Sorgen Sie dafür, dass nicht mehr nach Ungarn ausgeliefert wird! Sorgen Sie für Rechtsstaatlichkeit!“
Am Samstag herrscht eine andere Stimmung als auf Antifa-Demos üblich. Vorne läuft zwar das übliche Publikum: Viele junge Aktivist:innen, die in Sprechchören Freiheit für alle Antifas fordern und „Liebe und Kraft“ in den Untergrund und Knast senden. Durchweg ist der Protest kämpferisch und laut. Auf den Transparenten stehen Sprüche wie „Deutsche Polizisten prügeln für Faschisten“ und „Freiheit für alle politischen Gefangenen“.
In dieses aktivistische Publikum mischt sich jedoch die linksliberale Jenaer Stadtgesellschaft. Auf dem Marktplatz auf der Auftaktkundgebung stehen Eltern mit ihren Kindern, Senior:innen, Schüler:innen und Studierende. „Es könnte morgen meine Tochter sein“, sagt eine ältere Frau knapp auf die Frage, warum sie heute hier sei. Ihre Begleiterin pflichtet ihr bei. „Ich hätte das nie im Leben für möglich gehalten, dass der Staat so mutige und engagierte Menschen derart fertig macht“, sagt sie.
Die Stimmung ist familiär
Nicht wenige hier kennen Maja T. persönlich: aus der Schule, der Nachbarschaft, den politischen Kontexten Jenas. Es ist diese Gemeinschaft der Betroffenen, die dem Protest ihren Stempel gibt. Die Stimmung ist familiär, man begrüßt sich mit Wangenküsschen und Umarmungen. Am Ende sprechen mehrere Freund:innen von Maja T. „Maja ist eine herzliche Person, die uns zum Lachen bringt, die mutig und selbstständig ihr Ding macht.“
Doch sie machen sich Sorgen: darüber, dass Maja T. zerbrechen könne, dass es T. in ungarischer Haft nicht mehr gelingen könnte, Maja T. zu bleiben. „Wir vermissen dich schrecklich, und egal, wie viele Jahre wir getrennt bleiben: Du bist in unserem Herzen immer mit dabei“, beenden sie ihre Rede.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation