Dekolonisierung von Straßennamen: Ein Anfang ist gemacht
Nach langem Kampf bekommen eine nach Kolonialverbrechern benannte Straße und ein Platz im „Afrikanischen Viertel“ in Wedding neue Namen.
Warum feiert man dann jetzt? Der Bezirk habe diese Entscheidung den am Namensfindungsprozess beteiligten Initiativen freigestellt, so eine Sprecherin des Bezirksamts. Und die Communitys hätten den „frühestmöglichen Zeitpunkt“ bevorzugt – zumal der 2. Dezember als Internationaler Tag zur Abschaffung der Sklaverei als „angemessen empfunden“ worden sei. Akinola Famsom vom Afrika-Rat bestätigt das. „Wir haben so lange auf diesen Tag gewartet und wollten unbedingt, dass noch in diesem Jahr etwas passiert. Das große Straßenfest für alle drei Umbenennungen holen wir nach“, verspricht er.
2023 sollen dann auch drei Informations- und Gedenktafeln angebracht werden, die im Viertel über die alten und neuen Namensgeber*innen informieren. Für 2024 plant das Projekt Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt zudem ein größeres Ausstellungsprojekt im öffentlichen Raum. Anna Yeboah, Gesamtkoordinatorin der Dekoloniale, sagt: „Mit den längst überfälligen Straßenumbenennungen wird sich Deutschlands größtes koloniales Flächendenkmal zu einem bedeutenden antikolonialen Lern- und Erinnerungsort entwickeln.“
Seit rund 40 Jahren hatten dekoloniale und afrodiasporische Gruppen – darunter die Träger der Dekoloniale, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), Each One Teach One (EOTO) und Berlin Postkolonial – die Umbenennung der Straßen gefordert, die an zentrale Figuren der Kolonialzeit erinnern. Die Politik blieb lange zögerlich. 1986 kam es sogar zur heute absurd anmutenden Umwidmung der Petersallee, die fortan nicht mehr dem als „Hänge-Peters“ bekannten Kolonialisten Carl Peters sondern dem ehemaligen Berliner Stadtrat Hans Peters gewidmet war.
190 Namensvorschläge
Doch die postkoloniale Diskursverschiebung ließ sich auf Dauer nicht unterdrücken. 2016 beschloss die BVV die Umbenennung, Bürger*innen wurden aufgerufen, daran mitzuwirken. Aus 190 Namensvorschlägen wählte eine 11-köpfige Jury aus Politiker*innen und Vertreter*innen der afrodiasporischen Communitys 6 aus. Nachdem auch darüber wieder heftig debattiert wurde, einige Namen waren hoch umstritten, etwa der von Ana Nzinga, Königin im heutigen Angola, schlug der Kulturausschuss 2018 die oben genannten neuen Namen vor, das Bezirksamt folgte dieser Empfehlung.
Vielen Anwohner*innen, darunter etliche Geschäftsleute, passte das nicht: Es kam zu rund 1.200 Widersprüchen von 400 Einzelpersonen, die der Bezirk ablehnte. Eine Klage ist wie gesagt immer noch anhängig.
Auch die neuen Namen bleiben beim Thema Kolonialismus, drehen die Perspektive jedoch komplett um: Mit der Cornelius-Fredericks-Straße ehrt Berlin nun einen wichtigen Mann im militärischen Widerstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft in „Deutsch-Südwestafrika“. Während des Genozids der Deutschen an den Herero und Nama von 1904 bis 1908 wurde Fredericks, der den!Aman, einer Nama-Gruppe angehörte, in das Konzentrationslager bei Lüderitz gesperrt und dort ermordet.
Der Manga-Bell-Platz erinnert an König Rudolf Duala Manga Bell aus dem heutigen Kamerun. Der in Deutschland ausgebildete traditionelle Führer des Duala-Volks glaubte, mit rechtsstaatlichen Mitteln wie Petitionen an den Kaiser etwas gegen die Vertreibung der Duala durch die Deutschen tun zu können – und wurde im August 1914 von den Kolonialherren wegen „Landesverrats“ gehängt. In Kamerun wird er als Held verehrt, auch in Deutschland fordern viele seine Rehabilitierung; dazu läuft gerade eine Petition an den Bundestag.
Hoher Besuch aus Kamerun
Angestoßen hat diese unter anderem Jean-Pierre Félix-Eyoum, ein Großneffe Rudolfs, der in München lebt. Der pensionierte Lehrer wird am Freitag bei der Umbenennung sprechen. Er hat zudem dafür gesorgt, dass eine Delegation aus Kamerun, inklusive des amtierenden Duala-Königs Eboumbou und dessen Frau, anreisen kann. Der Bezirk hatte dies zunächst nicht vorgesehen, da für teure Flüge kein Geld da sei. „Anfangs war auch nur eine Rede der Bürgermeisterin vorgesehen, eine kurze Sache“, so Félix-Eyoum. Aber er habe den Bezirk überzeugen können, die Umbenennung größer und feierlicher zu gestalten – inklusive einer rituellen Einweihung des Manga-Bell-Platzes durch die Duala. „In Kamerun ist die Umbenennung für viele Menschen sehr wichtig“, betont er.
Die Rede von Marianne Ballé Moudoumbou von Pawlo-Masoso e. V. ist zwar für den zweiten Teil der Feier an der Cornelius-Fredericks-Straße vorgesehen, aber auch sie will etwas zum Manga-Bell-Platz sagen. Ihr sei es wichtig zu betonen, dass der Platz nicht nur König Rudolf gewidmet sei, sagte sie vorab der taz. „Wir ehren zwar eine Einzelperson, aber wichtig war damals die ganze Bewegung, zu der seine Frau Emily und viele andere Frauen gehörten.“
Ohnehin, so Moudoumbou, seien Straßenumbenennungen zwar „ein erster Schritt, aber wir sind immer noch in der Anfangsphase“. Damit meint sie nicht nur die fällige Rehabilitierung von Rudolf Duala Manga Bell und 100 weiterer damals von den Deutschen in Kamerun Hingerichteter. Zu einer umfassenden Dekolonisierung gehört für sie auch die Rückführung „gestohlener Güter, Kunstgegenstände und menschlicher Überreste“ sowie die Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama im heutigen Namibia. „Das alles muss noch in geeignetem Rahmen passieren.“
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