Dekolonisierung in Berlin: Die Aufarbeitung geht weiter
Decolonize Berlin und Grüne ziehen ein Zwischenfazit zur Aufarbeitung der Kolonialzeit. Dazu brauche es ein gesellschaftliches Umdenken.
Einen überfälligen Erfolg hatte es im vorigen Sommer gegeben: Nach jahrelangen Protesten beschloss der Bezirk Mitte, die umstrittene M-Straße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umzubenennen. Simone Dede Ayivi von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland resümierte dies bei der Veranstaltung so: „Es war ein langwieriger Prozess unter großem Widerstand, die Umbenennung durchzusetzen.“ Die Arbeit hört hier allerdings nicht auf. In Berlin gibt es noch zahlreiche Straßen und Plätze mit Kolonialbezug, etwa die Lüderitzstraße im Afrikanischen Viertel im Wedding.
Viel zu tun gibt es auch in Punkto Lern – und Erinnerungsorte: Bis Mai will die Koordinierungsstelle von Decolonize die Planung für eine zentrale Gedenkstätte abgeschlossen haben. Zum Konzept gehören zudem dezentrale Orte der Erinnerung, etwa in Museen oder im Botanischen Garten.
Tahir Della von Decolonize Berlin argumentierte, bei den Lern- und Gedenkorten gehe es darum, Aufklärung und Austausch anzuregen: „Wir brauchen kein Denkmal um das Thema abzuschließen, sondern müssen einen Prozess der Aufarbeitung in Gang setzen.“ Dieser Prozess müsse durch die gesamte Mehrheitsgesellschaft gehen, sagte er: „Kolonialismus wird noch nicht als tiefgreifendes Verbrechenssystem auf allen gesellschaftlichen Ebenen verstanden.“ Dekolonisierung erfordere eine kontinuierliche Aufklärungsarbeit.
Dekolonisierung als Aufklärungsarbeit
In Richtung der dafür so wichtigen Bildungspolitik bemängelte der Grünen-Abgeordnete Wesener, dass die „Wissenschaft bisher noch eine große Baustelle“ bleibe. Gefordert sei unter anderem, Forschungseinrichtungen und einen Lehrstuhl für Black Studies und Postkoloniale Studien zu schaffen. Maisha Auma, Professorin für Gender Studies und Erziehungswissenschaft an der TU bekräftigte das: „Kolonial und rassistisch geprägte Normen wurden institutionell verankert. Noch heute sind die Universitäten häufig durch koloniale und west-zentrische Normen geprägt.“ Ebenso müsse die Kolonialgeschichte in die Lehrpläne der Schulen und die Ausbildung der Lehrkräfte einfließen.
Konkret hapere es zudem an der Rückgabe kolonialer Raubkunst, kritisierte Wesener: „Beim Thema der Restitution passiert grade gar nichts.“ Bei der Rückgabe der Benin-Bronzen etwa werde von Behörden auf die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verwiesen, in deren Hand sie sich befinden.
Mit Blick auf die Zukunft erklärte Tahir Della, dass die Aufarbeitung noch viel Zeit erfordere: „Wenn in den letzten 300 Jahren ein Unrechtssystem aufgebaut wurde, denke ich nicht, dass eine Dekolonisierung in 20 oder 30 Jahren zu Ende ist.“ Der Grünen-Abgeordnete Walter sieht das ähnlich: „Es braucht nicht nur ein paar Beschlüsse, sondern einen kontinuierlichen Prozess.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken