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Debattenkultur der DocumentaDeutsche Gastfreundschaft

Der Umgang der Documenta mit ihren Kurator_innen wirft eine Frage auf: Wozu ruft man Gäste, die man nicht hosten kann?

Teil der interaktiven Installation „Die Allesbrücke“ Foto: Sebastian Gollnow/dpa

K ürzlich kursierte auf Social Media eine Europakarte, auf der zu erkennen war, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, im jeweiligen Land bei Leuten zu Hause Essen angeboten zu bekommen. Überrascht hat mich, dass Deutschland gar nicht am schlechtesten, sondern nur am zweitschlechtesten abgeschnitten hat. Abwärts von Kassel ist die Bundesrepublik nämlich rosa gefärbt, was bedeutet, dass es lediglich „unwahrscheinlich“ sei, dass man Ihnen Essen anbieten wird. Von Niedersachsen aufwärts allerdings ist es laut Grafik „sehr unwahrscheinlich“, sowie in ganz Skandinavien, Stichwort: #Swedengate.

Doch Verpflegung ist ja nicht der einzige Aspekt, der aufmerksame Gastgeber_innen auszeichnet. Da wäre noch die Kunst der anregenden Gesprächsführung, die aufrichtiges Interesse am Gegenüber zeigt und offen für Diskussionen ist. Konflikte können und sollten nicht vermieden werden, aber wenn ein Minimum an Respekt nicht gewährleistet werden kann, weil ein Grundkonsens fehlt, bleibt die Frage, ob es so eine gute Idee ist, sich diese Leute einzuladen. Sprich: Wozu ruft man Gäste, die man nicht hosten kann?

Diese Frage spukt mir zur Eröffnung der Documenta durch den Kopf. Alle fünf Jahre nur ist die internationale Kunstwelt zu Gast im überschaubaren Kassel, dieses Jahr kuratiert das indonesische Kollektiv Ruangrupa die Ausstellung. Das Kurator_innenteam steht bereits seit drei Jahren fest, mindestens so lange hatte die Institution Documenta also Zeit, sich auf ihre Gäste und auch deren Gäste, die ausstellenden Künstler_innen, vorzubereiten.

Man hätte ihnen das Ankommen erleichtern können, indem man potenzielle Konflikte früh benennt und strategisch aufzufangen versucht. Nichts deutet im Moment darauf hin, dass die Documenta sich seit 2019 auch nur einen Gedanken darüber gemacht hat.

Und wie zu erwarten war, wurde in der deutschen Öffentlichkeit seit Anfang dieses Jahres die Nähe einiger Kurator_innen und Künstler_innen zum BDS problematisiert. Die Organisation, die mitunter zum kulturellen Boykott gegen Israel aufruft, wird in Deutschland zu Recht sehr viel kritischer betrachtet als in anderen Teilen der Welt. Fakt ist, dass Kritik an der israelischen Besatzungspolitik oft mit antisemitischer Rhetorik einhergeht und damit gekonnt von anderen Staaten in der Region ablenkt, die regelmäßig Menschen- und Völkerrecht verletzen. Trotzdem ist die Annahme, jeder einzelne BDS-Unterstützer auf dieser Welt sei ein überzeugter Antisemit, der Vernichtungsfantasien gegenüber Israel hege und sich mit Faschisten solidarisiere, überzogen und umstritten.

Im Umgang mit der Debatte gleicht die Documenta einem schlecht organisierten Kindergeburtstag

Man hätte sich klar abgrenzen und inhaltlich Stellung beziehen können zur Kritik. Doch in ihrem Umgang mit der Debatte gleicht die Documenta eher einem schlecht organisierten Kindergeburtstag auf einer Schießsportanlage als der größten Kunstschau der Welt.

Erst wurden alle Antisemitismus-Vorwürfe pauschal und unbegründet abgestritten, dann wollte man die konkreten Positionen doch noch in einer Gesprächsreihe erörtern und sagte nach Kritik an der Besetzung schließlich auch dieses Gesprächsformat ab. In der Aufbauphase brachen nachts Unbekannte in Ausstellungsräume ein und taggten bedrohliche Codes an die Wände. In der Kasseler Innenstadt wurden an Fassaden Sprüche projiziert, wie: „Hitler mag Ruangrupa & Kassel“ in guter, alter, deutscher Frakturschrift.

Hätte man das alles verhindern können? Wer weiß. Sicherlich hätte man alle Beteiligten besser beraten und schützen können. Oder sich eben früh genug eingestehen, dass man nicht in der Lage ist, die Welt in Kassel zu begrüßen. Unter solchen Umständen ist eine nuancierte Diskussion über das Thema hierzulande jedenfalls, gelinde gesagt, so unwahrscheinlich wie ein Extrateller am bereits gedeckten Tisch.

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Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
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11 Kommentare

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  • Da liegt die Latte:



    " Wir brauchen aber die Kunst, die auf uns wirkt wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, Kunst muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.”

  • Den Bogen zu "Gastfreundschaft der Deutschen" kann man wohl nur ziehen, wenn man glaubt, an einer Blase ein ganzes Schaumbad ausmachen zu können.

    Alles rund um diese Geschichte hat vielmehr etwas mit der aufs Rudimentärste reduzierten und aussichtslos verstümmelten Debatte zum Nahost-Konflikt zu tun. Und sicher auch mit der mit der stramm lagertreuen Positionierung einer hoffnungslos gespaltenen Linken in Deutschland.

    Ideologische Eckensteher haben es geschafft, dass niemand dem Gegenüber mehr zuhören will, dass es nur noch um darum geht, sich gegenseitig mit Maximalvorwürfen zu überziehen, um am Ende die alleinige Deutungshoheit zu besitzen.

    Das Leid der Menschen vor Ort, die in diesen Konflikt hineingeboren und vom ihm aufgfressen werden ist längst zum billigen Vehikel der gegenseitigen Dämonisierung verkommen.

    Es wird von sesselbequemen Aktivisten ein Menschenbild von "den Israeis" und "den Palestinänsern" gezeichnet, dass in Differenziertheit und Realität maximal den Anforderungen eines klassischen Märchenbuches genügt.

    Schon der Ansatz eines Versuchs, zu diesem Thema eine offene Debatte zu führen wird im Keim erstickt und dem Gegenüber als Relativierung von Grausamkeiten ausgelegt.

    Und das alles hat herzlich wenig damit zu tun, wie gastfreundlich es nun tatsächlich ist, nördlich von Hannover zur Begrüßung mit einem Teller warmen Grünkohls beglückt zu werden.

    • @Deep South:

      Sie beschreiben den Umgang mit dem Nahost-Konflikt sehr treffend. Dieser Umgang hat mehr mit den eigenen Hintergründen als mit den Handlungserfordernissen vor Ort zu tun.

  • Die BDS- Unterstützer unter den Kuratoren und Künstlern hätte man besser schützen müssen? Was meint die Autorin damit? Wo vor schützen? Vor Kritik? Wieso denn ? Wer Andere kritisiert, der muss auch selbst Kritik aushalten.



    Und was hat das mit der angeblich den Deutschen fehlenden Gastfreundschaft zu tun? Manche syrische oder ukrainische Flüchtling können da auch Positives berichten. Andererseits gibt es etwa in der Türkei zunehmende Feindseligkeiten gegenüber den syrischen Flüchtlingen. Und die sehr oberflächliche traditionelle Gastfreundschaft ist dort auch schnell am Ende, wenn man bestreitet, dass die inhaftierten kurdischen Politiker oder die kritischen Journalisten in Wirklichkeit keine Terroristen sind.

    • @vulkansturm:

      Mir ist auch schleierhaft, warum die Kuratoren besser geschützt werden sollten. Zur Kunst gehört Reibung und wer in Deutschland teilweise mit BDS auffährt muss sich dem auch stellen. Reflektion, Kritik und Mut zur Meinung muss man auch leben…

  • Je lauter der Widerstand, desto wertvoller die Inhalte und Botschaften. In diesem Fall ein Stich ins Wespennest des westlichen Egozentrismus. Vielleicht die erste wirklich politische Documenta!

  • Und immer wieder BDS.

    Wer den unterstützt und nicht weiß, dass BDS der politische Arm von Hamas und Islamischem Jihad ist, der ist entweder dumm, gleichgültig oder eben ein Antisemit.

    BDS wird geleitet vom Palestinian BDS National Committee:

    bdsmovement.net/bnc

    Die größte und wichtigste Kraft in diesem Gremium ist der Council of National and Islamic Forces in Palestine:

    en.wikipedia.org/w...and_Islamic_Forces

    Zu ihm gehören:

    PFLP

    Hamas

    Islamic Jihad Movement in Palestine

    Wer mit BDS sympathisiert, sympathisiert automatisch mit diesen terroristischen Organisationen.

    Macht aber nichts, die dürfen trotzdem die größte Kunstausstellung der Welt kuratieren.

    • @Jim Hawkins:

      Aber leider wird bei der Verurteilung mit zweierlei Unmaß gemessen. Z.B. "Wenn Nazis linke Parolen rufen" (taz.de/Querdenken-Bewegung/!5826005/)



      Wenn schon allein das Versäumnis, sich nicht vom Reichsbürger distanziert zu haben, den querdenkenden Familienvati als Nazi ausweist, dann muss das Urteil über einen Unterstützer genauso eindeutig ausfallen.

    • 4G
      49732 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Danke für die Information.

      Und ja, wenn man auf der "guten" Seite der Politik steht, darf man mit Terroristen und LQBT Hassern gemeinsame Sache machen! Oder auch mal Antidemokratisch sein. Nicht so schlimm. Man ist ja trotzdem der Gute.

    • @Jim Hawkins:

      Das ist alles richtig und bekannt. Unbekannt war mir bisher, daß das eigentlich Problem ist, daß diese Leute nicht vor Kritik "geschützt" werden und der Grund dafür (die unbestriiten) schlechte Gastfreundschaft in Deutschland ist. Da muß man erst mal drauf kommen.