Debattenkultur der Documenta: Deutsche Gastfreundschaft
Der Umgang der Documenta mit ihren Kurator_innen wirft eine Frage auf: Wozu ruft man Gäste, die man nicht hosten kann?
K ürzlich kursierte auf Social Media eine Europakarte, auf der zu erkennen war, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, im jeweiligen Land bei Leuten zu Hause Essen angeboten zu bekommen. Überrascht hat mich, dass Deutschland gar nicht am schlechtesten, sondern nur am zweitschlechtesten abgeschnitten hat. Abwärts von Kassel ist die Bundesrepublik nämlich rosa gefärbt, was bedeutet, dass es lediglich „unwahrscheinlich“ sei, dass man Ihnen Essen anbieten wird. Von Niedersachsen aufwärts allerdings ist es laut Grafik „sehr unwahrscheinlich“, sowie in ganz Skandinavien, Stichwort: #Swedengate.
Doch Verpflegung ist ja nicht der einzige Aspekt, der aufmerksame Gastgeber_innen auszeichnet. Da wäre noch die Kunst der anregenden Gesprächsführung, die aufrichtiges Interesse am Gegenüber zeigt und offen für Diskussionen ist. Konflikte können und sollten nicht vermieden werden, aber wenn ein Minimum an Respekt nicht gewährleistet werden kann, weil ein Grundkonsens fehlt, bleibt die Frage, ob es so eine gute Idee ist, sich diese Leute einzuladen. Sprich: Wozu ruft man Gäste, die man nicht hosten kann?
Diese Frage spukt mir zur Eröffnung der Documenta durch den Kopf. Alle fünf Jahre nur ist die internationale Kunstwelt zu Gast im überschaubaren Kassel, dieses Jahr kuratiert das indonesische Kollektiv Ruangrupa die Ausstellung. Das Kurator_innenteam steht bereits seit drei Jahren fest, mindestens so lange hatte die Institution Documenta also Zeit, sich auf ihre Gäste und auch deren Gäste, die ausstellenden Künstler_innen, vorzubereiten.
Man hätte ihnen das Ankommen erleichtern können, indem man potenzielle Konflikte früh benennt und strategisch aufzufangen versucht. Nichts deutet im Moment darauf hin, dass die Documenta sich seit 2019 auch nur einen Gedanken darüber gemacht hat.
Und wie zu erwarten war, wurde in der deutschen Öffentlichkeit seit Anfang dieses Jahres die Nähe einiger Kurator_innen und Künstler_innen zum BDS problematisiert. Die Organisation, die mitunter zum kulturellen Boykott gegen Israel aufruft, wird in Deutschland zu Recht sehr viel kritischer betrachtet als in anderen Teilen der Welt. Fakt ist, dass Kritik an der israelischen Besatzungspolitik oft mit antisemitischer Rhetorik einhergeht und damit gekonnt von anderen Staaten in der Region ablenkt, die regelmäßig Menschen- und Völkerrecht verletzen. Trotzdem ist die Annahme, jeder einzelne BDS-Unterstützer auf dieser Welt sei ein überzeugter Antisemit, der Vernichtungsfantasien gegenüber Israel hege und sich mit Faschisten solidarisiere, überzogen und umstritten.
Man hätte sich klar abgrenzen und inhaltlich Stellung beziehen können zur Kritik. Doch in ihrem Umgang mit der Debatte gleicht die Documenta eher einem schlecht organisierten Kindergeburtstag auf einer Schießsportanlage als der größten Kunstschau der Welt.
Erst wurden alle Antisemitismus-Vorwürfe pauschal und unbegründet abgestritten, dann wollte man die konkreten Positionen doch noch in einer Gesprächsreihe erörtern und sagte nach Kritik an der Besetzung schließlich auch dieses Gesprächsformat ab. In der Aufbauphase brachen nachts Unbekannte in Ausstellungsräume ein und taggten bedrohliche Codes an die Wände. In der Kasseler Innenstadt wurden an Fassaden Sprüche projiziert, wie: „Hitler mag Ruangrupa & Kassel“ in guter, alter, deutscher Frakturschrift.
Hätte man das alles verhindern können? Wer weiß. Sicherlich hätte man alle Beteiligten besser beraten und schützen können. Oder sich eben früh genug eingestehen, dass man nicht in der Lage ist, die Welt in Kassel zu begrüßen. Unter solchen Umständen ist eine nuancierte Diskussion über das Thema hierzulande jedenfalls, gelinde gesagt, so unwahrscheinlich wie ein Extrateller am bereits gedeckten Tisch.
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