Debatten um Bremer Straßenbahn-Trasse: Leicht verlegen durch die City

Das Aktionsbündnis Innenstadt möchte gern die Tram aus der Obernstraße in die Martinistraße verlegen. Ob das sinnvoll ist, bleibt fragwürdig.

Bauarbeiter beim Bauen einer Trambahn-Trasse

In Lilienthal hat die Tram-Verlegung drei Jahre lang das Ortszentrum blockiert Foto: BSAG

BREMEN taz | Die Diskussion ist da, das hat die Handelskammer schon mal erreicht. Aber was bedeutet der Neubau einer Bahntrasse mitten in der Stadt? ­Alfred Werner weiß das. Er hat es erlebt. Werner hatte 2005 die „Initiative Pro Lilienthal“ gegründet, als die Verlängerung der Linie 4 bevorstand, mitten durch den Ort.

„Wir haben alles getan, um dieses Projekt abzuwenden“, sagt Werner. Und tatsächlich seien die rund drei Jahre reine Bauzeit bis 2014 sehr belastend gewesen. „Es war laut, der Übergang über die Straße war schwierig.“ Eine ganze Reihe Geschäfte sei insolvent gegangen. Die Kun­d*in­nen blieben weg.

Das ficht das „Aktionsbündnis Innenstadt“ nicht an. Vor zwei Wochen hat das Aktionsbündnis Innenstadt ein Gutachten vorgelegt, das besagt: Eine Verlegung der Straßenbahn aus der Obern- in die Martinistraße wäre möglich – und der vom Bauressort geplante Umbau der Domsheide damit „nicht alternativlos“.

Teil des Aktionsbündnisses sind unter anderem Handelskammer und Arbeitnehmerkammer – insgesamt ein „signifikanter Anteil der Stadtgesellschaft“, sagte Stefan Brockmann, als Vorstand der „CityInitiative Bremen Werbung e. V.“ ebenfalls beteiligt, dem Weser-Kurier. Auch CDU- und SPD-Fraktion setzen sich für eine Verlegung ein.

Kein Vorteil für den Umweltverbund

Den Anspruch, einen großen Teil der Stadtgesellschaft hinter sich zu haben, stellt ADFC-Geschäftsführer Sven Eckert infrage. „Die Rückmeldungen hier sagen etwas anderes.“ Die Verlegung würde für den gesamten Umweltverbund keine Vorteile bringen, seien insgesamt „hoch problematisch“, sagt Eckert und verweist auf das Gutachten der BSAG.

Das hatte Chefplaner Andreas Busch bereits in der Sitzung der Mobilitätsdeputation Mitte Juli vorgestellt. In der Präsentation erklärte er, warum er die beiden vom Aktionsbündnis genannten Varianten für nicht machbar hält.

Die von Handelskammer & Co. favorisierte Variante eins sieht eine Haltestelle in der Balgebrückstraße vor. Die Bahn würde dann in die Martinistraße abbiegen und auf Höhe der Pieperstraße erneut halten. In Variante zwei würde die Trasse sogar vor der Domsheide abbiegen, über den Altenwall Richtung Martinistraße geleitet werden. Laut Busch sei es in beiden Varianten nicht möglich, die Barrierefreiheit zu gewährleisten.

Außerdem sei das Amt für Straße und Verkehr nicht sicher, ob die Straße hoch zur Balgebrückstraße eine Bahn aushält – ein Risiko für steigende Bauzeit und Kosten. Fährt die Bahn über den Altenwall, ginge es den denkmalgeschützten Wallanlagen an den Kragen.

Variante eins brauche bis zur Inbetriebnahme siebeneinhalb bis elf Jahre und koste mindestens 50 Millionen Euro – und ÖPNV-Fördermittel vom Bund seien nicht zu erwarten, sagt Busch: Denn die Kosten-Nutzen-Rechnung geht nicht auf, da die Bahn „an den Rand“ der City gerückt werden würde. Die Wege werden so länger, das ist vor allem für bewegungseingeschränkte Menschen ein Problem.

Die Initiative „Einfach Einsteigen“, sonst eine der großen Verfechterinnen neuer Straßenbahnen, teilt die Kritikpunkte der BSAG. Eine Verlegung würde zudem in der Martinistraße selbst Probleme für alle Verkehrsteilnehmenden mit sich bringen, sagt Gründer Mark Wege, „weil es da sehr eng ist“. Das sieht die Handelskammer anders: „Mit der Reduzierung auf zwei Fahrstreifen, einen in jede Richtung, bietet der Straßenraum genug Platz.“

„Das Gutachten des Aktionsbündnisses gegen die Innenstadt löst die Probleme, indem es sie weitgehend ignoriert oder umdefiniert“, so Weges Urteil. Etwaige Probleme mit Steigungen, größeren Entfernungen und Straßenquerungen würden zwar erwähnt, seien aber „anscheinend nicht so wichtig“.

Tram bringt Kunden in die City

Wege kritisiert außerdem, dass die wirtschaftlichen Vorteile einer Verlegung für die Geschäfte bisher „pure Spekulation“ seien. Auch einige Weser-Kurier-Leser*innen sehen den Punkt – in den Kommentaren heißt es: „Gibt es denn eine einigermaßen objektive Untersuchung, warum die Obernstraße (angeblich) so unattraktiv ist? Es könnte ja auch an einem unattraktiven Geschäfte-Mix und einer langen, eintönigen Karstadt-Front liegen.“ Und: „Die Straße liegt fast den ganzen Tag über im Schatten und ist ein Windfang.“

Doch die Handelskammer ist sicher, dass die Entlastung der Obernstraße eine Aufwertung wäre: „Einzelhandels- und Gastronomieanbieter mit Außenflächen könnten sich gegenseitig ergänzen und die Verweilqualität in der Obernstraße maßgeblich verbessern“, schreibt Sprecherin Christiane Weiß.

Auch der Marktplatz sowie Bürgerschaft, Schütting und Dom könnten „zu einem ungestörten Ort der Begegnung werden“. Die Barrierefreiheit sieht die Handelskammer nicht gefährdet, im Gegenteil. Sie würde sich verbessern, „da alle Haltestellen barrierefrei werden“. Das sei aktuell nicht so, sagt Mustafa Güngör, SPD-Fraktionsvorsitzender, in der Obernstraße sei die Stufe in die Bahn zu hoch.

Mark Wege, Gründer der Initiative „Einfach Einsteigen“

„Das Gutachten des Aktionsbündnisses gegen die Innenstadt löst die Probleme, indem es sie weitgehend ignoriert oder umdefiniert“

Eine bahnfreie Obernstraße sei für ihn nicht nur attraktiver, sondern auch sicherer. „Laufen Sie da mal mit einem Dreijährigen durch!“ Das Aktionsbündnis Innenstadt möchte, dass der Senat die Verlegung als Alternative in Erwägung zieht und sie genauer untersuchen lässt. Auch eine Beteiligung der Öffentlichkeit wird im Gutachten des Ingenieurbüros aus Hannover empfohlen.

Die aber gab es laut Verkehrsressort schon. Vor der Domsheide-Entscheidung hatten Bür­ge­r*in­nen und Beiräte die Möglichkeit gehabt, sich einzubringen. „Ich sehe die Straßenbahn als wichtiges Instrument, um zusätzliche Kundenströme in die City zu bringen“, sagt Senatorin Maike Schaefer (Grüne), und neben der Obernstraße sei die Haltestelle vor Karstadt nun mal „die einzige direkte ÖPNV-Anbindung der Sögestraße“.

Eindeutig für die jetzt vorgesehene Lösung spreche auch, dass die Chance bestehe, „dass wir all diese Umbauten als Kofinanzierung nutzen könnten, um die 40 Millionen Euro Bundesmittel in die Glocke investieren zu können“, so Schaefer. „Zudem liegt mir die Barrierefreiheit sehr am Herzen“, so Schafer.

Auch Joachim Steinbrück und Arne Frankenstein, der ehemalige und der aktuelle Landesbehindertenbeauftragte, sehen sie nur mit der Haltestelle vor der „Glocke“ und der Bahn durch die Obernstraße gegeben. Auch in technischer Hinsicht meldet das Ressort Bedenken an. Diesbezüglich habe man Nachfragen zum Gutachten ans Ingenieurbüro gestellt.

Wie Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Die Linke) zu den Plänen steht, sagt sie der taz nicht. Aus dem Ressort heißt es nur: „Das Gutachten lässt sich nicht einfach übergehen. Es zeigt, dass es verschiedene Alternativen zu einer Zusammenlegung der Straßenbahnhaltestellen vor der Glocke und zu einer Straßenbahn in der Obernstraße gibt.“

Diese müssten jetzt geprüft werden. Aus Vogts bisherigen Statements geht hervor: Sie steht Schaefers Plänen sehr kritisch gegenüber. Zum einen ist Vogt gegen die neue Haltestelle vor der Glocke. Die würde „dem Konzerthaus wahnsinnige Probleme bereiten“, sagte sie Ende April dem Weser-Kurier. Und im Sommer, kurz vor der Deputationssitzung, sagte sie zur einer möglichen Verlegung der Bahn, dass man darüber auch nachdenken sollte, selbst wenn es teuer sei.

Der Vorsitzende der Linksfraktion, Nelson Janßen, hält von den Plänen dagegen nicht viel. Die Kosten stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen. Mit dem Geld ließen sich andere ÖPNV-Projekte, die etwa die Stadtränder besser anbinden würden, sinnvoller finanzieren.

Sorge um die Glocke

Laut Busch von der BSAG ist Vogts Sorge um das Konzerthaus unbegründet: Mit dem von Schaefer geplanten Umbau der Domsheide würde vor der Glocke sogar Platz gewonnen, obwohl die Schienen der geplanten viergleisigen, zentralen Haltestelle rund eineinhalb Meter näher rückten.

Die Buswendeschleife entfalle, außerdem sei geplant, die Glocke rückwärtig zu beliefern. Zudem sollen an der Domsheide Flüsterschienen verlegt werden. Dieter Mazur, Vorsitzender des BUND Bremen, hält die Pläne des Aktionsbündnisses für nicht durchdacht.

„Verkehrspolitisch einschlägige Leute haben die da nicht.“ Dass eine Verlegung der Bahn die Innenstadt retten könnte, erschließe sich ihm nicht. Zudem ringe man jetzt schon um jede Million, die für den ÖPNV ausgegeben werden müsste. „Das weiß doch jeder, dass das nicht zu stemmen ist.“

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