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Debatte um unbezahlte KrankheitstageOffensiver kontern!

Anja Krüger
Kommentar von Anja Krüger

Hinter der Debatte um Karenztage stecken knallharte Interessen der Versicherungsbranche. Die verdient an privaten Verträgen nämlich prima.

„Unangemessen und unverschänt“ nennt DGB-Vorsitzende Fahimi die Forderung nach Karenztagen Foto: Stefan Boness/Ipon

D ie Debatte über die Lohnstreichung für den ersten Krankheitstag von Beschäftigten ebbt nicht ab. Unermüdlich weisen Fachleute zwar darauf hin, dass diese „Karenztag“ genannte Bestrafung von Kranken weder ökonomisch noch gesundheitspolitisch Sinn macht. Aber zunehmend Gehör finden eben auch diejenigen, die keine Gelegenheit auslassen, sozialpolitische Errungenschaften infrage zu stellen: Ar­beit­ge­ber­ver­tre­te­r:in­nen und ihr Anhang versuchen, den politischen Rechtsruck zu nutzen, um Lohnkosten zu drücken. Die aktuelle Diskussion gibt einen Vorgeschmack darauf, wie umkämpft als sicher geltende Sozialleistungen in Zukunft sein werden.

DGB-Chefin Yasmin Fahimi nennt die Forderung nach einem Karenztag „unangemessen und unverschämt“ – und den Einstieg in eine Misstrauenskultur in Unternehmen, denn Kranke werden unter den Generalverdacht des Blaumachens gestellt. Das ist richtig, aber zu defensiv gekontert. In Gang gesetzt wurde die Diskussion ausgerechnet von Oliver Bäte, Chef des Versicherungsgiganten Allianz.

Die Finanzbranche verdient prima am Abbau von Sozialleistungen, jede gestrichene oder gekürzte Leistung ist ein potenzieller Profittreiber. Die Abschaffung etwa der gesetzlichen Berufsunfähigkeitsversicherung und die Kürzung von Rentenansprüchen kostet Beschäftigte richtig viel Geld, weil sie nun eine private Absicherung brauchen. Auch für den Karenztag hätte die Branche sicher bald etwas im Angebot.

Gewerkschaften sind dem „unangemessenen und unverschämten“ Treiben von Versicherungschefs wie Bäte nicht einfach ausgeliefert. Gerade die Allianz ist ein wichtiger Geschäftspartner von ihnen im milliardenschweren Geschäft mit der Altersversorgung, etwa bei Branchenlösungen wie der Metallrente oder dem Presseversorgungswerk.

Das muss ja nicht so bleiben. Darauf sollten Ge­werk­schafter:innen wie Fahimi durchaus hinweisen. Partnern, die so Front machen gegen die Interessen ihrer eigenen Leute wie es Allianz-Chef Bäte getan hat, sollten die Gewerkschaften in Aussicht stellen, die lukrative Geschäftsbeziehung zu beenden.

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Anja Krüger
Wirtschaftsredakteurin
Buchveröffentlichungen: „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“ (Knaur Taschenbuch Verlag, 2010), „Die Angstmacher. Wie uns die Versicherungswirtschaft abzockt“ (Lübbe Ehrenwirth, 2012).
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14 Kommentare

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  • Wir haben eine telefonische Krankschreibung?!



    Damit kann die Krankschreibung vom ersten Tag gewährleistet werden und der/die AN kann bei frühzeitiger Genesung wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren.



    Wo also liegt das Problem?



    @ Herrn Elias > Sie haben vollkommen recht. In großen Unternehmen wird nicht erst seit Corona auch entsprechend verfahren. Lieber zu Hause bleiben und niemanden anstecken.



    Was ich völlig absurd finde, ist der FDP Vorschlag einen Bonus für gesunde MitarbeiterInnen als Belohnung für das Gesundsein und kommen an den Arbeitsplatz auszuloben (wäre aus meienr Sicht ein Normal?):



    Damit betreibt man Diskriminierung von chronisch Kranken (bes. Alten)/ KrebspatientInnen in dreifacher Ausführung:



    - Bonus wrid nicht erreicht, da ja mtl. Krankheitstage



    - Gehaltsabzug weil krank und BERUFSTÄTIG!! Gehört sich das nicht?



    - Gehaltskürzung u. weniger Rentenpunkte für Menschen, die eh immer mehr Kosten selbst tragen müssen



    Schande über so einen unsozialen Vorschlag, der auch noch den Fachkräftemangel verschärft und die Krankenkassenkosten erhöht (mehr Aufwand in Praxen) !



    Tipp an Fürhugnskräfte: mal Abnmahnung/Kündig aussprechen, denn die wenigen Pappenheimer sind idR bekannt!

  • Für mich ist es aus Arbeitgebersicht unmöglich.



    Es nützt keinem Betrieb, keiner Firma etwas, wenn jemand krank zur Arbeit erscheint und dann andere Mitarbeiter ansteckt.



    Dann habe ich auf einmal 10 kranke Mitarbeiter, was doch noch teuer wird.



    Ich verstehe nicht, warum dieses Argument nicht gebracht wird.

    • @Thomas Elias:

      Das Argument wurde bereits gebracht. Es klingt aber zu logisch, um überhaupt in Betracht gezogen zu werden.

  • Es gibt keine 'gesetzliche Berufsunfähigkeitsversicherung' wie hier im Text geschrieben. Und die Kürzung der Rente wegen ein paar Tagen in Summe am Lebensarbeitsende!? Und deshalb Pivatversicherungsneugeschäft!?



    Liebe TAZ, du tust der Sache nix Gutes, wenn so nah an der Unwahrheit, letztlich Fake Niveau argumentiert wird.

    • @Tom Farmer:

      Ich glaube du hast das falsch verstanden. Beides sind Beispiele aus der Vergangenheit. Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist ein Beispiel wo eine Sozialleistung abgeschafft und nun die Kosten für Arbeitnehmer:innen gestiegen sind, da sie selber vorsorgen müssen. Genauso wie bei der Rente, wo auch privat vorgesorgt werden muss, wenn genug Absicherung da sein soll. Bei beiden Änderungen profitieren Unternehmen wie die Allianz, da mehr Arbeitende auf Versicherungsangebote angewiesen sind.



      Ähnliches befürchtet Frau Krüger falls die Forderungen umgesetzt werden. Empfinde ich als eine verständliche Befürchtung

      • @Zahnbürste:

        Ich habe das schon richtig verstanden, sehe aber die Relevanz nicht.



        Sie glaubenalso, dass es dann eine 'KarenztagebedingteRentenkürzungsvermeidungsversicherung' gibt.



        Zudem glauben Sie , dass eine staatliche Rente besser als Privatvorsorge ist.



        Ersteres ist mathematisch/betriebswirtschaftlicher Unsinn, letzteres bewiesen falsch.

  • Völlig richtig, allerdings weiß auch Frau Krüger, um was für Gewerkschaften es sich handelt, nämlich um: deutsche. Das sind die mit der Bahnsteigkarte .

  • Wie kommt es, dass deutsche Arbeitnehmer trotz geringerer Arbeitszeiten so massiv viel mehr krank sind, als deren Kollegen in anderen Ländern?



    Kann es vielleicht doch damit zusammenhängen, dass unser Krankschreibungssystem diese Situation herbeiführt?

    • @Andere Meinung:

      Ich glaub, da spielt jemand Leiterkasten, jedesmal die gleichen gespielt unschuldigen Fragen. Teilweise hängt das sicherlich damit zusammen, dass auch die Lohnabhängigen zB in Griechenland halt auch zur Arbeit schleppen, wenn sie eigentlich krank sind und sich dann trotzdem noch von ihren freundlichen AbeitgeberInnen anhören dürfen, dass sie dankbar sein dürfen, dass sie für sie schwarz arbeiten dürfen. Kann man natürlich auch für eine erstrebenswerte Zielgröße für D halten. Ich tu es nicht.

    • @Andere Meinung:

      Vielleicht liegt es auch daran, dass nach einer Studie der OECD Deutschland gar nicht auf Platz 1 liegt, wie überall fleißig nachgeplappert wird?

      www.aerzteblatt.de...and-in-Deutschland

      Tenor: In Deutschland wird schlicht besser zentral erfasst. Das läßt sich übrigens auch mit dem "sprunghaften Anstieg" der Krankmeldungen nach Einführung der elektronischen Übermittlung zeigen.

  • Karenztag gibt es in Schweden, seit ich denken kann. Und Schweden ist noch immer nicht untergegangen.

    • @Klartext:

      Ja und es gibt in Schweden auch eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen und höhere Strafen bei Verstößen gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen und Schweden ist nicht untergegangen.

      • @pesetenpaule:

        Derailing bringt uns doch nicht weiter.



        Erstmal zum Fakt:



        a) wir haben in D einen hohen (wenn nicht den höchsten) Krankenstand.



        b) Ideenwettbewerb ist eröffnet, wie wir ihn reduzieren können.

        • @GregTheCrack:

          zu a) "wir" sind nichtmal in der EU in den Top 3, was die Krankenstände angeht. Und die massiven "Anstiege" sind letztlich größtenteils auf eine bessere Erfassung zurückzuführen (elektronische AU).