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Debatte um soziale Kürzungen„Das war eine grob irreführende Aussage von Herrn Merz“

Joachim Rock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband fordert Reformen, um den Sozialstaat nachhaltig zu finanzieren. Mit Umverteilung könne das gelingen.

Dr. Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes: Foto: Paritätischen Wohlfahrtsverband
Marie Gogoll
Interview von Marie Gogoll

taz: Herr Rock, ist der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar?

Joachim Rock: Das war eine grob irreführende und falsche Aussage von Herrn Merz. Wir haben keine überdurchschnittliche Kostensteigerung im Sozialstaat. Generell ist der Sozialstaat keine Luxusveranstaltung, sondern erbringt grundlegende Leistungen für die gesamte Bevölkerung. Übrigens hat die Bundesregierung selbst gerade mit Recht eine Leistungsverbesserung beschlossen, die weitere Milliarden Ausgaben erfordert, nämliche die sogenannte Mütterrente.

taz: Von einem Bankrott des Sozialstaats kann Ihrer Ansicht nach also keine Rede sein.

Rock: Ich befürchte, dass die pauschalen Androhungen von Herrn Merz zu großer Unsicherheit in der Bevölkerung beitragen. Zum Beispiel darüber, ob die Rente noch finanziert wird. Damit droht die ohnehin schon große Verunsicherung noch mehr Fuß zu fassen, das finde ich fatal.

Bild: Der Paritätische
Im Interview: Joachim Rock

Jahrgang 1974, ist Diplom-Volkswirt und promovierter Politikwissenschaftler. Seit August 2024 ist er Hauptgeschäftsführer des Sozialdachverbandes Der Paritätische.

taz: Welche Reformen wären Ihrer Meinung nach nötig, um einen stabilen Sozialstaat zu finanzieren?

Rock: Wir müssen gerade auch die Leistungsfähigen stärker zur Finanzierung heranziehen, die Leistungen müssen auf breite Schultern verteilt werden. Die Sozialversicherungsbeiträge belasten aktuell insbesondere Erwerbstätige über Löhne und Gehälter. Andere Einkommen, zum Beispiel aus Vermietung oder Kapitalanlagen, spielen bei der Finanzierung der Sozialversicherung keine Rolle. Dabei machen diese Einnahmen rund ein Drittel des gesamten Volkseinkommens aus. Wäre dieses Einkommen einbezogen, könnte man die Versicherungsbeiträge senken und die Leistungen verbessern.

taz: Wie sähe das konkret aus?

Rock: Für die Krankenversicherung fordert der Paritätische Gesamtverband zum Beispiel eine Bürgerversicherung. Die würde das Zwei-Klassen-System aus privater und gesetzlicher Krankenversicherung überwinden, bei dem sich ausgerechnet die Leistungsfähigsten und Reichsten herausziehen können. Wir wollen ein einheitliches Modell für alle Erwerbstätigen, das alle Einkommen berücksichtigt. Darüber hinaus sind wir der festen Überzeugung, dass man gerade Erbschaften und hohe Vermögen stärker an der Finanzierung des Sozialstaates beteiligen sollte, zum Beispiel durch eine deutlich höhere Erbschaftssteuer.

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