Debatte um misshandelte Flüchtlinge: Standards aus den Augen verloren
Die rot-grüne Regierung in NRW räumt Fehler ein, die zu den Misshandlungen in Flüchtlingsunterkünften führten. Die Opposition fordert den Rücktritt des Innenministers.
DÜSSELDORF dpa | Der Skandal um misshandelte Flüchtlinge in mehreren Landesunterkünften setzt die rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen schwer unter Druck. CDU und FDP legten Innenminister Ralf Jäger (SPD) am Donnerstag im Düsseldorfer Landtag den Rücktritt nahe. Die Opposition warf der Regierung von Ministerpräsidenten Hannelore Kraft (SPD) eklatantes Versagen vor. Kraft und Jäger räumten Versäumnisse ein, versprachen eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle und kündigten Verbesserungen an.
In mindestens drei Unterkünften – Burbach, Essen und Bad Berleburg – sollen private Sicherheitsleute Asylbewerber misshandelt haben. Innenminister Jäger sagte, es dürfe nicht zugelassen werden, dass Schutzsuchenden Unrecht geschehe. „Diesem hohen Anspruch sind wir nicht gerecht geworden“. Man habe den Fokus darauf gelegt, den Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. „Dabei haben wir die Einhaltung der Standards aus den Augen verloren.“ Dieser Fehler dürfe sich nicht wiederholen. Die Vorfälle von Burbach seien „beschämend“.
Die rot-grüne Regierung habe bereits erste „wirksame Maßnahmen“ ergriffen, betonte Jäger. Eine zehnköpfige Taskforce werde darauf achten, dass die Standards eingehalten werden. Landesunterkünfte würden allesamt unter die Lupe genommen. Es dürften nur noch Sicherheitsleute beschäftigt werden, die sich freiwillig von Polizei und Verfassungsschutz überprüfen lassen.
Kraft versprach, man werde jedem Verdacht nachgehen, die bekannten Fälle strafrechtlich verfolgen und Qualitätsstandards und Kontrollen verbessern. Hier seien Fehler gemacht worden angesichts des starken Zustroms von Asylsuchenden. Die Aufnahmekapazitäten in den Landeseinrichtungen sind in NRW seit 2011 verdreifacht worden, reichen aber nicht aus.
CDU und FDP poltern
CDU-Fraktionschef Armin Laschet sagte, die Bilder und Berichte über misshandelte Flüchtlinge seien „eine Schande für unser Land“. Jäger warf er vor: „Sie haben mit Sicherheitsdiensten kooperiert, die Kriminelle angestellt haben – das ist das Problem.“ Nicht einmal minimale Standards seien eingehalten worden, etwa die Überprüfung eines polizeilichen Führungszeugnisses.
An Kraft richtete Laschet die Frage: „Wollen Sie mit dieser Art eines Innenministers weiterarbeiten?“ FDP-Chef Christian Lindner forderte Jäger auf: „Wenn Sie noch einen Funken Ehre im Leib haben, dann stellen Sie Ihr Amt zur Verfügung.“ In Richtung Regierungschefin meinte Lindner: „Die soziale Fassade der Hannelore Kraft, sie ist umgefallen.“
Der neue Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki forderte Konsequenzen für die Unterbringung von Asylsuchenden. „Großunterkünfte, wie sie hauptsächlich in NRW zu finden sind, mit mehreren Hundert Menschen in psychischen Ausnahmesituationen, bergen generell Risiken“, sagte er dem Handelsblatt. Das müsse die Ausnahme bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten