Debatte um Schulschließungen: Länder verstimmt, Beschluss vertagt
Bundeskanzlerin Merkel will schärfere Regeln an den Schulen, die Ministerpräsident:innen ließen sie auflaufen. Eine Studie liefert neue Erkenntnisse.
Eigentlich ist Antje Schure kein Merkel-Fan. Doch beim aktuellen Streit über den richtigen Coronaschutz an Schulen steht die Lehrerin klar auf der Seite der Kanzlerin. „Ich wünsche mir mehr Einheitlichkeit“, sagt Schure. „Jedes Bundesland glaubt, es am besten zu wissen. Wenn es so weiterläuft, glaube ich nicht, dass wir ein normales Weihnachten feiern können.“
An Schures Schule, der Integrierten Gesamtschule Grete Unrein in Jena, sind momentan zwar nur eine Klasse und sechs Lehrer:innen in Quarantäne. Doch wie schnell sich das Virus von Klasse zu Klasse ausbreitet, hat Schure vor den Herbstferien gesehen. Ein Viertel der Schüler:innen musste auf einmal zu Hause bleiben, 30 Lehrkräfte konnten nicht mehr vor der Klasse stehen. „Sie können sich vorstellen, wie wenig guter Unterricht da noch möglich ist.“
Ginge es nach dem Kollegium der Grete Unrein würden die Klassen geteilt und im Wechsel unterrichtet. Eine Forderung, die die Bildungsgewerkschaft GEW seit Wochen stellt – und die am Montag zu einem heftigen Streit zwischen Bund und Ländern geführt hat.
Auf der Konferenz mit den 16 Ministerpräsident:innen wollte Merkel bundesweite Verschärfungen durchsetzen, unter anderem geteilte Schulklassen und eine Maskenpflicht für alle Schüler:innen und Lehrer:innen.
Für Ärger sorgte, dass die Beschlussvorlage des Bundes vorher nicht mit den Ländern abgestimmt war. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) etwa sagte, das Papier habe „zu viel Unmut geführt“. Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow aus Thüringen schimpfte, Landesregierungen seien doch „keine nachgeordneten Dienststellen des Kanzleramts“.
Die Kultusminister:innen wiederum halten an offenen Schulen fest. Letztlich hat die Bund-Länder-Runde die Entscheidungen über eine bundesweite Maskenpflicht und geteilte Klassen auf kommende Woche vertagt.
Bisher gelten an den Schulen im Land sehr unterschiedliche Coronaregeln. Während in Bayern und Schleswig-Holstein beispielsweise auch Grundschüler:innen Masken im Unterricht tragen müssen, sind sie in Thüringen bislang selbst für ältere Schüler:innen nicht verpflichtend.
Ähnlich gehen auch die Vorgaben über die Alternativen zum Regelunterricht auseinander: Niedersachsen und Sachsen-Anhalt etwa schreiben den Schulen in bestimmten Fällen Wechselunterricht vor, andere Länder schließen geteilte Klassen momentan noch grundsätzlich aus.
Studie zur Dunkelziffer
Eine Empfehlung des Robert-Koch-Instituts, Klassen ab 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen zu teilen, lehnen bisher alle Länder ab. Die Kultusministerien halten regelmäßiges Lüften und eine Ausweitung der Maskenpflicht auch in der jetzigen Situation für ausreichend. Neben dem Verweis auf die schlechten Erfahrungen mit dem Wechselunterricht begründen die Länder ihre Entscheidung auch damit, dass Schulen keine „Treiber“ der Pandemie seien.
Einer, der dieser Darstellung widerspricht, ist der Mikrobiologe Michael Wagner von der Universität Wien. „Schulkinder spielen in der Pandemie eine deutlich messbare Rolle“, sagt Wagner der taz.
Mikrobiologe Michael Wagner
Der Wissenschaftler hat mit seinem Team eine repräsentative Studie mir über 10.000 Kindern und Lehrkräften an 243 Schulen in Österreich durchgeführt. Das Ergebnis: Wenn das lokale Infektionsgeschehen hoch ist, spiegelt sich das auch in den Schulen wider, und zwar unabhängig vom Alter.
Vielfach würde eine Infektion nur nicht festgestellt, weil Kinder in der Regel keine Symptome hätten. „Wir wissen nun, dass es eine Dunkelziffer gibt, die deutlich höher ist als die Zahl der entdeckten Fälle“, so Wagner. Die Behauptung, jüngere Kinder spielten bei der Übertragung des Virus keine Rolle, sei nach seinen Erkenntnissen schlicht falsch.
Mitarbeit: Daniel Godeck
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