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Debatte um Schulöffnung trotz CoronaRisikogruppe? Nur mit Attest

Viele LehrerInnen gehören zur Corona-Risikogruppe. Nun sollen sie ein ärztliches Attest bringen, um sich vom Präsenzunterricht freistellen zu lassen.

LehrerInnen mit Vorerkrankungen bringen ein Attest und müssen dann nicht zum Präsenzunterricht. Foto: Christian Charisius/dpa

Berlin taz | Das gibt Streit: Es zeichnet sich ab, dass in den Bundesländern Altersgrenzen allein oder ein pauschaler Verweis auf Vorerkrankungen nicht mehr ausreichen, falls LehrerInnen aus Angst vor Ansteckung nicht am Präsenzunterricht an den Schulen teilnehmen wollen, wenn die Coronabeschränkungen gelockert werden oder wegfallen.

In Berlin beispielsweise heißt es in einer Rundmail der Schulverwaltung, man werde „auf der Grundlage der veränderten Einschätzung des Robert-Koch-Institutes“ die Regelungen zum Personaleinsatz „anpassen“. Beschäftigte in einer Risikogruppe müssten zur individuellen „arbeitsmedizinischen Begutachtung“.

Nach Einschätzung des RKI ist eine „generelle Fest­legung zur Einstufung in eine Risikogruppe“ nicht möglich. Das RKI hat zwar Listen erstellt mit möglichen Vorerkrankungen und Altersgruppen für ein erhöhtes Risiko, im Falle einer Corona-Infektion schwer zu erkranken. Es legt aber Wert darauf, dass eine „individuelle Risikofaktoren-Bewertung“ stattfinden müsse.

„Dies führt dazu, dass ab dem 2. Juni 2020 alle Dienstkräfte der Berliner Schule, die eine Covid-19-relevante Vorerkrankung durch ein aktuelles ärztliches Attest nachweisen, auch weiterhin nicht für eine Tätigkeit in der Schule eingesetzt werden und stattdessen im Homeoffice arbeiten“, heißt es in dem Schreiben der Berliner Schulverwaltung.

20 Prozent freigestellt

In Nordrhein-Westfalen hatte das Schulministerium bereits verfügt, dass LehrerInnen mit Vorerkrankung künftig ein ärztliches Attest vorweisen müssen, um sich von der Teilnahme am Präsenzunterricht befreien zu lassen. Davor war es in NRW relativ formlos möglich, sich mit einem Schreiben an die Schulleitung vom Präsenzunterricht entbinden zu lassen und ausschließlich im Home Office zu unterrichten.

In Baden-Württemberg erklärte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), sie halte es für „richtig“, dass Lehrkräfte künftig Atteste über Vorerkrankungen vorlegten, wenn sie vom Präsenzunterricht befreit werden wollen. Diese Lehrkräfte arbeiteten dann „von zu Hause“ und seien nicht generell freigestellt, betonte Eisenmann.

In Baden-Württemberg hatten sich einer Abfrage zufolge rund 20 Prozent der LehrerInnen von der Präsenzpflicht freistellen lassen. Sie sind nach eigenen Angaben entweder über 60 Jahre alt, schwanger, haben eine relevante Vorerkrankung oder leben mit Personen aus einer dieser Risikogruppen zusammen.

Das Kriterium einer pauschalen Altersgrenze oder die Tatsache, dass man mit einer „Risikoperson“ zusammen lebt, würden bei einer individuellen Attestpflicht künftig nicht mehr ohne weiteres ausreichen, um als Lehrkraft vom Präsenzunterricht entbunden zu werden.

Lange Liste

Die Liste der Vorerkrankungen von „Risikogruppen“, die das RKI veröffentlicht, beinhaltet unter anderem Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, chro­nische Lungenerkrankungen wie COPD, Diabetes, Krebserkrankungen, Erkrankungen des Immunsystems wie beispielsweise Rheuma. Von der Liste sind Millionen Menschen betroffen: In Deutschland gibt es zum Beispiel mehr als 7 Millionen Dia­betiker.

Ilka Hoffmann, im Vorstand der GEW zuständig für die allgemeinbildenden Schulen, sagte der taz: „Lehrkräfte, die nach den bisherigen Erkenntnissen zu den Risikogruppen gehören, also Menschen mit Vorerkrankungen oder einem Lebensalter ab 60 Jahren, sollen nur auf freiwilliger Basis in den Präsenzunterricht zurückkehren.“

Hoffmann erklärte, es gebe aber auch Lehrkräfte, die unterrichten wollten, obwohl sie zur Risikogruppe gehören. Das müsse möglich sein, wenn diese KollegInnen „besonders geschützt werden“. In vielen Schulen befürchtet man Probleme bei der Organisation des Unterrichts, wenn ein Teil der Lehrkräfte von zuhause aus, die Mehrzahl aber vor Ort unterrichtet.

Hoffmann wies daraufhin, dass „die Gefahr der Stigmatisierung“ bestehe, wenn Lehrkräfte jetzt ein ärztliches Attest erbringen müssten, um vom Präsenzunterricht freigestellt zu werden. „Es besteht auch die Gefahr, dass wegen des Lehrkräftemangels sozialer Druck aufgebaut wird, damit die KollegInnen in den Präsenzunterricht kommen. Die Personalräte müssen dafür sorgen, dass ein solcher Druck nicht entsteht.“

Abstand muss bleiben

Auch wenn die Abstandsregeln in den Schulen gelockert werden, müsse es „immer einen ausreichenden Infektionsschutz für die Lehrkräfte geben, also, dass zum Beispiel der Abstand zu den Lehrkräften weiterhin eingehalten werden muss“, sagte Hoffmann.

Jede Schule sollten einen runden Tisch einrichten, „an dem die Lehrkräfte, Sozialarbeiter, Schulpersonal, Eltern und Schüler, aber auch Gesundheitsexperten sitzen und an dem man das genaue Vorgehen berät“, erklärte das GEW-Vorstandsmitglied.

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6 Kommentare

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  • Ist ja klar, daß es wieder am Einzelnen hängenbleibt, zu beweisen, daß man gefährdet ist.

    Lehrer und Betreuer sind anscheinend Verschleißmaterial. Hauptsache, die Bevölkerung kann ihre Kinder abgeben, damit sie wieder arbeiten geht! Krankes System.

  • Ich verstehe nicht, warum ausgerechnet für LehrerInnen andere Regelungen gelten sollen als für alle möglichen anderen Berufe...soweit ich weiß wird in keiner anderen Branche darüber diskutiert...?

  • Komisch, als Arzt wird man gar nicht gefragt, ob man zu einer Risikogruppe gehört. Da arbeitet man einfach.

  • Der aktuelle Wunsch vieler Arbeitgeber, Argumente für bevorzugten Einsatz "an der Front" oder in der "HomeOffice-Etappe" zu finden, ist nicht durch Evidenz gestützt. Es kann letztens schädlich sein, einem mit Kindern (also "Biostoffen") tätigen Kindergärter oder Lehrer Bedenken für Corona zu attestieren, denn das weckt berechtigte Zweifel an der generellen Einsatzfähigkeit, insbesondere in der Erkältungs- und Grippezeit.

  • „Es besteht auch die Gefahr, dass wegen des Lehrkräftemangels sozialer Druck aufgebaut wird, damit die KollegInnen in den Präsenzunterricht kommen. Die Personalräte müssen dafür sorgen, dass ein solcher Druck nicht entsteht.“

    Seit wann wird im öffentlichen Dienst Druck wegen Krankschreibungen aufgebaut? Interessiert doch sonst auch nicht Der Krankenstand im öffentlichen Dienst ist doch annährend doppelt so hoch, wie der Bevölkerungsschnitt. Liegt also bei ungefähr 30 bis 40 Krankheitstagen.An den Schulen, an denen ich tätig war und bin, da reicht man bei Schwangerschaft direkt das Arbeitsverbot ein, Das neue Hüftgelenk wird natürlich auch nicht während der zwölf Wochen Urlaub angeschraubt, sondern während der Unterrichtszeit. Man will sich schließlich in den Ferien erholen. Und sobald die Bild wieder von der Grippewelle schwadroniert, haben alle die Grippe und wenn man selber icht die Grippe hat, dann haben die eigenen Kinder die Grippe und müssen betreut werden.

    Also Leher*innen sind durchschnittlich vier Monate im Jahr einfach nicht in der Schule. Da gibt es natürlich den Lehrer*innentypen, der nie krank ist und der, der einfach mal 80 Tage im Jahr krank ist. Schon klar. Da ist nicht jede oder jeder Simulant. Natürlich nicht.



    Je nachdem wie man sich mit de Schulleitung versteht, gibt es dann auch mal zwei Wochen Sonderurlaub während der Schulzeit für den Umzug und den Einbau der Klavierlackikeaküche. Dann werden halt vor Weihnachten zwei Mathearbeiten pro Woche geschrieben. Muss man Verständnis haben.

    Das ist Deutschland, das ist Arbeit nach mittlerer Art und Güte, das ist Bildung. Aber so ein bisschen sozialer Druck, nennen wir es hier einfach mal Solidarität oder zumindest Kollegialität, schadet der deutschen Beamt*in oder Angestellt*in nicht.

    • @Hecken Schulze:

      Einerseits haben Sie leider recht. Und als einer von denen, die selten fehlen, darf man sich dann noch anhören, dass man ungeliebte Fächer oder Klassen deswegen bekommt, weil man da jemanden braucht, der seinen Job auch zuverlässig macht ...



      Andererseits wird gerade ein enormer Druck aufgebaut, seinen Mann/seine Frau an der Bildungsfront zu stehen: Kinder haben ja ein Recht auf Bildung und Teilhabe, und wenn wir die Schulen nicht öffnen, dann vernichten wir die Bildungschancen ganzer Generationen. Und unsere Kinder erleiden große große Schäden.



      Berechtigte Befürchtungen von seiten der Lehrer (erhöhte Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen, Aerosolansteckung eventuell nahezu genauso häufig wie Tröpfchenbelastung) -- scheiß drauf. Wir haben ja ein Schutz- und Hygienekonzept, das im besten Fall während des Unterrichts im Klassenraum funktioniert, schon mit dem Schlussklingeln aber nicht mehr.



      Dass man systematisch und regelmäßig Lehrer und Schüler testet oder Lehrern FFP2-Masken zur Verfügung stellt -- wozu?