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Debatte um Parlamentspoet_inWenn eine Idee ein Land triggert

Drei Autor_innen haben ein_e Parlamentspoet_in für Deutschland gefordert. Das mag Quatsch sein, aber noch viel quatschiger ist die Debatte darum.

Wieso also nicht ein_e Poet_in im Bundestag? Foto: Political Moments/imago

D ie Poeten, sagte James Baldwin einmal und meinte damit Künstler_innen jeder Form, seien letztlich die einzigen Menschen, die die Wahrheit über uns wüssten. „Nicht die Soldaten. Nicht die Politiker. Nicht die Priester. Nicht die Gewerkschafter. Nur Poeten.“

Welche Wahrheit Baldwin meinte? Dass unser Leid universell ist und dass es uns alle miteinander verbindet, weil wir unter denselben unterdrückerischen und ausbeuterischen Bedingungen leiden. Was den Poeten von seinen Mitleidenden unterscheide, sei bloß der Umstand, dass er dieses Leid konfrontiere, statt den Blick abzuwenden, um etwas daraus zu machen. Und um dieses Etwas den Mitleidenden zurückzugeben: „Ich kann dir sagen, was das Leiden ist, und dir vielleicht dabei helfen, weniger zu leiden.“

Folgen wir also der Auffassung Baldwins, gibt es im Grunde keinen volksnäheren Typus als den Poeten. Weil aber „volksnah“ nach Marketingsprech für aufstiegswillige Politiker_innen klingt, die bekanntlich wenig Interesse haben, Herrschaftsverhältnisse infrage zu stellen, nennen wir es lieber: aufmerksam. In der Konsequenz bedeutet das für Baldwins aufmerksamen Poeten politische und soziale Vereinsamung: „Kunst ist dazu da, um zu beweisen und zu ertragen, dass jede Sicherheit eine Illusion ist. In diesem Sinne stehen alle Künstler zwangsläufig jeder Art von System oppositionell gegenüber.“

Als kürzlich die drei Autor_innen Mithu Sanyal, Simone Buchholz und Dmitrij Kapitelman in der Süddeutschen Zeitung die Einführung eine_r Parlamentspoet_in forderten, erschrak ich also. Es schüttelte mich bei dem Gedanken, ein_e Poet_in könne sich in den Dienst des Bundestags stellen wollen. Aber nur für einen Moment. Im nächsten schon schossen mir zwei perfekte Kandidat_innen für den Posten durch den Kopf, ich lachte, zuckte die Achseln und dachte mir: interessantes Gedankenspiel. Es tummeln sich genügend zwiespältige Gestalten im Bundestag. Wieso also nicht noch ein_e Poet_in? Irgendwen würde dieser Job schon erfüllen. Hauptsache, er bliebe nicht an mir hängen.

Voller Hohn und „Skandale“

Anscheinend bin ich nicht allein mit meinem Unbehagen, auch wenn meines softer ausfiel. Ein Großteil der Presse stürzte sich voller Hohn auf Katrin Göring-Eckhardt, die die Forderung unterstützte und die Autor_innen zum Gespräch einlud. Das Land habe andere Sorgen, wurde in dreißig verschiedenen Versionen formuliert. „Rosen sind rot /Veilchen sind blau /Gendern ist scheiße /Das weiß ich genau“, twitterte eine Userin, Bild.de zitierte den Tweet im Bericht über den „Skandal“.

So aggressiv wie die Öffentlichkeit auf die Idee eine_r Parlamentspoet_in reagiert, scheint das Land aber ja gerade keine anderen Sorgen zu haben. „Dichtet lieber die Fenster!“ fordert etwa ein Handelsblatt-Artikel in Reimen, FDP-Mann Kubicki nennt die Forderung ein „elitäres Projekt“. Fragt sich, ob der Bundestag nicht ohnehin die elitärste Veranstaltung des Landes ist und ob die Präsenz einer Poet_in diesen Elitismus verstärken oder eher zur Schau stellen würde?

Auch in dieser Zeitung fantasierte ein Kollege, die hypothetische Parlamentspoet_in sei doch bestimmt „divers“ und die interessiere sich doch gar nicht für Hartz IV und Verteilungsfragen. Na, so was! Es gehört anscheinend nicht viel dazu, mit einer harmlosen, an sich poetischen Idee das halbe Land zu triggern. Was sich dabei entlädt, ist Hass auf eine Kunst, die sich anmaßt, mehr zu sein als pure Freizeitunterhaltung. Ja, vielleicht ist es Quatsch, eine_n Parlamentspoet_in einzuführen. Aber noch viel größerer Quatsch ist es, sich an der Idee abzukämpfen, als hinge die Zukunft der Demokratie davon ab, jeden ästhetischen Zugang zur Welt als irrelevant abzuwerten.

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Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
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24 Kommentare

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  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Da ich keine(n) Verschwörungstheoretiker(in) kenne, kann ich ihre Einlassung nicht beurteilen. Wenn das Parlament die Wahl vornimmt, ist das natürlich genau so repreäsentativ, als täte es die Wählerschaft. Dem Präsidium des hohen Hauses möchte ich die Entscheidung nicht zumuten.

  • Wieso eigentlich nicht? Wegen der Kosten? Wegen dem Output, der vielleicht nicht jedem gefällt? Wieso diese spießige, kleinkarierte Erbsenzählerei? Wo wieviel hundert Abgeordnete Platz haben und deftiges Salär beziehen kann auch noch ein*e Poet*in reinpaßen. Vielleicht werden dann ja auch noch die Redebeiträge besser, wenn der/die Poet*in zuhört.

    • @shitstormcowboy:

      Ganz einfach:

      schon unter Akademiker_innen liest kaum jemand Poesie.



      Für wen ist der Quatsch also gedacht? Für den winzigen Teil des Publikums, der tatsächlich Poesie konsumiert.

      Dann doch vielleicht gleich einen Bundestagskomponisten oder wenigstens eine Parlamentsromanautorin.

  • Nichtsdestotrotz ist und beibt es Quatsch.

  • Auch diese Diskussion findet in einer elitären Blase statt. 99,9% der Wähler dürfte das am A vorbeigehen.

    • @Phineas:

      Wissen mach Ahh!

      Richtig! 99,9% der Wähler haben nichts gegen Gedichte, regen sich nicht über den Vorschlag auf und lassen das ganze populistische Gewese gegen den Vorschlag am A vorbei gehen.

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Rudolf Fissner:

        99,9 Prozent. Und die andere Hälfte ist total getriggert. 🚀 Empirie der Pandemie. Frag nicht wo und frag nicht wie.

        • @95820 (Profil gelöscht):

          Was triggert Sie den so an Poesie?

          • 9G
            95820 (Profil gelöscht)
            @Rudolf Fissner:

            Bitte die RED FLAG-Headline noch einmal lesen. Ansonsten:



            Die wunderbare Wisława Szymborska de.wikipedia.org/w...5%82awa_Szymborska würde ich für den diskutierten Posten vorschlagen. Sie erhielt als Lyrikerin sogar den Literatur-Nobelpreis Leider lebt sie nicht mehr. Für Sie wäre sicher ihr Werk „Beitrag zur Statistik“ vielleicht hilfreich. Hier ein Link: www.shooshka.net/archives/6335

            • @95820 (Profil gelöscht):

              Na sehnse. Geht doch!

              • @Rudolf Fissner:

                Fast!



                JEHT doch.



                ...Aber noch viel größerer Quatsch ist es, sich an der Idee abzukämpfen, als hinge die Zukunft der Demokratie davon ab, jeden ästhetischen Zugang zur Welt als irrelevant abzuwerten....

                Wahr schon mal da, paßt immer.



                Das ästhetische Wiesel

                Ein Wiesel



                saß auf einem Kiesel



                inmitten Bachgeriesel.

                Wißt ihr



                weshalb?

                Das Mondkalb



                verriet es mir



                im Stillen:

                Das raffinier-



                te Tier



                tat's um des Reimes willen.

                Christian Morgenstern

                • @Ringelnatz1:

                  Alter Schwede gleich isses wieder soweit

                  “ Der Zwölf-Elf

                  Der Zwölf-Elf hebt die linke Hand:



                  Da schlägt es Mitternacht im Land.







                  Es lauscht der Teich mit offnem Mund



                  Ganz leise heult der Schluchtenhund.







                  Die Dommel reckt sich auf im Rohr



                  Der Moosfrosch lugt aus seinem Moor.







                  Der Schneck horcht auf in seinem Haus



                  Desglelchen die Kartoffelmaus.







                  Das Irrlicht selbst macht Halt und Rast



                  auf einem windgebrochnen Ast-







                  Sophie, die Maid, hat ein Gesicht:



                  Das Mondschaf geht zum Hochgericht.







                  Die Galgenbrüder wehn im Wind.



                  Im fernen Dorfe schreit ein Kind.







                  Zwei Maulwürf küssen sich zur Stund



                  als Neuvermählte auf den Mund.







                  Hingegen tief im finstern Wald



                  ein Nachtmahr seine Fäuste ballt:







                  Dieweil ein später Wanderstrumpf



                  sich nicht verlief in Teich und Sumpf.







                  Der Rabe Ralf ruft schaurig: »Kra!



                  Das End ist da! Das End ist da!«







                  Der Zwölf-Elf senkt die linke Hand:



                  Und wieder schläft das ganze Land.“

                  Eben



                  www.textlog.de/17373.html



                  Doch morgen früh - mein lieber



                  Da scheint er wieder -



                  Der Morgenstern



                  &



                  Ein scheden - hat die Venus gern. Gell =>



                  Morning has broken - Cat laß gehn - 🎶 -



                  m.youtube.com/watch?v=uZAsfB1Np-8



                  Wata song - Gut‘s Nächtle allerseits bis dahin 💤 😴 💤 & 🥃 auf die Schnapsidee des Jahres - “KGE - wie unsere alte Dame*04 selig zu sojet zu sagen pflegte: “Mädel - Geh ins Bett!



                  Nen besseren Witz machste heute (un ditt Johr) nicht mehr!“



                  Dank im Voraus •

              • @Rudolf Fissner:

                Liggers - 🤣 - lieber den Spatz in der Hand - als ne Taube im Bett. Gellewelle.

                kurz - Mal wieder am Bremen-Sehn - wa



                You made my day - So kann Sündach warrn. Thnx a lot - 🥳 -

                Ja - Nicht alles was zwei Reime hat -



                Au Backe - Ist ein Gesicht!



                Nicht alles was parliert - ist ein Gedicht!



                Lowando:Vllt mal so: remember Neruda



                “ Menschen Stalins! Wir tragen mit Stolz diesen Namen. / Menschen Stalins! Das ist die Rangordnung unserer Zeit! / Arbeiter, Fischer, Musiker Stalins! / Ärzte, Salpeterbrecher, Dichter Stalins!“ Der junge Enzensberger kommentierte das seinerzeit brillant:



                „So rächt sich an einem mutigen Mann der Irrtum, die Poesie sei ein Instrument der Politik, weit bitterer als der wohlfeile Köhlerglaube, es gäbe eine unpolitische Dichtung, an tausend Feiglingen.“ Liggers mehr brauchts nich.



                www.welt.de/kultur...rs-neues-Buch.html



                & - 🙀 -



                taz.de/Die-Wahrheit/!5825346/

  • "Ein Großteil der Presse stürzte sich voller Hohn auf Katrin Göring-Eckhardt, die die Forderung unterstützte" Und ichsage mit Recht. Diese Idee,mag sie auch in anderen Ländern Tradition haben, ist so abstrus und weltfremd, dass es geradezu danach schreit Nein zu sagen! Das diesem Quatsch von einer Vizepräsidentin des Bundestages und Fraktionsvorsitzenden einer Regierungspartei das Wort geredet wird, ist schon quatschiger und das Unverstängnis der Gedanken daüber. ist noch mal viel quatschiger.



    Ach ja, " Was sich dabei entlädt, ist Hass auf eine Kunst, die sich anmaßt, mehr zu sein als pure Freizeitunterhaltung", - für wen? Wer soll denn der Rezipient für diese Lyrik sein? Da frage sich jeder einmal selbst, welche Poesie ihn berührt und ob er diese in irgendeiner Weise mit einem "Parlament" in Verbindung bringen könnte. Ich kann das, bei bestem Willen, nicht!

  • "Wieso also nicht noch ein_e Poet_in?"

    Leider bleibt die Frage offen. Aber in der Taz-Redaktion triggert es abseits dessen offenbar auch ganz schön. ;-) Ich schließe mich derweil der breiten Forderung nach einer Verkleinerung des Parlaments an.

    Parlamentspoet - noch ein paar Herolde und ein Narr, damit das ganze Volk erreicht werden kann, auf voller Niveaubreite. Ich verbleibe mit einem leichten Kopfschütteln...

  • Das Ganze ein elitäres Projekt zu nennen oder zum Skandal aufzublasen ist natürlich völlig übertrieben. Übrigens auch, in diesem Shitstörmchen "Hass auf eine Kunst" zu sehen. Parteipolitischer Kindergarten in der Ausdrucksform des Zeitgeistes. Mehr nicht.

    Aber irgendwie kanns einem schon auch die Schuhe ausziehen, dass angesichts der Vielzahl an momentanen Problembergen solche Themen im Bundestag überhaupt eine Rolle spielen.

    Und nebenbei. Poesie, Musik, Literatur, Kunst generell sollte immer frei sein und niemals die Herrlichkeit der Regierenden umschmeicheln. Zumindest nicht bis zur offziellen und einstimmige anerkannten Ausrufung des Paradieses für alle.

  • Ich finde es witzig dass sich Kubicki über einen elitären Bundestag aufregt. Wenn das nicht ironisch ist.

    • @wirklich?:

      Der glaubt das wirklich.

      Ironie ist nicht so Kubickis Ding, dem Bundesgesundheitsminister im Suff Tiernamen zu geben schon eher.

      (Interessant auch, dass er bereits einen Termin für seine vierte Impfung organisiert. Es macht nicht viel Sinn, außer er hat Stöckers Homebrew intus.)

    • @wirklich?:

      Daran dachte ich auch sofort beim Lesen des Kommentars ... aber Poesie im Bundestag? Das triggert nur die taz-Kommune, wohl kaum das ganze Land. Und das hat andere Sorgen.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Fragt sich, ob der Bundestag nicht ohnehin die elitärste Veranstaltung des Landes ist und ob die Präsenz einer Poet_in diesen Elitismus verstärken oder eher zur Schau stellen würde?“ Mal machen. Bei der nächsten BTW könnten die Parteien jeweils eine Liste von Kandidat:innen zur Abstimmung vorlegen. Denn nur den Wähler:innen darf die Entscheidungshoheit überantwortet werden. Nicht Politiker:innen, nicht KGE, nicht Kubicki. (bin total getriggert)

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Natürlich sitzt für einen Verschwörungstheoretiker nur die korrupte, sich selbst bereichernde, faule (hab ich was vergessen?) Elite im Bundestag.



      Ohne diese gefühlte Wahrheit ( www.youtube.com/watch?v=crdcKZgeFNk ) würden ja sonst ganze Weltbilder zusammen brechen.

    • RS
      Ria Sauter
      @95820 (Profil gelöscht):

      Ja, nur so geht es!



      Was macht eigentlich Volker Pispers?



      Georg Schramm?



      Ich würde auch Gedichte von Kästner vortragen und somit meine Rente aufbessern!



      Als erstes das Affengedicht von ihm.



      Passt immer noch!

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Ria Sauter:

        Folgenden Satz möchte ich unterstreichen: „Kunst ist dazu da, um zu beweisen und zu ertragen, dass jede Sicherheit eine Illusion ist."



        Volker Pispers und Georg Schramm wollten nicht mehr Hofnarren sein. Sie hatten von ihrer Kunst mehr Wirkung erhofft. Schade, denn Wirkung ist (nicht) alles.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @95820 (Profil gelöscht):

      Regierungspoeten leben gefährlich

      www.deutschlandfun...en-kritik-100.html