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Debatte um Lockdown-LockerungenAmtsärzte fordern neue Strategie

Der Wille, sich an Auflagen zu halten, lasse nach, sagen die zwölf Berliner Amtsärzte. Sie setzen sich deswegen für Lockerungen ein.

Das Ende des Winters sorgt auch dafür, sich nach dem Ende der Pandemie zu sehnen Foto: dpa

Berlin taz | Der Umgang mit der Coronapandemie mutet bisweilen etwas absurd an. Monatelang wurden von der Politik eine möglichst bundesweit einheitliche und langfristige Strategie sowie Öffnungsoptionen gefordert. Mitte Februar hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen daraufhin auf eine Art Fahrplan geeinigt, bei welchen Werten der Sieben-Tages-Inzidenz welche Maßnahmen – insbesondere Lockerungen – greifen.

Doch leider steigt seitdem dieser Wert wieder, was allgemein vor allem auf die größere Verbreitung ansteckenderer Mutationen zurückgeführt wird: Am Samstag lag die Sieben-Tage-Inzident berlinweit bei über 66 und damit weit entfernt von Wert 35, ab dem erst Lockerungen bei Einzelhandel und Museen möglich werden sollten. Die Politik steckt in einer Sackgasse, denn gleichzeitig sinkt nach Meinung vieler die Bereitschaft der Bürger*innen, die Auflagen zu akzeptieren und einzuhalten.

„Wir sind ganz dicht bei der Bevölkerung und wir kriegen auch den ganzen Unmut ab“, berichtete Neuköllns Amtsarzt Nicolai Savaskan am Wochenende der Deutschen Presseagentur. Es sei versäumt worden, den Berlinern etwas anzubieten. „Am Ende sind es aber die Bürger, die durch ihr Sozialverhalten entscheiden, wie die Pandemie verläuft.“ Die zwölf Amtsärzte der Berliner Bezirke fordern deswegen gemeinsam baldige Lockerungen und eine geänderte Strategie zur Coronabekämpfung. „Wir brauchen andere Instrumente als die Sieben-Tage-Inzidenz“, so Savaskan.

Mit einem Frühwarnsystem und mehr Kompetenzen auf Bezirksebene könne ein Öffnen in Berlin auch schon bei Inzidenzen zwischen 50 und 100 starten. So sollten Bezirke zum Beispiel eigentständig Zonen für eine Maskenpflicht einrichten können; auch strikte Tests und kontrollierte Quarantäne für Einreisende und Reiserückkehrer würden genauso helfen wie kostengünstige Schnelltests und Investitionen in Luftreiniger.

Frisöre öffnen

Ab diesem Montag dürfen Frisöre nach zweieinhalb Monaten Coronaschließung wieder öffnen – allerdings unter harten Auflagen: Termine müssen vorher vereinbart, Abstände strikt eingehalten werden.

In Brandenburg können ab Montag auch Gartenbaucenter wieder Kunden empfangen, wenn die Verkaufsfläche unter freiem Himmel mindestens 50 Prozent der Gesamtfläche ausmacht. In Berlin hingegen müssen solche Geschäfte weiter geschlossen bleiben. In Brandenburg rechnet man deshalb mit einem Andrang auch aus Berlin. (taz)

„Mit Aussicht auf mehr Freiheiten gibt es vielleicht auch einen größeren Umsetzungswillen“, hofft Savaskan und betont: „Wir können im Moment jeden einzelnen Fall verfolgen – und das bei einer Inzidenz von über 50.“

Die Debatte, ob angesichts der steigenden Gefahr durch Mutationen und der gleichzeitigen Coronamüdigkeit der Bevölkerung Lockerungen überhaupt denkbar sind, wird in den nächsten Tagen intensiv geführt werden: Am Mittwoch wollen Kanzlerin und Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen über das weitere Vorgehen sprechen. Das Land Berlin spielt dabei eine wichtige Rolle: Der Regierende Bürgermeister Michael Müller ist derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz und bereitet die Runde mit vor.

Müller gegen Zero-Covid-Strategie

Noch vor drei Wochen hatte Müller in einer Sondersitzung des Abgeordnetenhauses zu den Coronamaßnahmen betont, die 50er-Grenze sei „kein Warn-, sondern ein absoluter Krisenwert“. Inzwischen scheint der Regierende vorsichtige Öffnungen in Erwägung zu ziehen. „Ich möchte auch die Inzidenz von zehn erreichen! Die Frage ist: Will ich das im kompletten Lockdown erreichen oder versuchen, auf dem Weg dahin schon ein paar Dinge möglich zu machen?“, sagte Müller dem Tagesspiegel. Er sehe sich eher auf dem zweiten Weg.

„Wir kriegen den ganzen Unmut ab“: Neuköllns Amtsarzt Nicolai Savaskan Foto: dpa

Gleichzeitig lehnte Müller am Sonntag ein Vorpreschen ab, wie es das Nachbarland Brandenburg etwa bei der Öffnung von Gartenbaumärkten getan hat (siehe Kasten): „Wir wollen auf jeden Fall erst mal die Ministerpräsidentenkonferenz abwarten und dann daraus folgend über Senats- und Parlamentsbeschlüsse sehen, was wir uns aufgrund unserer Infektionsentwicklung zutrauen können“, sagte Müller der dpa. „Ich werbe nach wie vor für diesen besonnenen Berliner Weg, muss aber akzeptieren, wenn andere Bundesländer schnellere Angebote machen wollen. Es bleibt ein Abwägungsprozess.“

Druck von der Wirtschaft

Derweil macht die Wirtschaft Druck: „Es ist absolut nicht nachvollziehbar, dass sich Berlin selbst Ketten anlegt“, sagte Nils Busch-Petersen, der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands. „Wir haben keine Zeit für ideologische Diskussionen, die Betriebe sterben.“ Neuköllns Amtsarzt Nicolai Savaskan verweist derweil auf seiner Meinung nach nicht nachvollziehbare Beschlüsse: „Es ist schwierig zu vermitteln, einen Friseurbesuch zu erlauben, einen Einkauf im Baumarkt aber nicht. Denn das klingt absurd.

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7 Kommentare

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  • Es gibt noch einen Unterschied zwischen Garten- und Baumärkten und Frisör*innen: Bei ersteren kann ich die Ware online vorbestellen und dann vor dem Markt abholen. Beim Haarewaschen ist das schon etwas schwieriger.

    Eine weitere Lockerungsmöglichkeit ohne allzu große Infektionsgefahr wären gemeinsame Spaziergänge oder Treffen draußen mit z.B. bis zu fünf Personen; aber ausschließlich mit (ggfs. medizinischen) Masken. Wie war da noch dieser Spruch mit dem Wetter und der Kleidung?

    • 0G
      05838 (Profil gelöscht)
      @Smaragd:

      Man sollte mit dem Thema Friseure offen und ehrlich umgehen. Viel verdient ist da schon ohne Corona nicht, wenn man einmal von den 1% Starfriseurläden absieht. Das gilt sowohl für die Mitarbeiter, als auch für die Besitzer der Geschäfte. Für diese Erkenntnis reichen dafür Erstsemesterkenntnisse in Betriebswirtschaft. Ein Friseurgeschäft kann in Corona-Lockdownzeiten ohne die komplette staatliche Bezuschussung keine 6 Monate überleben. Was geschieht? Die Mitarbeiter werden privat angerufen und gehen nun privat zu den Kunden ihres Arbeitgebers, machen die Frisur zuhause für 75% des Geschäftspreises. Das hat für den Kunden nicht nur Kostenvorteile, sondern hat auch den Vorteil, dass die Dame nach Hause kommt und man sich den Weg zum Friseurgeschäft spart. Wenn sich das einmal 6 Monate durchgesetzt hat, dann bleibt das meiste auch nach Ende des Lockdowns so wie während des Lockdowns. Das führt dazu, dass 80% der Friseurläden schließen können und die Dienstleistung überwiegend unversteuert bleibt. Daran hat der Staat kein Interesse, weshalb er dieses Geschäft ab März wieder erlaubt.

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Verschwindet denn der Virus, wenn wir uns nur lange genug vor ihm verstecken?

  • Ach das regelt sich schon von alleine. Mit dem Wildtyp haben rund 36 Millionen Deutsche bei COVID ein erhöhtes und zum Teil sehr erhöhtes Risiko, auf Intensiv zu kommen und tw. zu streben. Von den Leuten ab 30, for ohne bekannte Vorerkrankungen in die ICU mussten - es waren nicht viele - haben es 47 Prozent nicht geschafft. Mit den neuen Varianten werden mehr junge Menschen klinikpflichtig werden. Ich werde meinen Hausstand so gut es geht schützen. Der Teil der Gesellschaft, der einfach ohne Konzepte nach Öffnung und Belohnung (wofür genau? Fragt mal beim Virus an was es Euch gibt) geht mir mittlerweile irgendwo kreuzweise vorbei.



    Schulen zu öffnen mit Hygiene und MNS, dafür ganz umfassend, fände ich sehr wichtig. Das wichtigste. Aber das geht mit den egoistischen Erwachsenen in unserem Land wohl nicht. Einzelhandel auf, sich das wäre wichtig. Geht aber nicht, da man die schwarzen Schafe nicht ausgemerzt bekommt. Und so weiter. What the heck.

  • Aussicht auf mehr Freiheiten gibt und gab es ja: Ende des Novemberlockdowns, 10. Januar, 14. Februar, 15. März. Nur wurde diese Aussicht immer wieder enttäuscht. Wie wäre mal mit einem geplanten, unterbrochenen Lockdown branchenweise für verschiedene Gebiete: Ein Kreis eröffnet am 1. März die Frisuerläden, der andere die Bekleidungsläden, der dritte die Sportartikelläden etc. und dann werden diese kreisweise am 1. April wieder geschlossen und andere geöffnet oder auch mal 14 Tage alles geschlossen?



    Mit der Bitte, nur einen Besuch in so einem Laden während der Öffnungsphase zu unternehmen und den auch möglichst kurz zu halten? Und nur innerhalb seines Kreises einzukaufen?



    So könnte aber vielleicht der Frust etwas gemildert werden.

    • @BlauerMond:

      Es sind nicht "mehr Freiheiten", wie uns die Kanzlerin u.a. das gerne verkaufen, sondern Grundrechte.



      Von denen es übrigens vor einigen Monaten noch hieß, deren Einschränkungen würden dauernd überprüft. Natürlich blieb es beim Lippenbekenntnis.

    • @BlauerMond:

      Theoretisch. Ich glaubt aber das Problem liegt bei denen, die uns trotz der sehr umfassenden Maßnahmen den neuen Anstieg bescheren. 80 Prozent der Bevölkerung behaupte ich mal geben ihr bestes. Mit ihnen wäre alles in Butter, und mit ihrem besonnenen Verhalten viel Öffnung ohne Gefahr möglich. Man sollte sich konsequent um die 20 Prozent kümmern.