Debatte um Literaturjurys: Divers über Romane diskutieren
Juliane Lieberts und Ronya Othmanns Insiderbericht aus der Jury des Internationalen Literaturpreises mag fragwürdig sein. Aber er ist auch wichtig.
Bei Sitzungen von Literaturjurys sollte das gesprochene Wort den Raum nicht verlassen. Diese Regel hat nichts mit Mauschelei zu tun, sondern damit, dass eine produktive Jurysitzung, in der verschiedene Ansichten über Literatur aufeinanderprallen, einen geschützten Raum braucht, in dem die Beteiligten verbal die Samthandschuhe ausziehen können. Rhetorische Tricks und Dramatisierungen gehören dazu.
Die Autorinnen Juliane Liebert und Ronya Othmann haben nun gegen diesen Grundsatz verstoßen und einen Insiderbericht über die Sitzungen der Jury zum Internationalen Literaturpreis in der Zeit veröffentlicht. Es stimmt schon: Das ist fragwürdig. Doch das Thema ist wichtig, und es ist gut, dass nun darüber geredet wird.
Über den unmittelbaren Anlass geht das Thema nämlich hinaus. Es hat mit der Zusammensetzung der Jurys zu tun. Die werden seit einigen Jahren, so lange her ist es noch gar nicht, zunehmend nicht nur mit Literaturkritikern besetzt, sondern auch unter Diversitätsgesichtspunkten.
Dafür gibt es gute Gründe. Gesellschaftspolitische: Eine Jury, die aus fünf männlichen Kritikern plus Sigrid Löffler besteht, wie das lange üblich war, würde heute niemand mehr so einfach akzeptieren. Es gibt aber auch literaturimmanente Gründe: Die Einteilung der Bücher in preiswürdige Hochliteratur und von vornherein nicht preiswürdige Nischenliteratur – sprich „Frauenliteratur“, „Migrationsliteratur“ und so weiter – ist hinfällig. Zum Glück.
Um darauf sinnvoll reagieren zu können, brauchen Literaturjurys weiter gefasste Expertisen und Sensibilitäten. Nur müssen damit eben auch eingeübte Spielregeln breiter ausgehandelt werden.
Die weiße Autorin fiel raus
Was war beim Internationalen Literaturpreis geschehen? Wenn man Liebert und Othmann glaubt, wurde eine Rangfolge der eingereichten Romane nach rein künstlerischen Gesichtspunkten erstellt, was immer das sein soll – die Juror*innen verteilten Punkte, wie das auch so üblich ist, dann wurde gesehen, welche Romane wie viele Punkte hatten.
Das Ergebnis gefiel dann allerdings manchen aus der Jury nicht, und zwar aus identitätspolitischen Gründen. Es wurde neu abgestimmt. Eine weiße Autorin fiel aus der Shortlist, weil sie weiß war, eine schwarze Autorin kam neu rauf, weil sie schwarz war. Und Peter Nádas’ Roman „Schauergeschichten“, vorher in der Jury als Meisterwerk gepriesen, sollte auch wegfallen. Kurz: Künstlerische und identitätspolitische Gesichtspunkte standen gegeneinander und Letztere sind gegen Erstere ausgespielt worden.
Das beschädigt nun aber tatsächlich, man muss es aussprechen, die Reputation des Internationalen Literaturpreises, der eben kein Förderprogramm für Übersetzungen und Diversität sein soll, sondern ein ernsthafter Literaturpreis. Dann muss in der Jury aber auch ernsthaft literarisch, also am Text diskutiert werden, wie das – wie einem ehemalige Juroren jetzt stecken – zuvor bei anderen Juryzusammensetzungen auch der Fall gewesen sein soll.
Nun gibt es ja aber gar nicht die in Stein gemeißelten und allgemeingültigen Kriterien, was gute Literatur ist und was nicht. Genau. Gerade da müsste die Jury ansetzen. Für ein ernsthaftes Abwägen von Für und Wider vollkommen unterschiedlicher Literaturbegriffe und Romantraditionen wäre nämlich gerade ein Internationaler Literaturpreis der richtige Ort. Insofern hat die Jury schlicht ihre Aufgabe verfehlt.
Die Legitimität der Entscheidungen
Nur: Um sie zu erfüllen, müsste in den Jurydiskussionen nun mal irgendwann zwischen Werk und Autor*in getrennt werden – eine Herausforderung, der sich jetzt auch divers zusammengesetzte Literaturjurys stellen müssen. Und der zweite Punkt ist, dass eine verantwortliche Jury zwar im Blick haben sollte, welche gesellschaftspolitischen Signale sie mit ihren Entscheidungen sendet – dass jede Preisentscheidung aber an literarische Gesichtspunkte gekoppelt sein muss. Sonst verliert sie ihre Legitimität.
Juryentscheidungen ohne literarische Legitimität schaden aber dem Standing der Literatur insgesamt und damit allen Autor*innen, auch denen, die einen Preis bekommen – der dann aber der Gefahr ausgesetzt ist, literarisch nicht mehr ernst genommen zu werden. Damit haben Juliane Liebert und Ronya Othmann schlicht recht.
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