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Debatte um KollektivierungenKühnert will mehr

Der Juso-Chef legt nochmal nach und macht „neoliberale Beschallung“ für die heftigen Reaktionen auf seine Thesen verantwortlich. Bei der SPD dämmert es.

Manchmal redet man sich halt den Mund fusselig: Kevin Kühnert Foto: dpa

Berlin (afp) | Juso-Chef Kevin Kühnert hat in der von ihm ausgelösten Debatte über Kollektivierungen seine Äußerungen bekräftigt. „Ich habe das sehr ernst gemeint, was ich formuliert habe“, sagte Kühnert dem Spiegel. „Ich habe keine Lust mehr darauf, dass wir wesentliche Fragen immer nur dann diskutieren, wenn gerade Friedenszeiten sind, und im Wahlkampf drum herumreden.“

Wenn man ernsthaft einen anderen Politikstil wolle, „dann können wir uns nicht immer auf die Zunge beißen, wenn es um die wirklich großen Fragen geht“, sagte Kühnert weiter. Der Kapitalismus sei „in viel zu viele Lebensbereiche“ vorgedrungen. „So können wir auf keinen Fall weitermachen.“

Kühnert wandte sich gegen die massive Kritik an seinen Thesen. „Die empörten Reaktionen zeigen doch, wie eng mittlerweile die Grenzen des Vorstellbaren geworden sind“, sagte der Chef der SPD-Jugendorganisation. „Da haben 25 Jahre neoliberaler Beschallung ganz klar ihre Spuren hinterlassen.“

Kühnert hatte der Zeit etwa mit Blick auf den Automobilkonzern BMW gesagt: „Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar.“ Wie genau solche Kollektivierungen ablaufen sollten, ließ Kühnert in dem Interview offen. Auch private Wohnungsvermietungen soll es nach seiner Auffassung im „Optimalfall“ nicht mehr geben.

Wie kann die Erneuerung bei der SPD aussehen?

Der Juso-Chef wurde für seine Äußerungen von Union, FDP, AfD und Wirtschaftsverbänden scharf kritisiert. Heftiger Widerspruch kam auch aus der eigenen Partei. Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, schrieb etwa bei Twitter: „Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein.“

Zuspruch kam dagegen von der Linkspartei. Und auch in der SPD werden zunehmend Stimmen laut, die Kühnert gegen Kritik in Schutz nehmen. So sagte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Donnerstag in der rbb-Sendung „Talk aus Berlin“: „Die Aufregung um diese Äußerung von Kühnert zeigt, dass er die richtige Frage gestellt hat. Nämlich die Frage nach der Verteilung von Einkommen.“

Der Vorsitzende der einflussreichen nordrhein-westfälischen SPD, Sebastian Hartmann, sagte dem Spiegel, die Debatte müsse aufgenommen werden. „Wir brauchen ein grundlegend neues Wirtschaftsmodell.“ Der ungeregelte Markt sei „unser Gegner“. „Ungleichheit ist der Sprengstoff unserer Zeit.“

Auch die Bielefelder Bundestagsabgeordnete Wiebke Esdar, Mitglied im SPD-Bundesvorstand, lobte Kühnert: „Wenn wir glaubhaft von Erneuerung sprechen wollen, müssen wir über den Widerspruch von Arbeit und Kapital reden.“ Seit Jahren erstarke der Neoliberalismus und wachse die Ungleichheit zwischen Arm und Reich: „Da kann sich die SPD nicht mit dem Status quo zufriedengeben.“

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13 Kommentare

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  • Nur bei der Linkspartei war Stille in der Disco bei dem Thema. Was müssen die sich auf die Zunge gebissen haben!

    • @Rudolf Fissner:

      "Nur bei der Linkspartei war Stille in der Disco bei dem Thema." (R.Fissner)



      Selbst auf die Gefahr hin, dass Sie jetzt gleich in Ihre Tastatur beissen: Hier ein kostenloses Up-Date ihres Informationsstandes:



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      In anderen Medien wird über Kipping's Statement noch viel mehr geschrieben. Einfach nur googeln.



      Bitte sehr - gern geschehen!

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Kevin Kühnerts Denkanstoß (mehr ist es ja noch nicht) ist zeitlich bestens platziert.



    Merkel hat seit 2 Jahren alle Zügel fallen lassen, Schüler schwänzen die Schule, um ihre Zukunft in Klimafragen noch in den Griff zu bekommen, Merkel traut sich noch nicht mal mehr zu Daimler und VW, um eine mikrige Hardwarenachrüstung einzufordern, Mieten, Landwirtschaft, Europa, CO2, einfach nichts mehr hat sie erledigt, und selbst die designierte Nachfolgerin will niemand mehr haben.



    Da kommt Kühnerts Leine zu den Linken gerade recht. Die SPD hat nur noch eine letzte Chance, wenn sie seinem Vorschlag folgt. Die CDU ist erstmal kein Partner mehr für die Zukunft.

  • Viel spannender als die sicher diskussionswürdigen Thesen Kühnerts, finde ich die kindischen, aggressiven und spöttischen Reaktionen aus Politik und Wirtschaft. Wie kleine Kinder, denen man den Lolli wegnimmt weil er ungesund ist. Sie wissen, dass man eigentlich Recht hat, kreischen und krakelen aber trotzdem, weil die Gier stärker ist und weil sie nicht verzichten wollen.

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @Kevin Dude:

      Sie haben recht.



      Ich denke aber, noch viel 'spannender' wird es, wenn die angesprochenen Herrschaften merken, daß nicht Kühnert auf der Anklagebank sitzt, sondern sie selbst. Denn sie haben kein Rezept, wie sie aus der Klima- und Kohlekrise, aus der Diesel- und Agrarkrise, aus Reich und Arm, aus der Mieten- und Europakrise herauskommen. Das wird besser, als jeder Tatort in der ARD jemals gewesen ist.

  • Jaja, Kollektivierung, Sozialisierung, Vergesellschaftung, Enteignung - ist alles DDR und Oberpfui! Da kann man sich endlich mal wieder geifernd aus dem Fenster lehnen und so richtig von Herzen ablästern.



    Wen kümmert denn da schon das Grundgesetz? Und was hindert da schon den Scheuer Andi am Rumpoltern, obgleich er als Verkehrsminister gerade selber 65 Enteignungsverfahren für den Straßenbau durchzieht?



    Naja, solange die Seeheimer Kreiselmäher es schaffen die Debatte in der SPD auf ihr Niveau herunter zu mähen, solange wird diese Partei halt auch im Kreis kreiseln - und gar nichts voran bringen.



    www.freitag.de/aut...de-marktwirtschaft

  • „Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein.“



    Ist das eine politische Antwort, auf eine politische These?



    Das Verständnis einiger Leute in der SPD wie man mit provokativen Thesen umgeht, ist kaum zu übertreffen. Kann mann keine Inhalte präsentieren, wird scharf geschossen und die Diskussion verweigert. Da wird keine Utopie für die Zukunft draus.

    Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Herr Kahrs eigentlich ein verstecktes Statement für die Legalisierung von Cannabis verbreiten wollte: Wäre das, was Herr Kühnert geraucht hat, legal gewesen, hätte er keinen groben Unfug erzählt.

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @ecox lucius:

      Gebe Ihnen recht. Aber 'provokativ' ist es eben nur für Leute, die zwar offiziell der SPD angehören, aber eigentlich CDUler sind. Ich bewundere Kühnert wegen seines Timings: Vor der Sommerpause, vor der Europawahl, während der Arbeitsverweigerung von Seehofer, Scheuer und Klöckner und direkt vor der Abdankung ihrer Majestät im August.

      • @91672 (Profil gelöscht):

        Für die aus der SPD isses nicht provokativ. Dummes Geschnacke vielleicht im Hinblick auf die deutsche Geschichte. Aber man lacht und sieht es gerne wie die eigene Jugend rebelliert.

  • Wenn er das ernst meint --> falsche Partei

  • Zeigt doch das man einfach auch mal Eier haben muss.



    Wer glaubt denn die Scheiße das es so wie es ist alles gut sein soll und ewig so weiter geht.



    Zukünftige Generationen und eigentlich schon die Aktuelle sind am Arsch deswegen

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    "Beschallung" ist ein sehr treffender Begriff, den Kühnert benutzt. Das Schlimme daran: diese Beschallung kommt nicht nur von außerhalb der SPD. Seeheimer Kreis und Transatlantiker lassen von innen grüßen.

    Es gibt Menschen, die nennen dieses absterbendes Gesellschaftsmodell alternativlos. Andere hingegen sprechen von einem Krebsgeschwür.

    Es soll übrigens Menschen geben, die gesund leben und nicht jede angebotene Krankheit eselhaft annehmen möchten.

    Apropos Esel: etwas Besseres als den Kapitalismus finden wir allemal. Zwei Dinge vorausgesetzt: die Bereitschaft zum ersten Schritt und der Glaube an die eigene Kraft.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Nun ja, die Beschallung kam von Grün bis Schwarz. Dass die Spezialdemokraten sich zusätzlich sofort in die Hosen machen ist doch normal.