Debatte um Heilpraktiker:innen: Von Bachblüten bis Feng Shui
In der Heilpraktikerbranche fachen neue Rechtsgutachten die Diskussion um Wirksamkeit und Ausbildungen an. Verbände fordern mehr Regularien.
Vor drei Jahren begann sie eine Behandlung bei einer Heilpraktikerin, mit ausführlichen Gesprächen und einer Ernährungsberatung unter Zuhilfenahme der sogenannten Bioresonanzmethode. „Die Symptomatik besserte sich erheblich“, erzählt Blumenthal, „der letzte Krankheitsschub ist Jahre her“. Cortison nimmt sie derzeit nicht.
Blumenthal ist eine von Millionen von Patient:innen, die zu Heilpraktiker:innen gehen. Viele davon haben chronische Erkrankungen und schon lange Behandlungen durch die Schulmedizin hinter sich. Die Hautärztin hatte Blumenthal erklärt, sie sei „austherapiert“, es gebe als Behandlungsoption nur noch Cortison und Bestrahlungen.
„Da wusste ich, es geht schulmediznisch nicht weiter, ich brauche eine Alternative“, erzählt die Patientin, die in Wirklichkeit anders heißt, aber nicht mit Krankheitsgeschichte und ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen möchte.
In der Praxis von Heilpraktikerin Petra Linnenbrügger im westfälischen Halle bekam Blumenthal ein langes Erstgespräch. Dann wurde sie über Elektroden an ein Bioresonanzgerät angeschlossen, das ihre „elektromagenetischen Felder“ aufzeichnete. Das Gerät glich ihre Messwerte mit Messwerten von bestimmten Lebensmitteln ab.
Der Test ergab Unverträglichkeiten von Milch, Eiern, Weizenmehl, Zitrusfrüchten. Blumenthal verzichtete in der Folge auf diese Lebensmittel und aß mehr Gemüse, Kartoffeln, Dinkelbrot und süßte mit Stevia. Zwischenzeitlich ließ sie sich immer wieder an das Gerät anschließen, um innere „Blockaden“ zu lösen.
Heute hat sie einige der vorher verbannten Lebensmittel wieder in den Speiseplan aufgenommen. In größeren Abständen geht sie weiterhin zu Linnenbrügger, zu stützenden Gesprächen darüber, wie sie mit aktuellen Stresssituationen besser umgehen kann. „Diese psychologische Hilfestellung ist ganz wichtig“, sagt Blumenthal, „das entlastet mich“. Für einen anderthalbstündigen Termin zahlt sie 83 Euro. Etwa die Hälfte davon übernimmt die private Krankenkasse.
Für Petra Linnenbrügger ist die Verwaltungsangestellte eine ihrer langjährigen Patient:innen. „Da weiß ich dann einiges über den psychologischen Hintergrund, da findet dann auch etwas Lebensberatung statt“, erzählt die Heilpraktikerin der taz.
Ob auch nur eine Ernährungsumstellung, gekoppelt mit geduldiger Zuwendung und stützenden Gesprächen, einen Behandlungserfolg ergeben hätte, ohne Anwendungen mit dem Bioresonanzgerät, kann niemand sagen. Heilversprechen gibt Linnenbrügger nicht.
Auf ihrer Webseite steht unter jedem Verfahren ein relativierender Hinweis, zum Beispiel: „Die Bioresonanzmethode gehört zur Alternativmedizin und wird von der evidenzbasierten Medizin, landläufig auch Schulmedizin genannt, nicht anerkannt. Wissenschaftlich anerkannte Beweise für die Wirkung und Wirksamkeit dieses Verfahrens liegen mit Ausnahme der Allergiebehandlung nicht vor.“ Es erinnert ein bisschen an den Warnhinweis auf einer Zigarettenschachtel.
Die Verfahren bei den rund 47.000 Heilpraktiker:innen in Deutschland werden in der Regel nicht von den gesetzlichen Kassen bezahlt. Mit der Frage, ob diese Behandlungen nicht vielleicht in die Irre führen und vielleicht sogar in großem Stil schaden und man den Beruf der Heilpraktiker:in daher abschaffen solle, beschäftigt sich ein unlängst veröffentlichtes Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums.
Gutachter Christof Stock, Jurist, kam zu dem Schluss, dass es sich in einigen bekannten und vor Gericht verhandelten Fällen schädlicher Behandlungen nur um wenige Einzelfälle handele. Für eine Abschaffung des Heilpraktikerwesens bestehe kein „verfassungsrechtlich legitimer“ Grund. Er erklärte, man müsse den Wunsch von Teilen der Bevölkerung respektieren, „Maßnahmen der Alternativheilkunde auch von nichtärztlich Berufstätigen zu erhalten“.
Ein „Register der Alternativheilkunde“ sei „denkbar“, das „probate Methoden auflistet oder auch vor der Anwendung gesundheitsschädlicher Methoden warnt“, heißt es in dem Gutachten, das sich aber nicht näher mit einzelnen Verfahren und deren Wirksamkeit beschäftigt. Stock forderte eine „Neuregelung der fachlichen Voraussetzungen“ im Heilpraktikerberuf mit klar formulierten „positiven Zugangsvoraussetzungen“.
Heilpraktiker:innen brauchen bisher nur eine amtsärztliche Erlaubnis, um praktizieren zu dürfen. In der Prüfung in einem Gesundheitsamt werden keine konkreten Behandlungsverfahren abgefragt, die Anwärter:innen müssen in der Prüfung vor allem nachweisen, dass sie wissen, welche Krankheiten sie nicht behandeln dürfen. Zur Vorbereitung dienen teure zum Beispiel zweijährige Teilzeitstudiengänge an privaten Schulen, die man selbst bezahlen muss.
Die Fachausbildungen in den verschiedenen Verfahren müssen darüber hinaus bei privaten Trägern absolviert werden. Sie sind kaum reglementiert und reichen von Akupunktur und Autogenem Training über Bachblüten-Therapie, Bioresonanz, Chiropraktik, Gesprächstherapie, Homöopathie, Lymphdrainage, Klangtherapie, Feng Shui, Pflanzenheilkunde bis hin zu Schamanismus und Yoga.
Dabei wird immer wieder über Wirksamkeit und Unwirksamkeit debattiert. Einigen Verfahren wie zum Beispiel autogenem Training, Lymphdrainage, visuellen Entspannungsphantasien, Musiktherapie, Yoga und der Anwendung von Johanniskraut und Knoblauch hat der Arzt und Medizinforscher Edzard Ernst in einem kürzlich erschienenen Buch mit Verweis auf Studien Wirksamkeit attestiert. Das ist insofern bemerkenswert, da Ernst ansonsten als scharfer Kritiker der Alternativmedizin gilt.
Der Berufs- und Fachverband Freie Heilpraktiker hat seinerseits ein Gutachten bei Rechtsanwalt René Sasse in Auftrag gegeben. Dabei geht es aber explizit nicht darum, vermeintlich „wirksame“ von „unwirksamen“ Verfahren zu unterscheiden.
„Ausbildungsvorschriften für die Alternativmedizin müssen berücksichtigen, dass diesem Sektor das Bestreben nach medizinischer Evidenz fremd ist“, schreibt Sasse ganz offen. Die „Binnenanerkennung“ der Verfahren innerhalb der Heilpraktikerschaft ersetze „weitgehend die wissenschaftliche Evidenz“.
Sasse hält aber eine „staatliche Teil-Reglementierung der Ausbildung“ in „Bezug auf medizinisches Grundlagenwissen“ für machbar. Anwärter könnten etwa verpflichtet werden, zur Überprüfungsvorbereitung „an bestimmten Ausbildungskursen über schulmedizinisches Grundlagenwissen“ teilzunehmen und darob an einer Heilpraktikerschule eine „Erfolgskontrolle“ zu absolvieren. Auch schlägt Sasse vor, dass man vor der Ausbildung ein mehrmonatiges „Pflichtpraktikum“ in einer bestehenden Heilpraktikerpraxis durchläuft.
Siegfried Kämper, Vizepräsident des Bundes Deutscher Heilpraktiker (BDH), fände mehr Reglementierung in der Ausbildung gut. „Es wäre schon hilfreich, wenn in der Prüfung etwa bestimmte Verfahren, wie die Akupunktur, regelmäßig abgefragt würden. Auch der Nachweis, invasive Verfahren, zum Beispiel mit Spritzen, zu beherrschen, müsste reglementiert werden können“, sagte er der taz. Ob es zu mehr staatlicher Regulierung in der Heilpraktikerausbildung kommt, bleibt abzuwarten. Keine der Parteien hat sich in ihren Wahlprogrammen dazu geäußert. Das Thema ist heikel und ein Feld für Glaubenskämpfe.
Stock betonte in seinem Gutachten das „Selbstbestimmungsrecht“ der Patient:innen, die in der Mehrzahl ihre Behandlungen selbst bezahlen. Silke Blumenthal musste sich von ihren Bekannten, von denen einige Ärzt:innen sind, kritische Fragen zu ihrer Behandlung anhören. Sie akzeptiere, wenn jemand sage, für ihn sei das nichts, meint sie. Für sie zähle das gute Ergebnis, „ob das über die Psyche passiert oder organisch, ist mir egal. Mir hilft das Gefühl, etwas gegen meine Krankheit unternehmen zu können“.
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