Debatte um Enteignungen in Berlin: Mehr Einigkeit als erwartet
Die Enteignungs-Kommission legt ihren Zwischenbericht offiziell vor. Sie verwehrt sich dagegen, im Wahlkampf instrumentalisiert zu werden.
Man habe bereits einige inhaltliche Konsense, was angesichts der komplexen Materie nicht wenig sei, erklärt Rödl; zudem „Konsense über die Reichweite von Dissensen“. Und dass der Zwischenbericht einstimmig beschlossen wurde, sei auch bemerkenswert, attestiert Herta Däubler-Gmelin, einstige SPD-Bundesjustizministerin und Vorsitzende der Kommission. So werde zum Beispiel die Position nicht geteilt, dass eine mögliche Entschädigung zum Marktwert der Immobilien erfolgen müsse, betont Rödl.
Übersetzt bedeutet das, dass die von der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen angestrebte und bei einem Volksentscheid im September 2021 mit großer Zustimmung ausgestattete Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände das Land billiger käme, als die bislang veranschlagten mindestens 30 Milliarden Euro. Wie viel es kosten könnte, sei aber weiterhin umstritten in der Kommission.
Diese Position war bereits am Freitag vergangener Woche bekannt geworden, als ein Entwurf des Zwischenberichts an die Presse gelangt war. Bei der Initiative hatte das Jubel ausgelöst, genauso wie die Einschätzung der Expert*innen, dass die Gesetzgebungskompetenz für eine Vergesellschaftsgesetz sowohl bei Bund wie Ländern liege, also Berlin ein Gesetz erlassen dürfte. An diesem Punkt gibt es aber andere Zweifel, wie am Donnerstag klar wird.
So wird kontrovers diskutiert, ob ausgerechnet die Landesverfassung einem solchen Ansinnen entgegensteht, sagt Rödel. Im Unterschied zum Grundgesetz gibt es dort keinen expliziten Passus zur Vergesellschaftung. „Der Austausch der Argumente wurde noch nicht abgeschlossen“, heißt es dazu im Zwischenbericht, im Januar will die Kommission die Debatte erneut aufgreifen. Um diesen Punkt juristisch abzusichern, wäre eine Änderung der Verfassung möglich, betont Rödl auf Nachfrage. Allerdings braucht es dazu ein Zweidrittelmehrheit, sprich nach derzeitiger Sitzverteilung müsste mindestens FDP oder CDU dafür stimmen – was unwahrscheinlich ist.
Die Initiative jubelt
Für die Initiative steht dennoch fest, dass Berlin dank der Vorarbeit der Kommission das Heft des Handelns jetzt schon in die Hand nehmen müsse. „Die Kommission hat bestätigt, was mehr als eine Million Menschen schon vergangenes Jahr erkannt haben: Berlin kann enteignen“, erklärt Sprecher Achim Lindemann in einer Mitteilung vom Donnerstag. Auch leisten können man sich die Vergesellschaftung von rund 250.000 betroffenen Wohnungen. „Der Senat hat keine Ausreden mehr und muss den Volksentscheid umsetzen.“
Bei der Kommission ist man da deutlich vorsichtiger. Schon über die Veröffentlichung des Entwurfs vor einer Woche war man nicht glücklich, sagt die Vorsitzende Däubler-Gmelin. „In Berlin ist Wahlkampf; daran beteiligt sich die Kommission nicht. Wir äußern uns nicht politisch.“ Auch könnten Aussagen aus dem Zwischenbericht noch verändert werden.
Zudem seien eine ganze Reihe von Fragen eben noch offen, sprich im Dissenz. Etwa, wie – ohne einzelne Unternehmen zu benachteiligen – eine Grenze zwischen kleinen und den zu vergesellschaftenden großen Wohnungsbeständen getroffen werden könne. Unklar sei auch, wie die Bestände überhaupt identifiziert werden könnten, sagt Rödl.
Abschlussbericht spätestens im Mai
Bis April oder Mai, so Däubler-Gmelin, soll der Abschlussbericht vorliegen. Der Senat, der die Kommission eingesetzt hat, wünsche sich möglichst viele „konsensuale Empfehlungen“, sagt sie. FU-Jurist Rödl ist derweil zuversichtlich, „dass wir aus einigen Dissensen Konsense machen.“ Das werde aber nicht in allen Punkten gelingen.
In den internen, nicht-öffentlichen Debatten könne es auch schon mal laut werden, wie Däubler-Gmelin berichtet. Insgesamt ist demnach die Arbeit der 13 Mitglieder aber weiter und vor allem progressiver im Sinne einer Vergesellschaftung als vielfach erwartet. Und die Ergebnisse dürften weithin akzeptiert werden, erwartet Florian Rödl: „Das gesamte Meinungsspektrum und alle wichtigen Bereiche werden in der Kommission gut abgedeckt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour