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Debatte um BürgergeldGrummeln im Sozialflügel der CDU

Die CSU will die Abschaffung des Bürgergelds zum zentralen Punkt von Koalitionsverhandlungen machen. Aus der Schwesterpartei kommt Kritik.

Gitta Connemann von der Mittelstandunion macht ein Selfie mit Carsten Linnemann, Karl-Josef Laumann und Rainer Schlegel Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Die CSU will die Abschaffung des Bürgergelds zu einem zentralen Punkt in Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr machen. „Die Bürgergeld-Rückabwicklung ist zwingend notwendig und wird ein wichtiger Teil des Bundestagswahlkampfs“, sagte Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef der CSU. Und weiter: Er sei sicher, dass eine neue Regierung, an der die Union beteiligt sein werde, „zu der Erkenntnis kommt, dass diese Rückabwicklung umgesetzt werden muss“. Das ist wohl als Bedingung an künftige Koalitionspartner zu verstehen.

Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, hatte sich am Montag bei der Präsentation des Konzepts noch vorsichtiger ausgedrückt. Dass Konzept sei „CDU pur“, sagte er und verzichtete auf rote Linien. Dafür hat er auch guten Grund.

SPD und Grüne, von denen die Union, will sie zurück an die Macht, wohl zumindest einen als Koalitionspartner brauchen wird, hatten die Pläne der CDU umgehend scharf kritisiert. „Der Union fällt nie etwas anderes ein als Angriffe auf den Sozialstaat“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil. Grünen-Chefin Ricarda Lang formulierte es ähnlich: „Dass die Union auf soziale Kälte setzt, ist nicht neu, aber bleibt falsch.“ Zuspruch gab es von der FDP – mit der allein für die Union wohl keine Regierungsbildung möglich sein wird. Mittlerweile ging zumindest der sozialpolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Pascal Kober, auf Distanz zu den Plänen der Union.

Die CDU will das Bürgergeld in seiner heutigen Form abschaffen und durch eine „neue Grundsicherung“ ersetzen, die Teil einer „Agenda 2030“ werden solle. Sogenannte Totalverweigerer, die die Annahme einer zumutbaren Arbeit ablehnen, sollen keine Zahlungen mehr bekommen. „Wer arbeiten kann, muss auch arbeiten“, betonte Linnemann. Alle verfügbaren Kräfte würden auf dem Arbeitsmarkt dringend benötigt. Der Begriff des Bürgergelds suggeriere, dass die Bürger darauf einen Anspruch hätten, das aber sei falsch. Der Staat müsse für die sorgen, die es wirklich nötig hätten.

Zweifel zwischen den Zeilen

Karl-Josef Laumann, Sozialminister in NRW und Vorsitzender des Sozialflügels der CDU, der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), hatte am Montag die Pläne mitgetragen. „Der Sozialstaat bestand immer auf einem guten Verhältnis von Solidarität und Eigenverantwortung“, sagte Laumann, der bei der Pressekonferenz neben Linnemann stand, auch die Chefin der Mittelstandsunion war dabei. „Das Bürgergeld ist zu sehr ausgeschlagen in Solidarität und zu wenig in Eigenverantwortung“, sagte Laumann.

Wer ihn genau beobachtete, konnte aber vermuten, dass er wohl nicht ganz glücklich ist mit dem Papier. So viele Totalverweigerer gebe es ja gar nicht, schob Laumann zum Beispiel ein. Er gilt bei dem Bundesparteitag im Mai als einer der Kandidaten für einen der Posten als Vize-Bundesvorsitzender.

Deutlicher wurden am Dienstag zwei von Laumanns CDA-Stellvertretern. „Kritik an den Totalverweigerern ist berechtigt, darf aber nicht im Zentrum stehen“, sagte der Europaabgeordnete Dennis Radtke der taz. „Dass 20 Prozent der Bürgergeld-Empfänger Aufstocker sind, findet sich leider nicht in dem Papier. Dazu müssen wir uns aber positionieren.“ Die Union müsse Anwalt dieser Menschen sein, die besonders unter der Inflation litten. „Die hart arbeitende Bäckereifachverkäuferin in Wattenscheid hat keinen Euro mehr, weil es Kürzungen bei den Totalverweigerern gibt“, so Radtke weiter. „Um diese Gruppe muss sich die CDU aber kümmern.“

Christian Bäumler, ebenfalls CDA-Vize, ging noch weiter. Eine vollständige und dauerhafte Streichung der Grundsicherung sei mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar, sagte Bäumler im SWR. „Wir dürfen in einem Land wie Deutschland niemanden verhungern oder obdachlos werden lassen.“

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10 Kommentare

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  • Der Söder hat halt den Aiwanger im Rücken, der heizt ihm täglich ein.

  • Die „Neue Grundsicherung“ der Christlich Demokratischen Union. – Von Häresie und Sieg der Bürgerlichen Rohheit (Heitmeyer) in einer Partei.

    Dass die CDU längst nicht mehr christlich nennen kann, das ist eine Binsenweisheit die leider mittlerweile so stinklangweilig wirkt, dass sich, wie ich vermute, selbst die gläubigsten, bewusstesten Christen damit schon gar nicht mehr befassen mögen. Doch: „Wohin soll ich mich (nun) wenden“, fragt ein altes Kirchenlied?



    Einer wie Friedhelm Hengsbach z. B., Jesuitenpater Ökonom und Sozialethiker hätte der CDU da viel zu sagen. Aber den hört man in Sachen Arbeitslosigkeit z. B. auch in der SPD nicht an (hab ich ihn selbst sagen hören auf einem Vortrag) - oder vielleicht mittlerweile doch wieder?







    Mit der „Neuen Grundsicherung“ geht eine gewollte Demütigung des CDA in der CDU einher. Der im Artikel zitierte Vorsitzende des CDA bringt es für mich zum Ausdruck. Laumann: *Aktuell gebe es „leider eine abnehmende Akzeptanz des Bürgergelds“*. So zitiert ihn die Taz. Das ist es, warum Laumann nachzugeben hat. Denn die CDU folgt willig den seit Jahren und Jahren von demokratischen Parteien selbst geschürten Vorurteilen in Teilen der Bevölkerung gegenüber den erwerbslosen Menschen und fährt mit Hoffnung auf Wählerstimmenprofit nun die Ernte ein. Die Apostel des Neo-Liberalismus verkünden, „CDU pur“ sagt Carsten Linnemann, die Neue Lehre: Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen.

    Exakt nach Orwell haben sie die Bedeutung des Bibelsatzes (Paulus) zerstört und gegenteilig definiert. Das Credo folgt einem Teil des Volkes und lautet: Strafen, strafen, strafen…und mit diesem Volk umtanzt es die CDU nun wie das Goldene Kalb.

    Wohin soll man sich wenden? Die Alternative liegt um Himmels Willen doch nicht bei der Partei, die sich des Wortes „alternativ“ bedient.

    Das „Bürgergeld“ ist da. Es es mehr aus den elaborierten Konzepten der christlichen Soziallehren, als es sich die CDU überhaupt noch vorstellen kann.

    Verdammt nochmal: Kämpft dafür

  • "Eine vollständige und dauerhafte Streichung der Grundsicherung sei mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar, sagte Bäumler im SWR."

    Mal abgesehen vom pseudochristlichen Menschenbild: Gibt es noch noch einzelne Stimmen in der CDU, die darauf hinweisen, dass der Plan schlicht verfassungswidrig ist? Steht die CDU noch zum Grundgesetz oder muss sie jetzt wie die AfD vom Verfassungschutz beobachtet werden?

  • Wo bleibt denn eigendlich die Presse in dieser Causa ?



    Es wäre dochmal interessant zu erfahren wer diese Diskussion immer wieder lostritt und welche Hintermänner da die Fäden ziehen.

    Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren dass da irgendein CSU-Mann seiner Ex oder wem auch immer eins auswischen will denn mit Fakten hat das ja ganz offensichtlich nichts zu tun.

  • Das wird ein großes Eigentor für die Union werden, denn es geht im Kern um das SGB II und nicht um Worthülsen wie Bürgergeld oder Hartz-IV. Auch die Agenda 2030 ist ein Treppenwitz, weil man mit der Agenda 2010 zunehmende Verarmung und das Absinken der SPD vermutet.

    Schlau daran ist nur, dass es von Friedrich Merz und seinen neolibalen Ideen ablenkt, die Wirtschaft, Superreiche und Kapitalbesitzer zu 'entlasten' bzw. stark steuerlich zu begünstigen. Dann Schuldenbremse, Waffenlieferungen und Aufrüstung durch Steuern in der Mitte eintreiben. Das bedeutet, dass bei Merz -> die Steuern steigen m ü s s e n, auch indirekte Steuern, allen voran die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wie Milch oder Butter. Vermutlich auch die Einkommenssteuer für mittlere Gehälter,€ 2300-€3600. Merz muss seine Löcher füllen... Ohne neue Schulden.

    Dazu dann der Diskurs über üble, faule, parasitäre Arme und Asylbewerber beim Zahnarzt. Mir fällt es schwer, dass noch als eine Kampagne der bürgerlichen Mitte zu betrachten. Massive Kritik von Diakonie, Caritas, Sozialverbänden, DGB und sogar aus der Wissenschaft sind jetzt schon sicher.

    Dazu wird damit zwangsläufig die AfD aufgewertet, die könnte bei diesem Programm mitgehen. Sie verliert zwar gerade Wähler und ihr Schicksal ist offen, aber dass sie im nächsten Bundestag sitzen kann, scheint mir sicher. Ob die Brandmauer dann noch steht? In den reichen und mächtigen Kreisen steigt gerade der Appetit auf ein Festmahl, ob da noch lange gezögert wird?

  • Diese zum AfD-Abklatsch mutierende CSU sollte auch mal jemand 100% sanktionieren.

  • Wann endlich streichen sich diese Heuchler das C bzw. das S aus den Parteinamen? Nichts an dieser Mischung aus Industrielobbyismus, Kleinbürgerneid und AfD Light ist noch christlich oder sozial. Der Arbeitnehmerflügel kann ja in die SPD wechseln, die hätte ihn dringend nötig.

  • Ach guck mal. Da werden offenkundig die ersten Vorbereitungen für eine Koalition mit den Blaunen vorangetrieben, indem man die Gräben zu Grünen und Sozen so vertieft, dass niemand sie überqueren kann.

    • @Kaboom:

      Mit den blauen kriegen sie nur eine Minderheitsregierung hin. Sobald sie Grüne oder SPD benötigen, sind diese Themen durch. Bliebe noch die AfD ... Aber es gibt ja die Brandmauer.

      • @Andreas_2020:

        In die schon länger eifrig Löcher geschlagen werden.