Debatte um Bounty Killer: „Dancehall ist kein Hate-Genre“
Kulturwissenschaftler Patrick Helber hält hiesige Homophobie-Debatte um den Dancehall-Star samt dem abgesagten Berliner Konzert für eindimensional.
taz: Herr Helber, mehrere Politiker der Grünen wie Volker Beck fordern für den jamaikanischen Dancehall-Musiker Bounty Killer ein Einreiseverbot, und der Festsaal Kreuzberg hat das für Anfang Mai geplante Berlinkonzert des Sängers abgesagt, dem vorgeworfen wird, er rufe in homophoben Texten zu Straftaten gegen Schwule auf. Was halten Sie davon?
Patrick Helber: Ich halte nichts davon, Bounty Killer die Einreise zu verweigern und sein Konzert in Berlin zu verbieten. Ich verstehe, dass ein linker Veranstalter sagt, wir wollen mit Homophobie, Sexismus und Antisemitismus nichts zu tun haben, ich versuche selbst, für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft zu streiten. Aber ich glaube, die Absage ist eine vertane Chance. Besser wäre es, das Konzert findet statt, und davor gibt es vielleicht eine Demonstration oder eine Diskussion und dass einfach reflektiert wird, dass die Situation im Dancehall heute nicht mehr wie die von 2004 ist.
Was war 2004?
In dem Jahr wurde Homophobie im Dancehall erstmals international zum Thema durch die Arbeit von Outrage! und J-Flag, einer britischen und einer jamaikanischen LGBTI-Organisation. Danach erschienen Hunderte Artikel in der jamaikanischen Presse, die Themen wie Homophobie und Gewaltverherrlichung aufgegriffen haben. Diese Themen wurden in Jamaika massiv diskutiert, was im Ausland bis heute überhaupt nicht wahrgenommen wird. Es ist einfach nicht so, dass Jamaika monoton homophob ist, sondern da herrscht eine demokratische Streitkultur auch über dieses Thema.
Bounty Killer singt in einem seiner älteren Lieder davon, dass man Schwule anzünden solle. Muss man da nicht schlichtweg einschreiten, wenn man nicht eine Situation wie bei der Echo-Verleihung haben möchte, wo deutsche Rapper für ihre antisemitischen Texte geehrt wurden?
Ich finde es schade, wenn jetzt in der deutschen Presse geschrieben wird, im Vergleich zu Bounty Killer wirke eine Neonazi-Band wie ein Knabenchor. Das ist einfach falsch. Eine so geführte Diskussion schadet dem ganzen Genre. Dancehall ist kein Hate-Genre, Dancehall ist im Prinzip ein sozialer Kommentar, in dem ganz viele Ambivalenzen stecken, Gesellschaftskritik, Subversives, aber auch Kritikwürdiges wie diese Abfeierei von heterosexueller Männlichkeit durch Homophobie und die Objektivierung von Frauen, wie man es auch vom HipHop kennt. Es geht mir nicht darum, homophobe Tunes zu relativieren, aber für sexuelle Vielfalt einzustehen, geht auch mit Dancehall.
Aber da ruft doch einer zum Mord oder zumindest zur Hetzjagd auf Schwule auf?
All diese Dancehall-Künstler, die diese zweifelhaften Tracks aufgenommen haben, hatten meiner Meinung nach nie vor, konkret zu Straftaten aufzurufen. Ich lehne solche Texte ab, finde aber die Lesart als Aufruf zum Mord problematisch. Man kann das definitiv da rauslesen, aber um was es viel stärker geht, ist die Betonung einer hegemonialen Männlichkeit, dieses: Ich muss mich meiner heterosexuellen Männlichkeit permanent versichern, und ich tue das durch eine klare Abgrenzung vom absoluten Gegenteil dieser Männlichkeit, und das ist in dem Fall der schwule Mann. Man muss dazu aber auch sagen: Dancehall ist nicht der einzige heteropatriarchale Raum auf der Welt. Die Fußball-Bundesliga ist im Prinzip genauso, nur dass dort andere Praktiken angewandt werden, aber am Ende soll trotzdem vermittelt werden: Hier sind alle Heteros.
Dancehall Bounty Killer gehört neben Sängern wie Sizzla und Beenie Man zu den großen Stars des jamaikanischen Genres Dancehall, so etwas wie eine modernisierte Form des Reggae und auf der Karibikinsel enorm populär. Zum Repertoire nicht nur von Bounty Killer gehören sogenannte Battyboy-Tunes, Stücke mit homophoben Texten, in denen auch Gewaltfantasien gegen Schwule verarbeitet werden.
Debatte Seit etwa 15 Jahren gibt es nicht nur eine Diskussion darüber, inwieweit derartige Songs bei Auftritten der Dancehall-Stars in Europa tolerierbar sind, sondern es gab auch Auftrittsverbote. 2008 wurden zuletzt einzelne Konzerte von Bounty Killer in Deutschland abgesagt, nun hat der Festsaal Kreuzberg auch das für den 10. Mai geplante Konzert des Sängers gecancelt.
Der Festsaal Kreuzberg begründet seine Konzertabsage auch damit, dass Bounty Killer den sogenannten Reggae Compassionate Act nicht unterschrieben habe, ein Bekenntnis von Dancehall-Musikern zu positiven Werten und eine Absage an Hass. Das belege, dass er sich nicht von seinen homophoben Texten distanziere.
Ich erachte den Reggae Compassionate Act nicht für besonders relevant. Manche jamaikanischen Künstler haben ihn unterschrieben, in Jamaika behaupten sie aber lieber, sie haben ihn nicht unterzeichnet, weil das daheim besser ankommt. Wichtiger ist doch, dass gerade aufgrund der ersten Boykott- und Protestkampagnen gegen Homophobie im Dancehall zumindest die drastischen homophoben Texte in den letzten zehn Jahren eigentlich aus der Musik verschwunden sind. Auch diejenigen, die den Reggae Compassionate Act nicht mit unterschrieben haben, nutzen derartige Texte nicht mehr und treten damit zumindest in Europa nicht mehr auf. Aber auch auf Jamaika hat sich die Situation stark geändert. Die großen Konzerte dort werden von Pepsi, Red Bull oder Guinness gesponsert, von Konzernen, die ein Interesse am internationalen Markt haben. Das Letzte, was die wollen, ist, dass ihre Produkte mit Homophobie in Verbindung gebracht werden.
Patrick Helber
34, ist Reggae-Fan und hat seine Dissertation „Dancehall und Homophobie“ im Transcript-Verlag veröffentlicht. Er lebt und arbeitet in Berlin.
Ihnen ist der aktuelle Diskurs gerade schlicht zu unreflektiert?
Die Diskussion bringt einen so jedenfalls nicht weiter, dadurch wird Homophobie nicht beendet. Was mich an der Debatte stört, als Mensch, der Dancehall mag, aber Homophobie klar ablehnt, ist tatsächlich, dass sehr eindimensional gedacht und argumentiert wird. Da werden Machtstrukturen zementiert, etwa der Schengenraum als Regimetechnik ins Spiel gebracht, in den Menschen rein dürfen oder eben nicht. Das Gespräch mit Jamaikanern und Jamaikanerinnen wird dabei überhaupt nicht gesucht. Schaut man sich die Debatte der letzten Wochen an, muss man feststellen: Jamaikaner sind als Stimmen nicht präsent, nicht mal Bounty Killer selbst. Nebenbei bemerkt ist es auch paradox, dass Bounty Killer auf Jamaika ein hoch angesehener Künstler ist, eine Art, ich möchte fast sagen: Helmut Schmidt des Dancehall. Er gilt als elder statesman des Genres und ist populär wegen seinen sozialkritischen und nicht wegen seinen homophoben Texten.
Was würde Bounty Killer wohl selbst zur Wahrnehmung seiner Person in Deutschland sagen, würde er denn mal gefragt werden?
Eine Freundin von mir aus Kingston, die dort als Kulturwissenschaftlerin zu Dancehall forscht, hat mir gerade erst erzählt, dass sie glaube, Bounty Killer habe noch nicht einmal etwas mitbekommen von der neuerlichen Diskussion bei uns über ihn. Sie war total bestürzt darüber, dass sich erneut weiße Akteure über Jamaikanerinnen und Jamaikaner unterhalten, ihre Schlüsse ziehen und Verbote fordern, ohne ein Gespräch zu suchen. Die jamaikanische LGBTI-Organisation J-Flag, auf deren Meinung man auch mal hören könnte, hat sich schon 2012 von diesen ganzen Boykott-Kampagnen und Auftrittsverboten in Europa distanziert und für einen Dialog ausgesprochen. Wer zusichert, keine homophoben Lieder zu performen, sollte auftreten dürfen.
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