Debatte um Absage der TV-Sendung: Dschungelcamp ist gut fürs Klima
Wegen der Buschbrände in Australien wollen einige am liebsten das RTL-Dschungelcamp absagen. Dabei hilft es, den Blick auf die Probleme zu lenken.
R und um den Jahreswechsel ereignet sich das stets gleiche Schauspiel im deutschen Boulevard: Zunächst wird gerätselt, welche D-Promis dieses Mal ins RTL-Dschungelcamp ziehen. So lange, bis RTL die Namen der zwölf KandidatInnen offiziell bekannt gibt. Im Anschluss werden laue Geschichten aus deren Vergangenheit hervorgekramt („Ich habe echt ein Badehosenproblem“), es wird über Gagen spekuliert (100.000 Euro für Sonja Kirchberger?) und nach möglichen Konfliktfeldern zwischen den KandidatInnen gesucht („Ist der erste Zickenkrieg schon vorprogrammiert?“). Und dann, ab Januar, kennt der Boulevard eigentlich kaum ein anderes Thema mehr als „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“, wie das Dschungelcamp offiziell heißt.
Am Freitag ist nun die Show gestartet. Doch in diesem Jahr ging es im Vorfeld nicht nur um Badehosen und Zickenkrieg, sondern auch um politisch Relevantes: Thema waren die Buschfeuer, die seit Monaten in Australien wüten und bereits Hunderte Millionen Tiere und zwei Dutzend Menschen das Leben gekostet haben – darf das Dschungelcamp überhaupt in Australien stattfinden?
Ja, sagt RTL. Die Brände seien mehrere hundert Kilometer entfernt vom Camp. Für viele Mitarbeiter vor Ort sei die Show eine wichtige Einnahmequelle. Man werde Sicherheitsvorkehrungen treffen.
Nein, findet dagegen unter anderem SPD-Politiker Karl Lauterbach. Der Bild-Zeitung sagte er: „Ich finde es angemessen, während dieser Brände die Sendung Dschungelcamp, die ich persönlich aber auch grundsätzlich entbehren könnte, dort nicht weiter zu drehen.“ Das Ganze erinnere ihn an einen Tanz auf dem Vulkan. Neben Lauterbach hat die Bild Anfang der Woche noch etliche andere Hinterbänkler aus fast allen Parteien zu kritischen Statements überredet – und zusätzlich eine Horde von Ex-DschungelteilnehmerInnen zu Wort kommen lassen.
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Auch bei Twitter empören sich etliche UserInnen. „An Zynismus kaum zu überbieten“, heißt es dort. Aus Pietätsgründen, so der Tenor, sollte die Show dieses Jahr abgesagt werden. Nicht wenige Twitterer schließen sich Boykottaufrufen an.
Aber wer hätte etwas davon, wenn RTL die Show nun tatsächlich absagen würde? Die Feuer würden weiter wüten, Menschen ihre Häuser verlieren, Millionen Tiere ihr Leben. Und die Welt würde sich weiterdrehen.
Und überhaupt: Australien ist ein Kontinent, nur etwas kleiner als Europa. Dürfte man dann angesichts der Lage in Europa, wo noch immer regelmäßig Geflüchtete im Mittelmeer ums Leben kommen, es politische Morde gibt, Krieg in der Ukraine und Waldbrände in Portugal, überhaupt noch Unterhaltungsshows in Dänemark oder in Österreich drehen?
Trotzdem schreibt nun selbst Raul Richter, der einst durch die RTL-Vorabendserie „Gute Zeiten, schlechte Zeichen“ bekannt wurde und nun als Teilnehmer in den Dschungel geht, bei Instagram, wie paradox es sei, ausgerechnet jetzt in Australien eine Unterhaltungsshow zu machen – und rechtfertigt zugleich seine Teilnahme: „Wir haben alle Verträge unterschrieben und sind verpflichtet, diese einzuhalten.“ Er ruft zu Spenden auf und kündigt an, einen Teil seiner Gage zu spenden und das Thema „Klimawandel und Co.“ in der Sendung anzusprechen.
Genau das ist der zentrale Punkt. Man mag die Sendung wahlweise für irrelevant, volksverdummend oder furchtbar halten, muss aber anerkennen, dass das Dschungelcamp zu den am meisten gesehenen Fernsehsendungen in Deutschland zählt.
Knapp sechs Millionen Menschen werden auch dieses Jahr wieder jeden Abend einschalten, etwa so viele, wie die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“ in der ARD erreicht – und doppelt so viel wie politische Talkshows. In der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen erreicht die Show regelmäßig einen Marktanteil von mehr als 40 Prozent.
Der Sender RTL trägt Verantwortung
RTL wird sich seiner Verantwortung bewusst sein, die AutorInnen der Show werden nicht umhinkommen, dem ModeratorInnen-Duo Sonja Zietlow und Daniel Hartwig einige Sätze zu Buschbränden, verbrannten Koalas und dem Klimawandel auf die Kärtchen zu schreiben.
Wahrscheinlich wird der Sender im Rahmen der Show auch initiieren, dass für die Opfer der Buschfeuer oder die Helfer in Australien gespendet wird. Vielleicht wird RTL selbst einen Teil der Einnahmen aus der Show spenden. Und auch Raul Richter wird sicher, wie angekündigt, das Thema im Dschungelcamp aufgreifen – und RTL die entsprechenden Sequenzen dann hoffentlich auch ausstrahlen.
Auf diesem Weg wird das Dschungelcamp zu einer Chance für den Klimaschutz: Mit einem Schlag werden knapp sechs Millionen Menschen die Folgen des Klimawandels vor Augen geführt. Auch solchen Menschen, die eigentlich nur einschalten, um verblassenden Stars beim Känguruhodenessen zuschauen zu können und sich am Streit der KandidatInnen zu ergötzen. Das Dschungelcamp adressiert eben auch eine Zielgruppe, die nicht täglich Leitartikel bundesweit erscheinender Tageszeitungen liest oder jeden Abend die „Tagesschau“ sieht.
Wer wirklich will, dass sich was ändert in Sachen Klimaschutz, muss auch diese Zielgruppe erreichen, anstatt bloß den längst Bekehrten zu predigen. Für einen echten Wandel braucht es nämlich alle BürgerInnen. Es muss darum gehen, eine Aufmerksamkeit zu erzeugen, ohne zu den üblichen Mitteln der Volkspädagogik zu greifen. Es ist daher nicht hilfreich, Unterhaltungsshows zu verbieten. Ganz im Gegenteil kann es nicht schaden, wenn auch ein wenig Spaß zum Einsatz kommt beim Erreichen des guten Zwecks.
Karl Lauterbachs Vergleich mit dem „Tanz auf dem Vulkan“ bedeutet eben auch, dass man angesichts einer akuten Bedrohung ausgelassen feiert. Was angesichts der aktuellen Weltlage nicht abzulehnen, sondern geradezu geboten ist. Würde vielleicht auch der SPD helfen.
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