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Debatte über sozialen PflichtdienstRamelow mahnt Gelassenheit an

Mit seinem Vorstoß zur sozialen Pflichtzeit scheint Bundespräsident Steinmeier einen Nerv getroffen zu haben. Doch auch Befürworter melden Bedenken an.

Findet soziale Pflichtdienste für junge Leute eine gute Sache: Bodo Ramelow Foto: Jacob Schröter/dpa

Berlin dpa | In der von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angestoßenen Debatte über einen sozialen Pflichtdienst haben Kritiker der Idee stattdessen eine Stärkung der Freiwilligendienste gefordert. Nach Mitgliedern der Ampel-Koalition äußerten sich auch Vertreter von Gewerkschaften und Sozialverbänden ablehnend zum sozialen Pflichtdienst – während er in der CDU und beim Pflegerat auf Zustimmung stieß.

Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Linke) mahnte an, gelassener auf das Thema zu blicken, und zog eine Parallele zur Schulpflicht. „Statt reflexartig einfach nur auf dem Bundespräsidenten rumzuhacken und wieder von neuem Zwang zu reden und dabei die Schulpflicht einfach auszublenden, werbe ich dafür, mit ein bisschen mehr Gelassenheit das Thema anzugucken“, sagte Ramelow der Deutschen Presse-Agentur. Die Schulpflicht sei auch ein Zwang und der Staat greife in das Leben von jungen Menschen ein. Er frage sich, weswegen man nicht noch ein Jahr mehr „dazu definieren“ könne. Ramelow hatte sich bereits in der Vergangenheit immer wieder für eine Pflichtzeit für junge Erwachsene ausgesprochen. Dagegen positionierte sich der Chef der Linken-Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, gegen eine soziale Pflichtzeit.

Steinmeier hatte am Wochenende eine Debatte über einen sozialen Pflichtdienst angeregt und dies damit begründet, dass eine Dienstpflicht die Gemeinschaft stärken könnte. „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein“, sagte Steinmeier der Bild am Sonntag. „Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn.“

Ähnlich argumentiert nun die CDU: Die Gesellschaft werde immer pluralistischer, „gleichzeitig begegnen sich viele soziale und ethnische Milieus nicht mehr“, sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, Carsten Linnemann, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Mit einem „verpflichtenden Gesellschaftsjahr“ könnte man dem entgegentreten.

Obwohl Steinmeier allgemein von einer Pflichtzeit sprach, also nicht explizit junge Leute adressierte, wurde sein Vorstoß von vielen so ausgelegt. Aus Sicht des Pflegerats könnte eine soziale Pflichtzeit dazu beitragen, junge Menschen „mit Pflege und Gesundheitsversorgung und damit mit einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe in Berührung zu bringen“, sagte Präsidentin Christine Vogler den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Verhindert werden müsse aber, dass junge Menschen auf diesem Weg als preiswerte Pflegeersatzkräfte eingesetzt werden. „Das würde weder den jungen Leuten noch den zu Pflegenden gerecht werden“, sagte Vogler.

Jugendorganisationen verschiedener Parteien, darunter die Jusos, die Jungen Liberalen und die Grüne Jugend, hatten Steinmeiers Vorschlag am Montag zurückgewiesen. Die Junge Union kann einer allgemeinen Dienstpflicht etwas abgewinnen. Ihr Chef Tilman Kuban sprach sich aber dafür aus, per Online-Umfrage zu klären, wie es um die Bereitschaft junger Leute stehe. „Ich schlage daher eine digitale Jugendbefragung der 14- bis 21-Jährigen vor. So geben wir denjenigen eine Stimme, über die hier gesprochen wird und hören, was sie eigentlich wollen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Die Lebenshilfe und der Paritätische Gesamtverband sprachen sich in der Rheinischen Post und im RND für die Stärkung der Angebote für Freiwilligendienste aus. In sozialer und gemeinnütziger Arbeit müssten „engagierte Freiwillige mit Motivation und Profis mit der richtigen Ausbildung ran“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider. Zum Teil gebe es zu wenig finanzierte Plätze für Freiwillige, beklagte die Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, Ulla Schmidt, in der Rheinischen Post. Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) forderte den Ausbau des Freiwilligendienstes. „Ziel des sozialen Engagements sollte allerdings nicht das Stopfen von Personallöchern in Einrichtungen und Diensten sein“, mahnte Präsident Adolf Bauer in den Funke-Zeitungen.

Aus Sicht von Verdi-Chef Frank Werneke greift ein Pflichtdienst in unzulässiger Weise in die Lebensplanung von jungen Menschen ein. Zudem müssten „alle anstehenden staatlichen Aufgaben grundsätzlich im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge erledigt werden, die entsprechend ausreichend finanziert werden muss“, sagte er dem RND. Der Chef der Jugendorganisation des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Kristof Becker, kritisierte in den Funke-Zeitungen: „Wer junge Menschen davon überzeugen möchte, in bestimmten Bereichen zu arbeiten, der sollte für gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen sorgen und nicht nach Pflichtdiensten schreien.“

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11 Kommentare

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  • Wenn ein Job notwendig ist, sollte er marktüblich bezahlt werden. Zwangsarbeit ist in Deutschland verboten.

  • Wie alt diese Diskussion ist...



    taz.de/Archiv-Suche/!1532844/

    Bei der Bundeszentrale für politische Bildung findet sich gar ein Hinweis (leider ohne Quellenangabe), schon die Regierung Adenauer habe eine Dienstpflicht einführen wollen.

    Warum ist man in Deutschland so versessen auf ein verfassungs- und menschenrechtswidriges Pflichtjahr (mit einem Riesenheer von jährlich 700 000 Menschen), was auf der gesamten restlichen Welt in dieser Größe nicht existiert und auch fast nirgends sonst diskutiert wird?

    Elias Canetti hatte wohl recht mit seiner Charakterisierung der Deutschen in "Masse und Macht":

    "Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude."

  • Ganz abwegig finde ich als ehemaliger Zivi und Sozpäd den Vorschlag von Steinmeier und Ramelow nicht.



    Man muss diesen Aspekt aber von zwei Seiten betrachten.



    Zum einen darf ein 'sozialer Dienst' nicht dazu dienen, im Pflege-und Gesundheitsbereich, einen Personalnotstand zu kaschieren und gleichzeitig ungelernte Personen für anspruchs- sowie verantwortungsvolle Tätigkeiten einzusetzen ( was ja eigentlich auch gesetzeswidrig wäre).



    Der andere Aspekt ist der, dass man die Möglichkeit zum 'Reinschnuppern' in diese Bereiche bekommt, durch die der eine oder andere zu einer Ausbildung oder einem Studium im Sozialbereich angeregt wird.



    Die 'unbezahlte Freiwilligkeit' sehe ich als grösstes Hindernis, evtl. findet man hierzu einen Kompromiss.



    PS: der Vergleich mit der Schulpflicht ist natürlich Humbug.... der Staat hat einen Bildungsauftrag, somit ist beides nicht vergleichbar.

  • Ja, es sollte für jeden nicht berenteten Deutschen Pflicht werden 2 Wochen im Jahr sozialen Dienst zu leisten. Nicht nur junge Menschen ziehen langfristig Gewinn aus sozialer Arbeit. Und bitte diese Debatte nicht an einen militärischen Dienst koppeln.

  • Bodo Ramelows Vergleich mit der Schulpflicht ist ein völliger Fehlschluß. Der Staat hat einen Bildungsauftrag, und Kinder empfangen damit eine Leistung. Die Schulpflicht setzt lediglich Kontinuität durch, um sicherzustellen, daß wir alle wenigstens 9 bis zehn Jahre Schulbildung haben.



    Wenn nun den jungen (nun mündigen!) Erwachsenen kollektiv unterstellt wird, sie hätten in puncto Gemeinsinn noch etwas zu lernen, haben Schulen, aber auch Eltern und andere Institutionen versagt. Interessant hierzu ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 2BvR 1693/04 vom 31.5.06): "[19] aa) Die allgemeine Schulpflicht dient als geeignetes und erforderliches Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind" (...).

    Wenn junge Erwachsene hier nun ein Defizit haben sollen (von wegen "in der Blase leben"), kann man es ihnen ja wohl kaum per Zwangsarbeit anlasten. Nein: denn dann haben die Institutionen versagt, die bereits einen Pflichtdienst haben, der auch darin besteht, Gemeinsinn zu vermitteln. Sie haben 18 Jahre Zeit dazu.

    • @Haiku:

      Zustimmung und gute Begründung; zumal Ramelow wohl davon ausgeht daß alle Schulabgänger Abi haben; mit 9 bzw. 10 Schuljahren ist mensch noch minderjährig. Das mit der "Blase" ist vermutlich eher ein Problem von Berufsgewerkschaftern/Politikern...

  • Ich finde, solange Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen Gewinn machen dürfen, und schlechte Arbeitsbedingungen und niedrigen Lohn für ihre Mitarbeiter normal bleiben, können wir nicht zulassen, dass Jugendliche dort teilweise zumindest gegen ihren Willen ausgebeutet werden. Auch wenn es einem anmutet, dass sie eine gute Tat tun, werden die “Pflicht freiwillige “ dann zu einer Zahl in der Buchhaltung und zum verdecken der katastrophalen Zustände missbraucht. Wenn die Gesundheitsversorgung tatsächlich Gemeinwohl wäre, habe ich hingegen nichts dagegen und finde es sogar gut.

  • Vollkommende Übereinstimmung mit Bodo Ramelow und - ich glaube es kaum - Carsten Linnemann (dachte der wäre nur strukturkonservativer Wirtschaftsflügel)



    Und super die Differenzierung von Christine Vogler.

  • Im Rückblick muss ich sagen, dass mir die Zivi-Zeit sehr geholfen hat. Damals habe ich das anders gesehen und hoffte darauf, erst gar nicht gemustert zu werden (oder ausgemustert zu werden).

    Eine verpflichtende Tätigkeit für die Gesellschaft, ob vor dem Start ins Berufsleben oder nach dem Austritt, halte ich für etwas Gutes.

  • „Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn.“

    Ausgerechnet in diesen krisengeplagten Zeiten den jungen Bürgern nach schon zwei Jahren Corona-Gängelung und einer Anwartschaft auf eine marode Bundesrepublik jetzt auch noch unentgeltliche Arbeit zuzumuten, ist an Vermessenheit kaum zu überbieten. Steinmeier soll erst einmal selbst mit seinen Händen Wohl schaffen.

  • Eigentlich wirds wie beim Wehrdienst. Werden wir wieder brauchen, sagen die "Verteidigungsexperten".



    Und dann ist es wie immer. Es treten die an, die sich nicht wehren können.



    Die Anderen kaufen sich frei. Papa zahlt.



    Ob man den Mangel an Personal in Pflegeberufen damit in den Griff bekommt, ist nicht berechenbar.



    Aber man bekommt preiswerte Helfer.