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Debatte über den Nahost-KonfliktDie Stimmen der Betroffenen fehlen

Bei der Debatte hierzulande geht es oft mehr um die deutschen Gefühle als um die israelischen oder palästinensischen. Wir sollten die Diskussion öffnen.

Mediale Debatte: Entscheidend ist, wer zu Wort kommt Foto: Leuchtturm Entertainment / Unsplash

Z uletzt wurde diese Kolumne am 11. Oktober veröffentlicht. Ich habe in dem Artikel „‚Oh Gott, beschütze Deutschland‘“ meine Erfahrung in einer Hamburger Moschee beschrieben. Als ich ein paar Tage nach der Veröffentlichung des Textes in der Zeitung dann taz.de geöffnet habe, war ich total überrascht: Mein Artikel gehörte zu den meistgelesenen an dem Tag. Ich habe mich gefreut, bis ich ein paar der Kommentare unter dem Artikel gelesen habe. Dann verstand ich auch, warum mein Artikel wohl so oft geklickt wurde.

Die meisten Kommentare bezogen sich auf den brutalen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Ein Kommentar bezog sich auf die gefühlt fehlende Reaktion von Mus­li­m*in­nen oder Muslimverbänden. Ich habe das auch als Kritik verstanden, dass ich mich in dem Text nicht auf die aktuelle Lage bezogen habe.

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich darauf antworten soll. Eine Verurteilung des Angriffs auf die 1.400 Menschen in Israel ist das schnellste und „einfachste“, was ich machen kann. Allah schütze die Seelen der Getöteten. Gleichzeitig frage ich mich, ob diese Verurteilung von mir, der hier in Hamburg an seinem Laptop sitzt, den Angehörigen der Entführten, die jeden Tag um Neuigkeiten von ihren Geliebten warten, irgendwas bringt. Wie viele Statements haben wir alle in den vergangenen Wochen auf Social Media gelesen? Sollte ich meins hinzufügen?

Das waren meine Gedanken nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober. Was in den Wochen danach folgte, das will ich hinzufügen, hat meine Sprachlosigkeit verstärkt. Die militärische Reaktion von Israel hatte zu dem Zeitpunkt, als ich den Text verfasste, 9.770 Menschen in Gaza das Leben gekostet, laut der (von der Hamas kontrollierten) Gesundheitsbehörde dort. Davon sind schätzungsweise 4.008 Kinder. Allah schütze auch ihre Seelen.

Emotionen mit unterschiedlichen Narrativen

Wie soll ich diese Sprachlosigkeit begründen? Einerseits bin ich mir unsicher, wo Platz ist für mich in der Diskussion hier in Deutschland. Weil sich bei mir viele Emotionen mit unterschiedlichen Narrativen mischen. Ich habe als Jugendlicher in Syrien eine sehr andere Version der Geschichte von Israel und Palästina gelernt. Zum Teil lag das an der staatlichen Propaganda in Syrien. Aber auch meine persönliche Verbindung zu dem Konflikt spielt eine Rolle. Meine Eltern wurden, als sie beide noch Kinder waren, aus ihrer Heimat Golan vertrieben. Israel besetzt dieses Gebiet von Syrien seit dem sogenannten Sechstagekrieg 1967.

Die Art und Weise, wie hier in Deutschland über das Thema Israel und Palästina diskutiert wird, ist auch sehr eigen. Ich verstehe natürlich, welche Rolle der historische Kontext in Deutschland spielt. Und gleichzeitig stört es mich, wie sehr die Diskussion um die Kriege, die Gewalt und um die Leben der Menschen dort almanisiert wird.

Ich habe oft das Gefühl, dass es mehr um die deutschen Gefühle geht als um die israelischen oder palästinensischen. Der israelische Historiker Moshe Zimmermann hat es vor zwei Jahren in einer Talkrunde so gesagt: „Es ist sehr angenehm, hier als Statist am Rande einer innerdeutschen Diskussion teilzunehmen. Da sitzt ein Deutscher und erklärt uns, wie die Geschichte lief, wie ein Narrativ wichtiger ist als das andere Narrativ.“

Ich frage mich, wie können wir noch mehr Platz in der öffentlichen Diskussion schaffen, nicht nur für meine Geschichte, sondern vor allem für vielfältige palästinensische und israelische Stimmen. Damit wir nicht pauschalieren müssen und damit Le­se­r*in­nen nicht in einer kurzen, lokalen Kolumne über einen Moscheebesuch nach Antworten auf den Israel-Palästina-Konflikt suchen müssen.

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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Je vielfältiger die Perspektiven, je weniger pauschalisierend die geäußerten Ansichten, desto schneller ist der "moral high ground" entzogen. Und wer will das im Augenblick schon, zumal ja "vielfältige Perspektiven" tendentiell nach "multidirektionaler Erinnerung" klingt und damit so richtig triggert.

  • "Da sitzt ein Deutscher und erklärt uns, wie die Geschichte lief, wie ein Narrativ wichtiger ist als das andere Narrativ."

    Ein in der schlichten wie absolut zutreffenden brutalen Direktheit seiner Aussage wahrhaft episches Zitat. Ich liebe es. Kennt jemand einen anderen Satz zur "Erstwelt"-Rezeption des Nahostkonflikts, der es so treffsicher auf den Punkt bringt?

    In Nordamerika, aber auch Frankreich und UK, gibt es immerhin noch große und diverse jüdische und islamische Communities, deren reine Existenz für ein Mindestmaß an Realitätsabgleich sorgt. Auch wenn selbst dies zur Zeit an seine Grenzen stößt.



    In Deutschland haben wir nichts dergleichen, aber dafür allemal 40 Millionen Oberlehrer*innen. Das Resultat ist, wie zu erwarten, creepy as fuck.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @Ajuga:

      ""In Nordamerika, aber auch Frankreich und UK, gibt es immerhin noch große und diverse jüdische und islamische Communities, deren reine Existenz für ein Mindestmaß an Realitätsabgleich sorgt.""

      ==



      Vorsicht.

      Der britische Guardian versucht das ja - im Vordergrund der Berichterstattung stehen die Demonstrationsbewegungen und die furchtbaren Zustände in Gaza nach den Bombardierungen und angesichts des beginnenden Bodenkrieges.

      Die antisemitischen Progrome vom



      7. Oktober werden zwar in zusätzlichen Artikeln erwähnt - aber im Zentrum der guardian live Berichterstattung stehen die Pro - Palästina Demonstrationen und die dahinter stehenden sozialen Bewegungen.

      Alle Pro-Palästina Demos & die dahinter stehenden Bewegungen in Frankreich, USA und in UK vernachlässigen den 7. Oktober in der Beurteilung und zeigt daher mangelndes Verständnis auf was in Israel eigentlich passiert ist.

      Die Argumentation, das der 7. Oktober als Zivilsationsbruch anzusehen ist habe ich in der Argumentation im englischen Sprachraum noch nicht entdecken können.

      Im Gegenteil: Das in Gaza eine Terrorfestung durch eine Terrororganisation entstanden ist, von der kaum etwas anderes als der 7. Oktober erwartbar gewesen ist, findet kaum oder keine Beachtung.

  • Danke für diesen sehr guten Artikel.



    Ich hatte mich schon daran gewöhnt, vernünftige Texte zu diesem grauenvollen Konflikt nur im Ausland zu finden.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich darauf antworten soll. Eine Verurteilung des Angriffs auf die 1.400 Menschen in Israel ist das schnellste und „einfachste“, was ich machen kann. Allah schütze die Seelen der Getöteten. Gleichzeitig frage ich mich, ob diese Verurteilung von mir, der hier in Hamburg an seinem Laptop sitzt, den Angehörigen der Entführten, die jeden Tag um Neuigkeiten von ihren Geliebten warten, irgendwas bringt.""

    ===

    Willkommen in Hamburg - Ihre Zeilen verraten, das sie gerade dabei sind in der Bundesrepublik anzukommen. - unabhängig davon wie lange sie schon in Hamburg leben. Sie schreiben:

    ""Einerseits bin ich mir unsicher, wo Platz ist für mich in der Diskussion hier in Deutschland. Weil sich bei mir viele Emotionen mit unterschiedlichen Narrativen mischen. Ich habe als Jugendlicher in Syrien eine sehr andere Version der Geschichte von Israel und Palästina gelernt.""

    Als ich die ersten Flüchtlinge aus Syrien 2016 und in den folgenden Jahren kennenlernte wurde sofort klar, das hier unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander treffen. Neben Sprachunterricht und Unterstützung bei Behördengängen und sonstigen Hilfestellungen, auch in privaten Angelegenheiten, bin ich der Meinung Neuankömmlingen, in der Republik Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um zu erfahren, in was für einem Land mit welcher geistig - moralischen Verfassung die Neu-bürger es in Deutschland zu tun haben. Um einen Anfang zu setzen gehörte der Besuch der zentralen Holocaust-Gedenkstätte in Berlin mit zum Gedankenaustausch.

    Gemeinsame Gesprächspunkte gibt es genügend - in Damaskus stehen die ältesten jüdischen Gotteshäuser im Orient - auch Aleppo hat eine reiche jüdische Geschichte. Was ist daraus geworden? Desweiteren sind nach dem 2. Weltkrieg Nazis



    nach Syrien geflüchtet - Alois Brunner zum Beispiel.

    Wenn wir dieses Gespräch beginnen - wächst das Verständnis für das, was der 7.Oktober 2023 eigentlich für Israel bedeutet.

  • Danke für Ihre Einlassung. Die Berichterstattung scheint mir etwas verzerrt.



    Wie es uns hier damit geht dass in Mittelerde der lange bestehende Konflikt erneut eskaliert könnte in der Rubrik Nahost eher eine Randnotiz sein.



    Zentral sollte das Geschehene und das Geschehende im Nahen Osten sein.

  • "Ich frage mich, wie können wir noch mehr Platz in der öffentlichen Diskussion schaffen, nicht nur für meine Geschichte, sondern vor allem für vielfältige palästinensische und israelische Stimmen." - Ein erster Schritt wäre davon abzusehen, einseitig Stimmen zu kriminalisieren, welche die Opfer einer Seite thematisieren. Nicht alle, welche die Opfer der "militärischen Reaktion Israels" öffentlich betrauern, verherrlichen damit den Terror der Hamas oder relativieren deren Opfer. Dann könnte vielleicht ein Gespräch entstehen, das im besten Fall zu einem Verständnis füreinander führen kann.

    • @Jörg Levin:

      Richtig. Vielleicht kann dann jemand erklären, wieso die Menschen bereits auf der Straße waren, bevor "militärischen Reaktion Israels" passiert sind.

      • @Chris12:

        Wann soll das gewesen sein? Die ersten israelischen Luftangriffe erfolgten noch am 7. Oktober.

      • @Chris12:

        @Chris12: Das waren dann - vermutlich - die (Wenigen), welche tatsächlich verherrlichen und relativieren.