Debatte über antirassistisches Klopapier: „Das ist in die Hose gegangen“
Ist Klopapier das richtige Medium, um antirassistische Propaganda zu machen? Ein Streitgespräch.
taz: Warum möchten Sie nicht, dass Goldeimer ein antirassistisches Toilettenpapier herstellt, Herr Manwire?
Daniel Manwire: Ich möchte keine Slogans auf dem Klopapier haben, mit dem ich mir den Hintern abwische. Die Idee, antirassistische Propaganda zu machen, ist natürlich absolut zu befürworten. Nur bei Propaganda ist es ja immer die Frage: An wen richtet sie sich, wie funktioniert sie? So sehr ich das nachvollziehen kann, ihr habt da ein Produkt mit hoher Reichweite und enger Kund:innenbindung. Aber an der Stelle ist das im wahrsten des Wortes in die Hose gegangen.
Manou Otolski: Wir hatten auch den Hintergedanken, ob mit dem Akt des Abwischen ein Interpretations-Problem entstehen kann und wie man das umgehen kann. Gleichzeitig haben wir uns im Vorhinein entschlossen, wie wir zu dem Endergebnis kommen wollen. Die Inhalte auf dem Klopapier entstammen einem Design Contest für BIPoC-Artists und -Illustrator*innen, bei dem insgesamt 80 Einreichungen zusammenkamen. Eine Jury hat schlussendlich das Motiv ausgewählt.
Wie war die Jury besetzt?
Otolski: In der Jury saßen Megaloh, Tasha Kimberly, Chefket, Samy Deluxe, Joy Denalane, Ebow, Jasmina Kuhnke, Shai Hoffmann, Vanessa Vu, Minh Thu Tran und viele andere Menschen. Aber natürlich kann kein Personenkreis repräsentativ für alle Menschen mit Rassismuserfahrungen ein Motiv auswählen. Zusammen mit den Gewinner*innen haben wir das Ganze finalisiert und druckfertig gemacht. Da war schon so ein Punkt, wo wir dachten: Ist das jetzt ein Moment, wo man noch mal gucken sollte, ob das der beste Weg ist?
Sie sind dem Zweifel dann nicht weiter gefolgt?
Otolski: Für uns ist das schlussendlich der richtige Ansatz gewesen durch das Framing auf der Verpackung – da steht: „bathroom education – ein Leitfaden gegen Rassismus auf 150 Blatt“. Aber ich verstehe vollkommen – und da haben wir auch eine zweite solche Rückmeldung zu bekommen – dass dieses, was wir sprichwörtlich mit „sich mit etwas den Arsch abwischen“ bezeichnen, für viele Menschen problematisch sein kann. Das kann man auch niemandem absprechen; das akzeptiere ich auf jeden Fall als berechtigte Kritik.
Manwire: Ich wusste nichts von dem Prozess, der dahin geführt hat. Antirassistische Propaganda an sich ist erst mal gut und was da drauf war, war ja auch okay. Vielleicht das als Ausweg: zu gucken, wo man das mit anderen Mitteln platzieren kann. Ich finde es aller Ehren wert zu schauen, ob man diesen sehr nahen Bereich oder diesen ungewöhnlichen Ort für Propaganda nutzt. Die Zielarea für politische Plakate ist ja immer das WG-Klo; wenn ein Plakat da hängt, dann hat man es geschafft.
Manou Otolski
28, arbeitet bei Goldeimer daran, möglichst viele Menschen für Themen rund ums Klo zu sensibilisieren.
Ist das auflösbar? Wenn man sagt, der Inhalt ist der richtige, aber das Medium Toilettenpapier das falsche?
Manwire: Diese mobilen Toilettenboxen auf den Festivals sind ein besserer Ort. Die Leute sitzen auf dem stillen Örtchen, machen sich tief gehende Gedanken und lesen etwas. Das ist ja bei allen Politcamps immer beeindruckend, da gibt es ja einen richtigen Battle drum, wer das erste Flyerchen darangepinnt hat.
Daniel Manwire
50, Biologe, Sozialpädagoge, Aktivst. Er engagiert sich als Sprecher der Initiative zum Gedenken an das Brechmittelopfer Achidi John.
Otolski: Es gab nicht nur das Klopapier. Für die Leute, die das Crowdfunding unterstützt haben, gab es eine Broschüre, damit man das, was auf dem Klopapier passiert, weiter erklären kann. Sodass auch, wenn das Klopapier aufgebraucht ist, etwas bleibt, was man im Klo liegen hat, um dann genau den Effekt zu erzielen, den du gerade für die Festivaltoiletten vorgeschlagen hast. Es gab aber keine Festivalsaison wegen Corona. Wenn wir einen Beitrag dazu leisten wollen, dass Antirassismus thematisiert wird, dann ist das Klopapier unser einziger Weg. Zuerst haben wir uns auch gedacht: Machen wir es vielleicht nur auf der Verpackung? Dann wäre aber die Frage gewesen, wie ist das mit Gastronomie und Hotellerie? Wenn die das hinhängen, ist die Packung meistens sehr schnell aus dem Bild verschwunden. Und es hängt am Ende nur eine Rolle da, die keinen Informationsinput liefern kann. Deswegen haben wir uns schnell dazu entschlossen, dass eben etwas auf dem Papier passieren muss. Es gab auch Einreichungen in diesem Designcontest, wo das anders herum aufgezogen war: Da waren karikaturhaft Charaktere aus dem rechten Spektrum abgebildet.
Wie muss man sich das vorstellen?
Otolski: Es waren nicht bestimmte Persönlichkeiten, sondern ein klischeehafter Skinhead oder eine Comicfigur mit Hitlerbart. Das fanden wir im ersten Moment auch ganz lustig in der Logik der Bedeutungsumkehr durch das Abwischen, aber dann dachten wir: Wie wäre es dann, wenn diese Rolle losgelöst vom Kontext der Verpackung auf dem Klo hängen würde? Dann hätte auch Potenzial daraus entstehen können, dass das falsch aufgefasst wird. Auf der Klopapierrolle an sich, ohne die Assoziation, dass man sich damit den Hintern abwischt, hätten sehr viele Sätze gestanden, die keiner von uns unterschreiben würde. Unterschreiben würde man nur, dass es cool ist, sich damit den Arsch abzuwischen. Das ist die Schwierigkeit für uns gewesen: Es wären entweder 880.000 Rollen mit negativen Sachen gewesen, die erst durch das Abwischen positiv werden – oder der Weg, den wir dann genommen haben: mit positiven Botschaften.
Letztlich hat die Jury entschieden?
Otolski: Wir haben uns über die Entscheidung gefreut, dass das, was auf dem Klopapier landet, eher positiv gestaltet war mit kleinen Rechercheaufgaben zu bestimmten Begrifflichkeiten, die in der weißen Mehrheitsgesellschaft noch nicht angekommen sind – mit Gedankengängen, die, auch wenn sie sehr kurz gehalten sind, vielleicht einen Input für alle Leserinnen und Leser geben können. Das ging von Aussagen wie „Höre Betroffenen zu und lerne“ oder „Rassismus muss nicht vorsätzlich sein“ bis hin zu den Rechercheaufgaben, die ich gerade angesprochen habe, zum Beispiel: „Deine Aufgabe für diese Toilettenpause: Recherchiere den Begriff ‚Tokenism‘.“
Manwire: Das ist eine grundlegende Frage von Klorollen als Propagandamedium. Es ist zum einen schwierig, positive Botschaften so zu entwerfen. Das andere ist, dass man auch so eine toxische Situation herstellt, wenn man da Täter:innen abbildet oder Karikaturen von ihnen. Das stille Örtchen ist ja schon ein sehr privater Ort, auch ein Stück weit ein Schutzraum. Das mag für Nicht-Betroffene von Rassismus vielleicht okay sein, aber ich würde mal sagen, an der Stelle möchte man jetzt nicht mit Nazi-Symboliken konfrontiert sein. Abgesehen davon, dass aktive Nazis, Rechte oder Rassist:innen sich so etwas gerne in die Vitrine stellen. Es ist für Betroffene immer wichtig, entscheiden zu können: Will ich mich gerade mit dem Thema konfrontieren?
Was bleibt für Goldeimer dann übrig, wenn sie sich antirassistisch engagieren wollen?
Manwire: Vielleicht wäre es besser, die Personen zu stärken jenseits der gesellschaftlichen Gewalterfahrungen, die sie gemacht haben, mit etwas, wo man kurz draufschaut und ins Lächeln kommt. Und der Umgang als Institution mit Rassismus wäre ein Feld jenseits der Propaganda: dass man sich im Team selber mit Weißsein auseinandersetzt oder Empowerment-Räume schafft, dass man mit Kooperationspartner:innen Workshops anregt. Dass man sich als Institution Gedanken über ein Beschwerdeverfahren macht: Wo können sich Leute hinwenden, die von den Sprüchen oder von dem Material genervt sind?
Otolski: Unabhängig von der Kritik wird es ohnehin keine zweite Auflage des Anti-Rassismus-Klopapiers geben. Wir können das wirtschaftlich nicht tragen, weil wir an diesem Klopapier nicht mitverdienen. Dementsprechend steht uns nicht die Möglichkeit zur Verfügung, etwas für eine nächste Auflage zu ändern. Aber dass du sagst, dass viele damit ein Problem haben könnten, bestärkt uns darin, dass es eine abgeschlossene Aktion war. Wenn du sagst, vielleicht ist Klopapier das falsche Medium, dann ist das ja auch ein Learning. Wobei wir es bei anderen Sachen ja auch machen, also die weltweite Sanitärsituation auf dem Klopapier thematisieren. Da ist es wieder der richtige Ort, weil es eine unmittelbare Verbindung zu dem Klopapier hat. Da trauen wir uns dann wieder solche Botschaften daraufzuschreiben.
Die Idee eines antirassistischen Klopapiers ist 2020 als Gemeinschaftsprojekt von Goldeimer, Roger Rekless und Eskapaden Booking entstanden. Ein Crowdfunding, bei dem 279.000 Euro zusammenkamen, machte die Aktion möglich.
Nach einem Design-Wettbewerb für BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) hat eine Jury aus 23 Juror*innen den Entwurf von Sabrina D’Anto und Daniel Onumbu ausgewählt. Anschließend wurden 110.000 Packungen produziert.
Das Projekt arbeitet kostendeckend – die Gewinne gehen an die Amadeu-Antonio-Stiftung, den ISD Bund und das Social-Justice-Institut München. Da das Toilettenpapier über Crowdfunding finanziert wurde, ist es eine einmalige Produktion.
Manwire: Ich finde es super, wenn ihr als Institution in so einen Prozess geht. Ich kann jetzt ja auch nicht für andere Personen mit Rassismuserfahrung sprechen. Es waren durchaus auch weiße Freundinnen und Bekannte, die es unangebracht fanden. Letztlich ist natürlich bei euch als Institution, aus dieser Gemengelage, in die ihr euch ja dankenswerterweise hineinbegeben habt, eine Schlussfolgerung zu ziehen. Das ist von mir aus auch kein Vorwurf an die Jury – das wird unterschiedlich empfunden. Ich finde gut, dass meine Kritik gehört wird und ihr als Institution jetzt nicht einzelne Personen mit Rassismuserfahrung gegeneinander ausspielt, was ansonsten ja häufig mal der Fall ist.
Wie sind die Rückmeldungen insgesamt zu dem Antirassismus-Toilettenpapier? Lässt sich da auch über die Verkaufszahlen etwas schlussfolgern?
Otolski: Es wurde ja größtenteils über das Crowdfunding vorfinanziert, das ist schon mal ein Feedback. Wobei das ein großer Vertrauensvorschuss war, weil zu dem Zeitpunkt, wo das Crowdfunding entstanden ist, die Entwürfe noch gar nicht standen. Aber auch nachdem es schon ausgeliefert worden war, haben wir sehr viel positives Feedback bekommen – aber auch vereinzelt Negatives. Und das war in einem Fall, der bei mir auf dem Tisch lag, auch der gleiche Grund: die Bedeutungsumkehr durch den Akt des Abwischens. Aber was Daniel schon gesagt hat: gar nicht erst in den Modus fallen, dass man das gegeneinander abwägt, weil beide Seiten für das Projekt wichtig sind.
Und wer wendet sich mit Kritik an Goldeimer?
Otolski: Wenn, dann sind es Leute, die sich wahrscheinlich sowieso schon in unserem Dunstkreis befinden, die den Weg über das Kontaktformular wählen oder uns bei Instagram oder Facebook eine Nachricht zukommen lassen. Aber was dann fehlt, ist, dass wir noch mal proaktiv auf die Leute zugehen und sagen: Hey, was ist dein Eindruck von dem Klopapier? Wir sind gespannt auf deine ehrliche Meinung. Am besten wäre es vermutlich auf der Verpackung gewesen, dass man das noch mal den Leuten sagt.
Manwire: Es widerspricht der Alltagserfahrung von Leuten mit Erfahrung von Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus, dass Institutionen ihren Anliegen Gehör schenken. Und deshalb müssen Institutionen proaktiv institutionelle Beschwerdeverfahren anbieten, also sie nicht nur im Handbuch haben, sondern so, dass betroffene Personen das Gefühl haben, dass sie dort ihr Anliegen loswerden können. Also sei es mehrsprachig oder so kenntlich gemacht, sodass auch Nicht-Akademiker:innen eine Idee haben: Wenn mich etwas nervt, werde ich das dort los. Weil Rassismus eben kein privates Problem ist, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis.
Tut sich da in Ihrer Wahrnehmung gerade etwas?
Manwire: Dieses Gespräch ist schon mal ungewöhnlich: dass Kritik an rassistischen Verhältnissen so aufgegriffen wird auf einer strukturellen oder institutionellen Ebene. Und das würde man sich natürlich von viel mehr Institutionen wünschen wie Kitas, Schulen, Behörden, dass es dort auch so sensibel gehandhabt wird. Allerdings muss ich sagen, dass ich da recht privilegiert reingehe. Ich bin Akademiker, ich bin ein Mann und ich kenne die Betreiber:innen des Gemüseladens, an die ich meine Kritik erst mal richten konnte. Das ist schon eine privilegierte Sprechposition. Daraus kann ich nicht schließen, dass es für andere Betroffene gerade möglich ist, eine Kritik loszuwerden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen