piwik no script img

Debatte über Pränataldiagnostik„Wir sind megacool drauf!“

Im Bundestag wurde über vorgeburtliche Bluttests debattiert. Wir haben zwei junge Frauen mit Downsyndrom in Berlin getroffen.

Will nicht, dass die Kassen Kosten für Bluttests auf Trisomie 21 übernehmen: Natalie Dedreux (m) Foto: dpa

Berlin taz | Natalie Dedreux tippt an diesem Mittwoch in einem Berliner Frühstückscafé auf ihrem Smartphone herum. Sie schreibt per Instagram noch schnell dem Schauspieler Bjarne Mädel. Die 20-Jährige ist Fan der Serie „Mord mit Aussicht“ und hat Mädel schon mal für eine Fernsehsendung interviewt, vielleicht auch ein bisschen mit ihm geflirtet, sagt sie und lacht.

Dedreux, kinnlange Haare, rote Brille, ist mit ihrer Mutter aus Köln angereist. Sie ist früh aufgestanden, um halb vier, aber ihre Laune ist bestens. Gleich spricht sie auf der Demonstration „Inklusion statt Selektion“ – einen Tag, bevor der Bundestag über vorgeburtliche Bluttests debattiert. Und Mädel, der in Berlin lebt, könnte doch auch zur Demo kommen. Das wäre was.

Die meisten Menschen, die in der Debatte um vorgeburtliche Bluttests Position beziehen, sind ÄrztInnen oder PolitikerInnen. Dedreux aber ist eine der wenigen Personen mit Downsyndrom, die sich selbst zu Wort melden. Im Parlament ging es am Donnerstag um große Fragen: Sollen Krankenkassen einen Bluttest bezahlen, mit dem sich feststellen lässt, ob das Kind später eine Behinderung haben wird? Hilft das der schwangeren Frau? Oder fördert es die Selektion in einer auf Leistung getrimmten Gesellschaft?

In der zweistündigen Debatte diskutierten die Abgeordneten ruhig und differenziert. Niemand leugnete Dilemmata, niemand schlug simple Lösungen vor. Viele legten persönlich Rechenschaft über ihre Über­legungen ab. Und: Unter den RednerInnen war eine Mehrheit für die Finanzierung durch die Kassen.

Merkel findet sie cool

Für ihren Auftritt bei der Demonstration trägt Dedreux einen schwarzen Pulli und schwarze Stiefel mit Silber­nieten. Im Berliner Café erzählt sie von ihrer Rolle als Aktivistin. Sie stellte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kurz vor der Bundestagswahl 2017 in der ARD-Wahl­arena eine Frage zum Umgang mit Menschen mit Downsyndrom. Erste Medien wurden auf sie aufmerksam. Zehn Monate später besuchte Merkel das Caritas-Zentrum in Köln-Kalk, in dem Dedreux arbeitet, Brötchen belegt, Tische deckt und bedient, und sprach mit Dedreux und anderen MitarbeiterInnen über Inklusion.

„War super“, sagt Dedreux, manchmal nuschelt sie ein bisschen. „Die Frau ist cool.“ Vor gut einem Jahr startete Dedreux ihren Blog. Darin berichtet sie über ihr Leben: ihre Arbeit bei einem Magazin, in dem Menschen mit Downsyndrom in leichter Sprache schreiben, über eine Reise nach Kanada oder ihre Rolle am Theater. Sie schreibt in einfachen Sätzen über Seenotrettung im Mittelmeer oder Fridays for Future. Und natürlich über ihr Engagement für Menschen mit Downsyndrom.

Ich will nicht, dass die Krankenkasse den frühen Bluttest bezahlt, die Früherkennung vom Down Syndrom. Sonst gibt es weniger Menschen mit Down Syndrom.

Natalie Dedreux, Aktivistin

„Ich habe eine Petition geschrieben“, steht da zum Beispiel in einem Eintrag vom 20. März, der sich mit dem Bluttest auf Downsyndrom beschäftigt. „Ich will nicht, dass die Krankenkasse den frühen Bluttest bezahlt, die Früherkennung vom Down Syndrom. Sonst gibt es weniger Menschen mit Down Syndrom.“

Jana Schillhaneck, 22, weiß nichts von der Debatte im Bundestag. Ihre Pflegemutter Monika Schillhaneck sagt, dass sie das Thema von ihr ferngehalten habe. Warum sollte sich Jana damit beschäftigen, ob es okay ist, dass sie da ist? „Sie ist ein so lebensfroher Mensch, dass sich diese Frage für sie nicht stellt“, sagt sie. Jana Schillhaneck, eine selbstbewusste 22-Jährige, trägt am Donnerstagvormittag eine Kochjacke und eine rote Schürze, sie hat ihre dunkelblonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden – so fallen keine Haare ins Essen. Sie arbeitet in der Küche einer Kita im Süden von Berlin.

Tang, Walzer, Cha-Cha-Cha

Jeden Tag notiert Schillhaneck in einem bunten Herlitz-Kalender, was sie gemacht hat. Eier gepellt, Gurken oder Wiener Würstchen geschnitten, das Geschirr abgetrocknet. „Meine Arbeit macht mir riesengroßen Spaß“, schrieb sie am 28. März in ihrer sauberen Handschrift. Sie habe „gute Laune“ und sei „glücklich“.

Das Gespräch mit ihr macht auch gute Laune, weil sie gnadenlos ehrlich ist. Was gefällt ihr in der Kita am besten? „Die Pause.“ Was mag sie nicht so gerne? „Gewitter.“ Wenn man sie nach dem Tanzkurs fragt, zu dem sie einmal in der Woche geht, steht sie auf und macht im Kitaflur ein paar Tanzschritte vor: Tango, Walzer, Cha-Cha-Cha. Zwei kleine Mädchen in rosa Anoraks laufen auf Schillhaneck zu, rufen „Jana!“ und kuscheln sich kurz an sie.

Schillhaneck erklärt, wo der Herd ist, wo die Servierwagen stehen, in welchen Räumen sie den Kindern das Essen serviert. Ihr Leben zeigt, wie selbstständig Menschen mit Downsyndrom sind, wenn sie die richtige Unterstützung erhalten. Schillhaneck hat eine gut zweijährige Maßnahme bei den Berliner Mosaik-Werkstätten für behinderte Menschen hinter sich, die sie aufs Arbeitsleben vorbereiten sollte. Danach hat sie sich initiativ in der Kita beworben, weil sie in einer Küche arbeiten wollte. Am Wochenende trifft sie sich mit ihrem Freund Stefan, geht in die Eisdiele oder führt Familienhund Otto aus.

Wenn Jana wegwolle, frage sie immer, „ob wir auch ohne sie klarkommen“, erzählt ihre Pflegemutter Monika Schillhaneck lachend. Sie ist auch die gesetzliche Betreuerin von Jana, kümmert sich um ihre Finanzen, um Behördenkram – und hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Denn so selbstständig Jana Schillhaneck ist, so sehr ist sie doch manchmal auf Hilfe angewiesen. Besonders dann, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Einmal fuhr die S-Bahn nicht weiter, die Fahrgäste wurden zum Ersatzverkehr mit Bussen geschickt. Als ein S-Bahn-Mitarbeiter Schillhaneck ansprach, rief sie ihre Mutter an – um sich zu versichern, dass alles seine Ordnung habe.

Womit sich 20-Jährige eben beschäftigen

Die Gratwanderung zwischen Autonomie und Hilfsbedürftigkeit ist nicht untypisch für Menschen mit Downsyndrom. Auch Aktivistin Natalie Dedreux geht nicht allein zum Arzt oder zum Amt, bei wichtigen Entscheidungen hilft die Mutter. „Ach!“, sagt Dedreux, was sie gern sagt, wie um Bedenken wegzuwischen. Auch „cool“ sagt sie gern. Cool wäre es zum Beispiel, endlich zu Hause auszuziehen. Noch wohnt Dedreux zusammen mit ihrem 16 Jahre alten Bruder und ihrer Mutter zu Hause, aber eigentlich will sie eine WG gründen, zusammen mit einer Freundin, die auch Downsyndrom hat, und zwei Studentinnen ohne Downsyndrom – eine Art informelles betreutes Wohnen. Die Wohnung und die Studentinnen müssen noch gefunden werden, und Geld fehlt auch noch, aber Dedreux ist zuversichtlich.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Außerdem, sagt sie, wolle sie gern heiraten – ihren Freund Nico, der auch das Downsyndrom hat. „Da guckst du“, sagt sie ein wenig herausfordernd zu ihrer Mutter, aber die bleibt ganz entspannt. „Wir sind bisher immer die Themen angegangen, die gerade präsent waren“, sagt Michaela Dedreux. Schule, Ausbildung, eigene Wohnung – so ziemlich das, womit sich 20-Jährige eben beschäftigen.

Dedreux macht gerade ein Praktikum beim Deutschlandfunk. Ihren Blog schreibt sie selbst, nur bei der Technik hilft ihr ihre Mutter. Und wenn im Text oder auch im Gespräch im Frühstückscafé ein Gedanke fehlt, der Natalies Erklärung verständlicher machen würde, hilft sie auch. Natalie Dedreux fährt allein von A nach B, wenn B nicht gerade Berlin und die Reise zu kompliziert ist. Und sie geht auch allein zum Konzert der Fantastischen Vier – auch wenn ihre Mutter dann entsetzt vor der Halle steht und feststellt, dass drin das Handynetz ausgefallen ist. „Das war ’ne ziemlich große Halle“, sagt Michaela Dedreux. Natalie lacht.

Inklusion ist, wenn alle mitmachen

Als sie bei der Demonstration vor dem Gesundheitsministerium in Berlin-Mitte ankommt, wird Dedreux von JournalistInnen belagert, Kameras klicken, sie gibt ein Interview nach dem nächsten. „So!“, begrüßt sie rund 150 Menschen resolut von der Bühne. „Hallo erst mal! Ich bin Natalie, 20 Jahre alt, ich hab Down Syndrom“, ruft sie. „Mein Leben mit Downsyndrom ist cool!“ Die Menschen klatschen.

Inklusion sei, „wenn alle dabei sind und mitmachen“, sagt Dedreux. Und: Niemand müsse Angst vor Leuten mit Downsyndrom haben: „Wir sind megacool drauf!“ Als die Demo los zieht, läuft Dedreux in der ersten Reihe, sie trägt ein Plakat mit ihrem Foto und dem Titel ihrer Petition: „Menschen mit Downsyndrom sollen nicht aussortiert werden“.

Fast 15.000 Menschen haben die Petition auf change.org in nur drei Wochen unterschrieben. Dedreux hat sich zum Ziel gesetzt, die Unterschriften PolitikerInnen zu übergeben. Welchen PolitikerInnen? „Ach!“, sagt Dedreux, „allen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die Jusos fordern Abtreibung gänzlich freizugeben. Unabhängig von der SSW.



    Wo ist jetzt das Problem?

  • Unter dem Vorwand 'Soziale Gerechtigkeit' soll der nichtinvasive Bluttest von den Krankenkassen bezahlt werden – was bitte schön ist denn gerecht dabei, wenn die Gemeinschaft dafür bezahlen soll, dass Menschen aussortiert werden können? Dass der Druck auf Mütter, die ihr Kind mit Down-Syndrom nicht abtreiben lassen wollen, immer stärker wächst? Dass die Gesellschaft sich immer stärker an Leistung orientiert anstatt wirklich sozialer zu werden? Mehr soziale Gerechtigkeit kann nur geschaffen werden, wenn alle Menschen so akzeptiert werden, wie sie sind: Ob sie nun das Down-Syndrom haben, ob sie Autisten sind, ob sie schwul sind oder kurzsichtig – alle Menschen haben die gleichen Rechte und sollen gleichwertig am Leben teilhaben dürfen!

    • @Rüdiger Tonojan:

      Zuerst mal werden Tests, die entsprechende Diagnosen nach sich ziehen können bereits bezahlt. Der Unterschied besteht nur darin das der Bluttest weniger aufwendig und gefährlich ist.

      Wer nicht will das eine Gesellschaft für das "Aussortieren" von Menschen bezahlt der müsste konsequenterweise kategorisch gegen Abtreibungen sein. Denn wenn eine Abtreibung mit Sachgrund schon verurteilt wird dann muss die Abtreibung ohne einen das Kind selber betreffenden Grund noch viel eher verurteilt werden.

      Die Behauptung unsere Gesellschaft würde sich immer mehr auf Leistung und immer weniger auf das Soziale Konzentrieren ist ein Fehlanalyse auf allen Ebenen. Die Abgabenlast hat sich seit Jahrzehnten kaum verändert, die Wochenarbeitszeit ist seit 200 Jahren konsequent rückläufig. Gesellschaftliche Wohlfühl-Themen nehmen politisch immer mehr Platz ein. Wo sehen Sie da bitte einen steigende Leistungsfixierung?

      • @Januß:

        Leistung ist so omnipräsent, dass Sie sie anscheinend gar nicht mehr sehen. Arbeitszeit ist nicht gleich Arbeitszeit. Grüße an das 19.Jh.

      • @Januß:

        Danke, das sehe ich genau so.



        Gerade Menschen mit Behinderungen erfahren heute wesentlich mehr (wohlwollende) Öffentlichkeit und Teilhabe als irgendwann in der Vergangenheit und damit meine ich nicht nur die finstersten Zeiten in Deutschland.



        Damit meine ich natürlich nicht, dass ich keine devote Dankbarkeit von den Betroffenen erwarte ("Danke liebe Gesellschaft, dass ihr mich nicht in KZ steckt, ich will auch ganz brav und folgsam und unsichtbar sein"), aber ich möchte schon dazu aufrufen, das Thema sachlich zu diskutieren. ohne Schreckensszenarien an die Wand zu malen.

  • Der Zug ist schon abgefahren. Es geht nur noch darum, ob die Wahl zwischen dem risikofreien oder dem risikohaltigem Testverfahren eine Geldfrage sein sollte oder nicht. Abgetrieben werden darf aus diversen Gründen, also macht es keinen Sinn gegen den Test zu argumentieren aus Diskriminierungsgesichtspunkten. Wenn eine junge Frau aus wirtschaftlichen Gründen abtreiben darf, ist das ein noch viel niederer Beweggrund als die Abwägung von möglichen Schweregraden einer Behinderung. Es ist bestimmt kein gutes Gefühl für Menschen mit Down Syndrom zu wissen, dass für die meisten Paare das Down Syndrom ein Abtreibungsgrund ist. Das allerdings ist eine Befindlichkeit, wie auch andere Menschen Empfindlichkeiten zu diesem Thema haben. Diese wiegen geringer als das Recht der Schwangeren zur Selbstbestimmung, die durch jede Geburt erheblich eingeschränkt wird.

  • Und trotzdem werden sich die meisten Schwangeren gegen eine Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden. Nicht weil die Gesellschaft es will, sondern weil es einfach nicht zum eigenen Lebensentwurf passt.Gegen diese liberale Eugenik gibt es wenig plausible Argumente. Ist schließlich ein Akt der Selbtbestimmung. Wer Abtreibung nicht grundsätzlich ablehnt, hat wenig Argumente gegen Abtreibung, wenn nicht das Wunschkind entstanden ist. Natürlich wird das langfristig die Wahrnehmung von Behinderung in der Gesellschaft formen. Aber um die kollektiven Folgen individueller Entscheidungen hat sich der Liberalismus noch nicht Gedanken gemacht.

    • @Ignaz Wrobel:

      Mensch-sein optimieren ist ein gesellschaftlicher Befehl, ebenso wie kreativ, selbstbestimmt und selbstverantwortlich zu sein. Es gibt kein Individuum

      • @Vodka Satana:

        Die Gesellschaft hier ist viel zu stark individualisiert, als dass eine Schwangere an die Gesellschaft denkt.