Debatte über „Pizza Hawaii“: Buon appetito?
Der berühmte Pizzabäcker Gino Sorbillo hat eines der kulinarischen Grundgesetze Italiens gebrochen – und bietet nun Pizza mit Ananas an. Gut so?
Si! Auch mal Neues wagen
Dünner Teig mit knusprigem Rand, würzige Tomatensauce darauf, gekochter Schinken und Mozzarella, der lange Fäden zieht: So eine Pizza schmeckt gut. Köstlich wird sie aber erst, wenn sie auch Früchte trägt. Gelbe, saftige Ananasstücke, die sich mit den klassischen Pizza-Zutaten vermischen zu einem wunderbar süß-sauer-salzigen Erlebnis.
Damit befindet sich die Pizza Hawaii in bester Gesellschaft. Beim Rehbraten darf die Birne nicht fehlen, zum Schnitzel gibt es Preiselbeeren, und auch ein Curry schmeckt bestens mit Mango oder Ananas. Die Gegensätze heben sich nicht auf, sie verstärken sich, erst das Süße lässt das Herzhafte wirken. Umgekehrt schmeckt eine bretonische Crème caramel erst durch ihr Fleur de Sel so besonders.
Trotzdem hat Pizza mit Ananas einen schlechteren Ruf als Braten, Curry oder Crème caramel. Sie gilt als eine Unsitte von merkwürdigen Deutschen, US-Amerikanern oder Kanadiern, die sich mit ihrem Dosenobst an der italienischen Küche versündigen. Was Quatsch ist, schließlich findet man auch in Italien das Herzhaft-Süße, etwa als Feigen in der Pastasauce.
Umgekehrt ist Pizza gar keine uralte Tradition, die zu Italien gehört wie Olivenöl oder Wein – lange gab es sie lediglich in Süditalien, vor allem in der Region Neapel. Erst durch italienische Auswanderer*innen in die USA wurde sie berühmt – und verbreitete sich auch im Rest Italiens.
Das Pizza-Hawaii-Bashing lässt sich daher nur als versuchter Distinktionsgewinn werten, im Sinne von: Man ist, was man nicht isst. Wer Pizza mit Ananas ablehnt, glaubt, sich als Feinschmecker fühlen zu dürfen.
Dabei haben all jene, die die Ananas von den Pizzen pflücken wollen, längst verloren. Pizza Hawaii steht seit Jahrzehnten auf den Speisekarten der Ristorantes aller Kontinente, sie ist nicht mehr aus der Welt zu kriegen. Die Italiener*innen haben ein wenig gebraucht, aber nun kommen auch sie langsam auf den Geschmack. Es war nur eine Frage der Zeit. Antje Lang-Lendorff
No! Kein Obst auf die Pizza
Mamma mia, Signore Sorbillo. Was erlauben Sie sich? Ananas auf der Pizza. Schon möglich, dass das schmeckt – nach einem mit Frascati oder Ramazotti durchzechten langen Abend ist das sogar wahrscheinlich. Aber in so einem Zustand munden auch Gummibärchen unter dem Mozzarella, eine Tomatensoße, die mit einem Energydrink aufgepeppt wurde – oder sogar eine Pizza Tedesca. Die habe ich neulich auf der Karte einer Pizzeria in Latium entdeckt. Sie war belegt mit Weißwurst, Pommes und Sauerkraut.
Haben Sie vergessen, dass Sie sich selbst lange für die echte neapolitanische Pizza eingesetzt haben? 2017 hat die Unesco sie zum Weltkulturerbe erklärt, mit Ihrer tatkräftigen Unterstützung. Sie stammen doch aus einer uralten Pizzaiolo-Familie, die schon seit 1935 an den Öfen steht.
Also kommen Sie, Sie wissen doch, was die Pizza aus Neapel von der im Rest der Welt unterscheidet. Es ist die gemeinsame Betrachtung von Boden und Belag. Deswegen muss der Teig 48 Stunden gehen, mindestens. Und nur Mehl vom „Tipo 00“ kommt infrage, so mit richtig viel Gluten, damit die Pizza dünn, fluffig und sehr kross bleibt. Backtemperatur genau 485 Grad, am besten im Holzofen.
Und damit man auch etwas von dem Gebäck hat, bleibt der Belag spartanisch. Pizza Margherita (Tomaten, Mozzarella, Basilikum) und Marinara (Tomaten, Knoblauch, Oregano) sind die perfekten Kombinationen – was bitte will man mehr?
Im Rest der Welt ist die Teigplatte so etwas wie ein essbarer Untersatz. Der Fokus liegt allein darauf, was drauf ist und den Geschmack des gebackenen Fladens überdeckt. Und je irrer die Zutaten, ob Weißwurst, Ananas, Brathering – oder gleich alle zusammen, hey, warum nicht? –, umso mehr Käse muss drüber. Kulinarisch ist das nicht viel anspruchsvoller als Einwegteller aus Weizenkleie. Nur mit Pizza hat es nichts zu tun. Jörn Kabisch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch