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Debatte nach Randale in KinderklinikKinder-Notdienst dezentralisieren

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Nach der Randale zweier Mädchen in der Kinderklinik Altona diskutieren Medien über Kinder, die zur Gefahr würden. Was fehlt, ist pädagogische Hilfe.

Zu groß geworden? Der Kinder- und Jugendnotdienst an der Hamburger Feuerbergstraße Foto: Jannis Große

H amburger Medien ereifern sich über zwei Kinder, die in der Nacht zu Pfingstdienstag im Kinderkrankenhaus Altona randaliert haben sollen. Der NDR beruft sich auf die Polizei. Die beiden zwölf und 13 Jahre alten Mädchen hätten, nachdem ein Rettungswagen sie brachte, einen Bildschirm vom Tisch geworfen, eine Plexiglasscheibe beschädigt und seien auf eine Mutter losgegangen, die mit ihrem Sohn in der Notaufnahme wartete.

Das Hamburger Abendblatt schreibt, die Mädchen hätten unter Alkohol- und Drogeneinfluss gestanden, der Mutter die Brille zertreten und den Sohn mit dem Tode bedroht. Und dann fragt die Zeitung, was man mit Kindern machen solle, die eine Gefahr würden und „für Pädagogik kaum noch erreichbar“ seien?

Aber ist das so? Oder fehlt hier nicht viel mehr die Pädagogik? Die beiden Mädchen sind in Hamburgs Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) in Hamburg-Alsterdorf untergebracht. Diese Schutzeinrichtung steht seit Jahren in der Kritik wegen einer unzulänglichen pädagogischen Betreuung der Kinder. Der 1983 eröffnete Notdienst gilt mit seinen inzwischen 155 Plätzen als viel zu groß. Es gibt nur ein rudimentäres pädagogisches Angebot.

Weil die Kinder aus der ganzen Stadt kommen, sind ihre Schulwege oft zu lang. Gehen sie vormittags nicht zur Schule oder in ein Vormittagsprogramm des KJND, sind sie gezwungen, das Haus zu verlassen. Viele führen tagsüber nur U-Bahn, berichtete ein Ehemaliger der taz.

Abendblatt schwingt Law-and-order-Keule

Eine Forschergruppe, die 2019 Gespräche mit früheren Nutzern führte, kam zu dem Schluss, der Notdienst müsste geschlossen oder „ganz neu konzipiert“ werden. Der heutige KJND sei „nicht automatisch ein sicherer Ort für alle“, sagte die linke Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus im Herbst in einer Bürgerschaftsdebatte. Die Zahl der Überlastungsanzeigen, mit denen Mitarbeitende sagen, dass sie ihre Arbeit nicht schaffen, sei hoch. Und viele Kinder lebten zu lange in dieser Übergangsstation. Darum forderte sie, den KJND auf vier Standorte in der Stadt zu verteilen und in den Sozialräumen zu verankern.

SPD und Grüne lehnten den Antrag damals brüsk ab. Die Grünen-Politikerin Britta Herrmann sagte zur Dezentralisierung, es gebe Aufgaben, die eine Bündelung aller Kompetenzen an einem Ort erforderten, sei es aus pädagogischer oder auch aus „ressourcenorientierter Sicht“. Zu sagen, der KJND sei kein sicherer Ort für alle, sei ein „Affront gegen alle Mitarbeiter des Hauses“.

Aber nun gibt es wieder Schlagzeilen, den Polizeireportern sei dank. Und das Abendblatt schwingt gleich die große Law-and-order-Keule: Der Fall wecke Erinnerungen an die Ermordung des Lebensmittelhändlers Willi Dabelstein 1998 durch zwei Jugendliche, die zu einem Erstarken des Rechtspopulisten Ronald Schill geführt habe. Der kam bekanntlich 2001 an die Macht und machte aus der Feuerbergstraße ein geschlossenes Heim. Auch heute fällt der Sozialbehörde zu ihrer Verteidigung nur ein, dass es sich beim KJND ja nicht um eine geschlossene Einrichtung handele.

Aber wieso auch? Alle sollten mal einen Gang zurückschalten. Die Kinder im KJND sind schutzbedürftige Opfer, die aus prekären Familien-Situationen in Obhut genommen werden. Die Wissenschaft attestiert diesem Hilfsangebot eine strukturelle Unzulänglichkeit. Auch weil so viele Kinder mit Problemen an einem Ort einander negativ beeinflussen. Warum nicht doch noch mal nachdenken über eine dezentrale Struktur, so wie andernorts üblich? Sabine Boeddinghaus hat noch nicht aufgegeben. Sie lädt am 13. Juni zum „Runden Tisch KJND“ ins Rathaus, um mit Fachleuten zu erörtern, wie das gehen könnte.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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3 Kommentare

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  • Auf die Gefahr hin mich hier unbeliebt zu machen. Wäre es nicht angemessen die Strafmündigkeit von 14 Jahren auf 12 Jahre herabzusetzen? Und zugleich viele Mittel für forensische Psychiatrie bereitzustellen? Anscheinend handelt es sich um suchtkranke 13-jährige die vermutlich kein klassischer Pädagoge mehr erreicht.



    Suchtkranke Straftäter_Innen ist doch eher was für geschulte forensische Psychiater_Innen. Das ist doch eine ganz andere Ausbildung.

  • Die gleichen fatalen strukturellen Missstände gibt es in Berlin. Die Missstände wurden von Behörden und Politik jahrelang ignoriert, haben sich immer weiter zugespitzt. Kinder bewaffnen und bedrohen sich, gefährden sich selbst und andere, weil sie nicht adäquat betreut werden. Verdi schrieb deshalb 2023 einen Offenen Brief an den Bürgermeister der Stadt Berlin.

    Im Rahmen einer Dissertation (Jahr unklar) zu dem Thema wurde festgestellt, dass öffentliche Notrufnummern im Internet für Kinder nicht mit den Öffnungszeiten der jeweiligen Behörde übereinstimmten. In einer Großstadt in MP musste achtmal angerufen werden, bis ein Mitarbeiter unter der Notfallnummer für Kinder erreichbar war. Behörden weigerten sich an mehreren Orten, für die Dissertation Auskunft am Telefon zu geben, einige blockten die Recherche absichtlich ab. Hamburg weigerte sich z. b., statistische Informationen zur Nutzung des KJDM preiszugeben.



    Durch die Dissertation wurde deutlich, dass bundesweit grundlegende Verfahrensregeln für die Zeit nach Dienstschluss für den Kindernotdienst von allen befragten Experten nicht gegeben werden konnten.



    Die Polizei, die Kinder bei Kinderwohlgefährdungen meist aus Familien nimmt, ist dafür nicht ausgebildet. Deutlich wurde, dass es keine genaue Vernetzung von Einrichtungen gibt, die für Kinderschutz zuständig sind.

    Fatal: statistische Daten der Behörden zur Erfassung der Fälle bei der Polizei waren ungenau und waren damit für die Forschung unbrauchbar. So konnte kein genaues Bild über das Ausmaß der Not der Kinder beim Kindernotdienst gewonnen werden.

    Misstände auch bei der Ausbildung von Familienrichtern. Diese sind zu keiner Fortbildung verpflichtet. Richter können schon nach einem Jahr Berufserfahrung in den Bereich Familienrecht wechseln.

    Dissertation

    www.db-thueringen....tation_Semmler.pdf

  • taz: *Oder fehlt hier nicht viel mehr die Pädagogik?*

    Es fehlt hier sicherlich nicht an solcher "Pädagogik", wie man sie als 'Pädagoge' an Hochschulen und Universitäten gelehrt bekommt. Es fehlt höchstens an 'Liebe, Zuneigung und Verständnis' für derartige Kinder und auch an ein anderes System des 'Zusammenlebens' in dieser Welt. Die momentane Welt ist eine Welt die sich immer mehr in einem 'Raum' abspielt, der mit unserer wahren Realität nichts mehr zu tun hat. In so einer Welt verrohen nicht nur die Erwachsenen, sondern auch immer mehr die Kinder. Die Schuld wird dann aber den Kindern gegeben, denn mit dem 'Raum', in dem sich unsere sogenannte "Realität" schon gänzlich abspielt, mit diesem 'Raum' machen skrupellose Leute sehr viel Geld und deshalb will man daran auch nichts ändern. Wir können aber noch froh sein, dass wir hier keine Verhältnisse wie in den USA haben, denn da schießen die US-Polizisten ja sogar schon auf "randalierende" Kinder und Jugendliche.

    Wir brauchen hier auch keine sogenannten Richter, wie "Richter-Gnadenlos" Schill, sondern Menschen die sich um 'problematische' Kinder und Jugendliche ernsthaft kümmern, ohne dass diese Leute vorher akademisch "vollgemüllt" werden und dann am Ende gar nicht mehr wissen, was ein Kind oder ein Jugendlicher an Liebe überhaupt benötigt. Dazu muss man aber auch endlich mal Geld locker machen, aber Geld ist anscheinend nur noch für Blödsinn oder klimaschädliches Wirtschaftswachstum da.