Debatte Zukunft der Grünen: Auftritt der Spaßbremsen
Nach dem Flop bei der Bundestagswahl reden die Grünen viel vom Generationenwechsel. Tatsächlich fehlt es der Partei aber an Kreativität.
D er viel diskutierte Absturz der unlängst noch als Volkspartei gehypten Grünen bei der Bundestagswahl hatte viele Ursachen: das Fehlen eines urgrünen Mobilisierungsthemas, ein Wahlkampf ohne realistische Machtoption, die extreme Personalisierung, die Steuerpolitik. Dazu dann die Heimsuchung der Partei durch ihre schlimmeren Jugendsünden.
Aber der grüne Misserfolg hatte auch mit ihrer Performance zu tun. Erstmals seit 1998 hat das Etikett der Spaßbremsen- und Verbotspartei Wirkung gezeigt. Nur so konnte der Veggie-Day eine Rolle spielen. Hinzukam ein Spitzenpersonal, dem es an Witz und Schlagfertigkeit fehlte.
Dass den Grünen eine gewisse Frechheit und Frische abhandengekommen ist, lässt sich am besten an den Stimmenanteilen der Partei in den verschiedenen Altersgruppen zeigen. Wo ihre Verluste in der Altersgruppe zwischen 45 und 59 am geringsten ausgefallen sind, waren sie bei den Erst- und Jungwählern am höchsten. Hier hat die Partei mehr als ein Drittel ihres traditionell überdurchschnittlichen Stimmenanteils eingebüßt. So war denn auch bald nach der Wahl viel von Generationswechsel die Rede.
ist Urgestein der Grünen und gehörte 1983 zu ihren ersten Bundestagsabgeordneten. Er war Parlamentarischer Geschäftsführer und galt als Vordenker von Rot-Grün. Heute arbeitet er als Politologe und Professor in Hessen.
Die ersten Auftritte der neuen Spitze sprechen kaum für echten Wandel. Wie auch: Katrin Göring-Eckart ist zwar deutlich jünger als Roth und Trittin, zählt aber schon lange zum Partei-Establishment. Und Simone Peter wirkt bislang mehr wie der Prototyp einer Parteifunktionärin, die sich auf die Artikulation der üblichen Floskeln des grünen Parteisprechs beschränkt.
Wiederkehr der Selbstvergewisserung
Je älter die Grünen werden und je mehr sie in die etablierte Gesellschaft hineingewachsen sind, umso stärker werden auch sie dominiert vom Typus des Parteifunktionärs mit all seinen Stärken und Schwächen, wie sie schon Robert Michels vor hundert Jahren analysiert hat. Immer mehr bestimmt die Organisationslogik die Sachlogik, spielt das Selbsterhaltungsinteresse der Organisation eine entscheidende Rolle, bieten Parteitagsreden die Wiederkehr der immer gleichen Selbstvergewisserung, schwindet die Übung in echter, lebendiger und kontroverser Debatte.
Mit der Zunahme ermüdender Rituale einher geht ein Verlust an intellektueller Kreativität. Nicht die Zukunft der digitalen Welt mit ihren Chancen und Risiken, sondern das Auftauchen der Piraten als politische Konkurrenz sind dann das Problem. Tatsächlich ergänzen sich die grünen Eliten inzwischen im Wesentlichen aus sich selber.
Immer mehr Mandatsträger haben eine klassische Parteikarriere absolviert, immer geringer werden umgekehrt die Chancen für politische Quereinsteiger. Bei den Grünen sind diese Chancen inzwischen auch nicht mehr höher als bei der politischen Konkurrenz. Wer außer dem MdEP Sven Giegold wäre da noch zu nennen?
Das Vordringen des Funktionärstums ist für den politischen Alltag zunächst nützlich. Es steigert das organisatorische Effizienzdenken, auch das gewöhnliche Streitritual mit den anderen Parteien geht reibungsloser von der Hand. Jeder lernt, wie man in die Zeitung kommt. Querschläger und Peinlichkeiten werden seltener.
Auf die Dauer freilich leiden nicht nur die kreativen Anstöße, sondern der politische Diskurs überhaupt. Erst leidet der Mut, für einen eigenen Gedanken auch einmal etwas zu riskieren. Dann fehlen die Leute, die überhaupt noch einen eigenen Gedanken haben.
Zustrom von außen nötig
Es ist erstaunlich, dass in Zeiten hoher Parteienverdrossenheit gerade die Grünen so wenig Raum für Leute ohne Stallgeruch bieten. Im Grunde hat die Partei das glatte Gegenteil von dem erreicht, was die Mehrheit der Parteigründer mit ihren überspannten und weltfremden Vorstellungen von Rotation und Amtszeitbegrenzung wollte.
An die Stelle der Verhinderung des Funktionärstums ist eine totale innerparteiliche Vermachtung getreten. Das ganz normale Karrierestreben dominiert die politische Innovation. Besonders sichtbar wird das an einer oft blutleeren und formelhaften Funktionärssprache, die in ihrer Künstlichkeit den Eindruck mangelnder Lebendigkeit und geistiger Frische hinterlässt.
Weil das so ist, geht es bei den Grünen der Zukunft nicht nur um eine Verjüngung nach Jahren. Mehr noch stellt sich die Frage, wie sich die Partei mehr öffnen kann für den Zustrom innovativer Impulse von außen. Natürlich werden dabei auch diejenigen eine wichtige Rolle spielen müssen, die bislang in Ländern und Kommunen geblieben sind und sich aus der Bundespolitik herausgehalten haben.
Geistige Trägheit
Der Etablierungsprozess von Organisationen befördert Karrieremotive ebenso wie geistige Trägheit. Wo ist denn heute die grüne Debatte über die digitale Gesellschaft oder die Konsequenzen des demografischen Wandels? Während intelligente Kritiker eine „digitale Demenz“ prognostizieren, reicht den Grünen die Behauptung, dass sie die Netzaffinsten von allen seien. Toll. Und zur Zukunft der Demokratie im Zeitalter schwindender Parteienbindung fällt ihnen auch wenig mehr ein, als dass Plebiszite eine gute Sache sind.
Selbst bei einem so aktuellen Thema wie dem Anstieg der Strompreise hat man den Eindruck, dass das soziale Problem vor allem dementiert wird. Was waren das noch für schöne Zeiten, als die anderen noch für die Atomkraft waren und man selber ordentlich dagegenhalten konnte.
Niemand kann wissen, wo die Grünen in vier Jahren stehen werden. Mag sein, dass ihnen die Oppositionsrolle fast automatisch wieder neue Chancen beschert – ohne großes eigenes Zutun. Die Demokratie kennt auch die leichten Siege.
Sicher freilich ist das nicht. Denn zur parlamentarischen Konkurrenz der Linkspartei tritt auch allerhand Konkurrenz außerhalb der Parlamente, die Kritik und Proteststimmungen nutzen können: FDP, AfD, auch die Piraten. Gut möglich also, dass auch das Management des Generationenwechsels und die künftige Offenheit und geistige Beweglichkeit der Partei über ihre Zukunft entscheiden werden. Die Innovationsrendite der 80er Jahre wird bald verbraucht sein. Dann wird Neues kommen müssen. Und neue Leute. Heute ist noch nicht zu sehen, wer und was das sein soll.
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